Süddeutsche Zeitung

Lisicki-Gegnerin Marion Bartoli:Vorsicht vor der schrägen Schlafmütze

Lesezeit: 3 min

Im Endspiel von Wimbledon trifft Sabine Lisicki auf eine der ungewöhnlichsten Frauen der Tour: Marion Bartoli bezeichnet sich selbst als verrückt. Obwohl sie ihre Familienprobleme gelöst zu haben scheint, stapelt die Französin aber betont tief. Alles glaubt ohnehin an einen Sieg der Deutschen.

Von Michael Neudecker, London

In der Umkleidekabine der Frauen in Wimbledon steht ein Sofa, das weiß man nun, weil das Sofa einen beachtlichen Beitrag zum Einzug von Marion Bartoli ins Finale geleistet hat. Bartoli legte sich am Donnerstag gegen zwölf Uhr Mittag auf dieses Sofa und schlief, davor hatte sie ihren Physiotherapeuten gebeten, sie gegebenenfalls aufzwecken; um 13 Uhr begann ja ihr Halbfinale gegen die Belgierin Kirsten Flipkens.

Um halb eins wachte Bartoli von selber auf, sie packte ihre Tasche, ging auf den Centre Court, wärmte sich auf, und dann fegte sie Kirsten Flipkens derart rasant vom Platz, dass manchmal nicht ganz klar war, ob Kirsten Flipkens tatsächlich auf der anderen Seite des Netzes war.

"Ich bin Französin, ich komme aus Korsika", sagte Bartoli danach, "ich weiß, ich bin verrückt." Vor dem Finale gegen Sabine Lisicki an diesem Samstagnachmittag (15 Uhr MESZ), sagt Bartoli, wolle sie auch wieder ein bisschen schlafen.

Die britischen Zeitungen hat das natürlich inspiriert: Die verrückte Französin, die schläft, aufwacht und sofort auf den Ball drischt wie nur wenige andere Frauen, gegen die blonde Deutsche, die immerzu lacht und eine der wenigen anderen Frauen ist, die den Ball noch kraftvoller über das Netz hämmert als Bartoli.

Die einfallsreichste Zeitung in Großbritannien ist gewöhnlich das Massenblatt Sun, ein hemmungsloses Boulevardblatt, in dem die Schlagzeilen manchmal größer sind als die Bilder. "Sab Fab" schrieb die Sun am Freitag, dahinter ein gewaltiges Ausrufezeichen, "phantastische Lisicki im Finale gegen schlafmützige Bartoli", und damit ist schon vieles gesagt zu diesem Finale. Die phantastische Lisicki ist Publikumsliebling in Wimbledon, seit sie 2011 ins Halbfinale stürmte und lächelte, die schlafmützige Bartoli finden sie etwas eigenartig.

In der Tat ist Marion Bartoli eine, die sich abhebt von der Masse im Frauentennis, und man muss das nicht zwangsläufig eigenartig finden. Sie schlägt als eine der Wenigen eine beidhändige Vorhand, das hat sie von Monica Seles, die auf diese Art einst Steffi Graf besiegte; Bartoli sah als Siebenjährige das French-Open-Finale 1992, in dem Seles gegen Graf gewann, am Tag danach fasste sie den Schläger auch bei der Vorhand mit beiden Händen an, sie tut das bis heute.

Zwischen den Ballwechseln macht Bartoli Trockenübungen, sie hüpft unablässig und fährt hektisch mit dem Schläger durch die Luft, manchmal macht sie das sogar zwischen dem ersten und dem zweiten Aufschlag. "Ich brauche das", sagt sie. Sie hat angeblich einen Intelligenz-Quotienten von 175 ( die Mehrheit der Bevölkerung weist einen IQ zwischen 85 und 115 auf), einmal hat sie erzählt, dass sie im nächsten Leben gerne eine Katze wäre.

Und dann ist da noch die Sache mit Walter Bartoli, ihrem Vater: Er gab seine Arztpraxis in Retournac auf, um sich dem Weg seiner Tochter widmen zu können, er trainierte sie, wich ihr selten von der Seite, selbst ihre wuchtige Figur geht auf eine Idee von ihm zurück: Mehr Gewicht, mehr Kraft, mehr Siege, so ging die Gleichung. Sie funktionierte zunächst, Bartoli gewann sieben Turniere auf der Profitour, 2007 bezwang sie auf dem Weg ins Wimbledon-Finale mehrere topgesetzte Spielerinnen, ehe sie im Endspiel gegen Venus Williams verlor.

Aber die Beziehung zu ihrem Vater funktionierte nicht immer. Anfang dieses Jahres trennte sie sich von ihm, nur um nach einem Turnier zurückzukehren - und sich nach den French Open erneut von ihm zu trennen. Walter Bartoli war bislang nicht in Wimbledon, stattdessen trainiert Bartoli mit dem Franzosen Thomas Drouet, der einige Berühmtheit erlangte, weil ihm vom Vater des Australiers Bernard Tomic das Nasenbein gebrochen worden war. Im Finale, sagt Bartoli, werde ihr Vater auf der Tribüne sein.

In der Weltrangliste ist Marion Bartoli auf Rang 15 notiert und damit um neun Positionen höher als Lisicki, aber das muss nichts heißen. Sabine Lisicki trat bislang beeindruckend auf in Wimbledon, "sie hat unglaubliches Tennis gespielt", sagt Marion Bartoli, "kann sein, dass sie zu gut für mich ist". Das Finale, da ist sie sicher, "wird eine Nervenschlacht".

Bei den Wettanbietern ist Lisicki Favoritin, vermutlich liegt das auch an diesem Weg, der sie ins Finale führte: Sie bezwang mehrere Spitzenspielerinnen, allen voran die Weltranglistenerste Serena Williams. "Das hat mich bereit gemacht für das Finale", sagt Lisicki.

Ob sie sich auf Bartoli auf bestimmte Art und Weise einstellen werde? Gewiss, sagt Lisicki, werde sie gemeinsam mit ihrem Trainer, dem Belgier Wim Fissette, eine Taktik festlegen, letztlich aber sei es so: "Mein Spiel bleibt mein Spiel", wuchtiger Aufschlag, zischende Vorhand und ab und zu ein Stopp-Ball. Sabine Lisicki ist auf diese Weise die erste Deutsche seit Steffi Graf vor 14 Jahren geworden, die im Wimbledon-Finale steht; sollte sie gewinnen, wäre sie die erste deutsche Siegerin seit sogar 17 Jahren.

Lisicki hat viel erzählt am Donnerstag und auch am Freitag, von ihrem Glücksbringer, einem Plüschtier, vom alten Auto ihrer Eltern, ihrer Grasallergie, es gab so viele Fragen, aber das war nur der erste Hinweis auf das, was kommen könnte, wenn sie gewinnt. Ob sie Angst davor habe? "Nein", sagt Lisicki, außerdem: "Es war bislang eine großartige Reise, aber sie ist noch nicht zu Ende."

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SZ vom 06.07.2013/jbe
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