Süddeutsche Zeitung

Sebastian Vettel bei Red Bull:Abschied von Zuhause

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Sebastian Vettel und Red Bull, das war eine Traumehe, die nie geschieden werden sollte. Tatsächlich verfolgt der viermalige Weltmeister und designierte Ferrari-Zugang aber einen noch größeren Plan.

Von Johannes Knuth

Der Beginn seiner preisgekrönten Partnerschaft mit Red Bull begann für Sebastian Vettel mit ein wenig Verspätung. Im August 2007, Vettel war gerade 20 Jahre alt geworden, hatte ihn Red-Bulls-Tochterrennstall Toro Rosso als Stammpiloten zum Großen Preis von Ungarn einbestellt. Vettel hatte einen Flug von seinem Wohnsitz Zürich nach Budapest gebucht - den er prompt verschlief. "Der Wecker hat halt nicht geklingelt", sagte Vettel damals.

Die Müdigkeit war bald verfolgen. Bei Vettels Vorstellung als neuer Toro-Rosso-Fahrer war das Fahrerlager von Vettels neuem Arbeitgeber belagert wie bei einem Popkonzert. Teamchef Gerhard Berger gab die Geschichte zum Besten, wie ihm Michael Schumacher einst den Namen eines Kart-Talents zugeraunt hatte, der die Szene in Zukunft beherrschen würde: "Sebastian Vettel!" Der Tipp drang bald an die Öffentlichkeit, "Baby-Schumi" taufte ihn der Boulevard, und nun, in Budapest, wollte jeder einen Blick auf das neue Wunderkind erhaschen, Deutsche, Franzosen, Briten. Die Szene dürstete nach einer neuen Attraktion, die Ära Schumacher hatte gerade geendet.

Vettels Auftritt in Ungarn sollte den Beginn einer langen Beziehung mit Red Bull markieren. Es war aber vor allem die Ankunft des Thronfolgers, der Beginn einer neuen Regentschaft, auf die man Vettel lange vorbereitet hatte.

Als Dreieinhalbjähriger saß Vettel zum ersten Mal in einem Kart (wie Schumacher), mit sieben fuhr er sein erstes Rennen. Vater Norbert und Schumacher-Entdecker Gerhard Noack förderten ihn. Als Zwölfjähriger engagierte ihn Red Bull für ihr Nachwuchsfahrer-Programm. Als 17-Jähriger gewann Vettel 18 von 20 Rennen in der Formel BMW. Die Firma verpflichtete ihn erst als Testfahrer, dann als Ersatzpiloten.

Bei seinem Renndebüt am 17. Juni 2007 in Indianapolis gewann er seinen ersten WM-Punkt, im Alter von 19 Jahren, 11 Monaten und 14 Tagen, jünger war noch kein Vorgänger bei seinem ersten Punkterfolg gewesen. Aber die Stammplätze bei BMW waren besetzt, Vettel kehrte zurück zu Red Bull, zu Toro Rosso.

Der damals 20-Jährige arbeitete sich schnell an die Spitze des Formel-1-Imperiums aus Österreich, unbekümmert, wie er sich bei seinem Einstand in Budapest gegeben hatte. Er war der jüngste Pilot, der eine Pole Position gewann (2008 in Monza), der jüngste Fahrer, der ein Rennen für sich entschied (einen Tag später in Monza), das alles im unterlegenen Toro Rosso.

Ein Jahr später beförderten sie ihn zu Red Bull, als Kollege von Mark Webber. Vettel hielt sich nicht lange im Schatten des Australiers auf. 2010 wurde er Weltmeister, als jüngster Fahrer der Historie, klar. Drei weitere Titel folgten, und mit jedem Titel wuchsen die Parallelen zu einem gewissen Michael Schumacher. Im Grunde fuhr Vettel stets zwei Rennen, eines gegen die Konkurrenz, eines gegen die Bestmarken seines großen Vorbilds. Und Vettel tat alles, um den Vergleichen gerecht zu werden. Irgendwann fuhr er derart dominant, dass sich die Fans langweilten.

Vettel hat seine mittlerweile 15 Jahre währende Partnerschaft mit Red Bull stets wie eine Beziehung beschrieben: Dass er früh den Partner fürs Leben gefunden habe, dass es sich nun, in den Stunden des Abschieds, anfühle, als würde er von zu Hause ausziehen. Doch bei aller Nostalgie hatte Vettel schon länger zu erkennen gegeben, dass die Ehe unter Beziehungsproblemen litt, oder wie er am Samstag in Suzuka sagte: "Das Verlangen nach etwas Neuem war größer."

Dieses Neue, das wird mit ziemlicher Sicherheit ein Engagement bei Ferrari sein. Nirgendwo ist es so einfach und gleichzeitig so schwer, einen WM-Titel zu erringen wie bei dem traditionsumwehten Rennstall aus Maranello. Wer für Ferrari die WM gewinnt, für den läuten sie in Maranello die Kirchenglocken, der rangiert in der Popularitätsskala knapp hinter dem Papst. Gleichzeitig ist ein Ferrari-Engagement fast auch immer eine Angelegenheit von nationaler Sicherheit, Politik und Wirtschaft mischen eifrig mit.

Ferrari als Fahrer zu einem WM-Titel zu führen, das ist in etwa auf einer Schwierigkeitsstufe mit dem Unterfangen, den FC Schalke 04 als Trainer zu einer Meisterschaft in der Fußball-Bundesliga zu lenken. Michael Schumacher verabschiedete sich einst als Weltmeister von Benetton nach Italien, fuhr zunächst hinterher, gewann dann mit den Roten nach zwei Jahrzehnten Erfolglosigkeit fünf Mal die WM-Fahrerwertung - in dieser Zeit häufte er den Großteil seines Ruhmes an.

Vettel kann und will nun, wie Schumacher, zum Symbol des Neuaufbaus werden. Es wäre sein letzter Schritt auf dem Weg zur Thronfolge.

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