Süddeutsche Zeitung

Rugby in den USA:Darauf einen Giltini

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"Wir müssen Dinge anders denken": Um Rugby beim Publikum zu etablieren, bietet ein Klub in Los Angeles mindestens so viel Party wie Profisport. Er feiert die Abkehr vom amerikanischen Mantra, immerzu gewinnen zu müssen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Bereits in der zweiten Spielminute dieser Rugby-Partie wird einem bewusst, wie verrückt das eigentlich alles ist. Der Gedrängehalb Harrison Goddard hat sich durchgetankt für einen Versuch, der Verbindungshalb Matt Giteau tritt das Ei perfekt zwischen die Malstangen. 7:0 für die Giltinis gegen die Warriors, so weit ist alles normal, nur: Die Partie findet nicht in Schottland oder Australien statt, sondern in Los Angeles, im teuersten Sportpalast der Welt. Knapp 5000 Leute sind da, mehr dürfen wegen Covid nicht rein in diese Arena, die bei Footballspielen im Herbst 70000 und bei Olympia 2028 mehr als 100000 Zuschauer fassen soll. Das Heimteam ist nach einem Cocktail benannt, das Logo sieht aus wie das der 80er-Jahre-Serie Miami Vice. Es gibt Live-Musik vom Elektropopduo Yolanda Be Cool, und nun johlen die Zuschauer, von denen viele 80er-Jahre-Verkleidung tragen, über diesen Tritt von Giteau, den alle nur "David Beckham des Rugby" nennen. Es ist mindestens so viel Party wie Profisport, das scheint ganz bewusst so zu sein.

Profi-Rugby in den USA, das klingt wie eine durchgeknallte Version der herzwärmenden Sport-Sitcom "Ted Lasso", in der ein US-Footballtrainer einen englischen Fußballklub übernimmt. "Jetzt mal ehrlich: Während der Coronavirus-Pandemie klingt doch alles, was im Profisport passiert, ein bisschen wie Ted Lasso", sagt Adam Freier am Telefon. Er hat 25 Partien für die australische Nationalmannschaft absolviert, nun ist der 41-Jährige der Manager dieses neuen Profivereins in den USA, der stolz darauf ist, ein bisschen verrückt zu sein. "Rugbytainment" nennt Freier das: "Wir müssen Dinge anders denken, wenn wir Rugby in diesem Land als Profisport etablieren und als Profiklub in dieser Stadt erfolgreich sein wollen. Wir müssen gewinnen, klar, aber wir müssen auch andere Dinge tun."

Stimmt schon: Lakers (Basketball) und Dodgers (Baseball) sind jeweils die amtierenden Meister ihrer Ligen, es gibt in jeder der bedeutenden Männersportarten der USA gleich zwei Vereine in LA: Lakers und Clippers, Dodgers und Angels, Kings und Ducks (Eishockey), Rams und Chargers (Football, beide werden von Herbst an in diesem neuen Sechs-Milliarden-Dollar-Stadion spielen), LAFC und Galaxy (Fußball). Der 2013 verstorbene Lakers-Besitzer Jerry Buss gilt als Erfinder des modernen Sports, er ließ während Auszeiten leicht bekleidete Frauen übers Parkett hüpfen, schenkte Hollywoodstars Tickets, für Reiche gab es VIP-Logen und Partys mit den Spielern. Showtime nannte er das, er wusste: Gewinnen reicht nicht in dieser Stadt, das Volk muss unterhalten werden, und das führt nun zu den verrückten Giltinis.

Am Strand wohnen, in gleich zwei der legendärsten Stadien der Welt spielen - das klingt für Spieler wie Matt Giteau verlockend

Seit 2018 gibt es die Major League Rugby (MLR) in den USA, sie ist mittlerweile von sieben auf zwölf Teams gewachsen. Sie wollen nicht den Fehler machen, den sie vor 20 Jahren im Fußball gemacht haben, als sie alternde Stars für viel Geld geholt haben; die "Beckham Rule" besagt, dass in der Profiliga MLS drei Spieler pro Franchise mehr verdienen dürfen (Beckham bekam 6,5 Millionen Dollar pro Saison), ohne die Gehaltsobergrenze (damals 2,1 Millionen Dollar pro Verein) zu verletzen.

Im Rugby gibt es "Giteau's Law", das legt allerdings fest, dass ein Australier, der bei einem Verein im Ausland spielt, für die Nationalmannschaft auflaufen darf. Giteau, 38, mag aufgrund von Alter und Bekanntheit "David Beckham des Rugby" heißen, zählt aber wie alle anderen zum Salary Cap von 500000 Dollar pro Verein. "Er ist nicht wegen des Geldes hier", sagt Freier: "Er will diese Erfahrung machen und diesen Sport fördern. Wissen Sie, was das für einen jungen Amerikaner bedeutet, wenn er eine Saison lang aus erster Hand von Matt Giteau lernen kann? Das ist mehr wert als Geld."

Natürlich klingt das für Spieler wie Giteau verlockend: Am Strand wohnen (das Büro der Giltinis befindet sich in El Segundo, viele Akteure leben in Venice oder Manhattan Beach) und in gleich zwei der legendärsten Stadien der Welt spielen - die Partie gegen Utah im SoFi Stadium ist die einzige dort in dieser Saison, ansonsten spielen die Giltinis im Memorial Coliseum, dem Stadion der Olympischen Spiele 1932, 1984 und 2028. Sie haben Spieler aus aller Welt unter Vertrag, also aus Fiji, Samao, Tonga, Südafrika, Schottland, Irland - aber, und darauf ist Freier besonders stolz: Ryan James, John Ryberg und Luke Carty sind kürzlich in den Kader der US-Nationalmannschaft berufen worden, und genau das führt dazu, was sie vorhaben in Los Angeles.

Rugby wächst in den USA rasant - es ist leichter verständlich und weniger aufwändig als Football

"Wir wollen Talente selbst ausbilden", sagt Freier. Rugby ist mehreren Studien zufolge eine rasant wachsende Sportart in den USA, weil es im Gegensatz zu American Football für Kinder leichter verständlich und weniger aufwändig ist (die Football-Ausrüstung kann einen hohen dreistelligen Betrag kosten) und eine Abkehr vom amerikanischen Immerzu-und-um-jeden-Preis-gewinnen-müssen-Sport-Mantra darstellt. "Wir feiern die Kultur dieser Sportart, die Werte Fairplay und Respekt und dass zum Beispiel der Schiedsrichter Sir genannt wird", sagt Freier. Die Spieler sind ständig in den Schulen und auf den Bolzplätzen der Stadt unterwegs, und plötzlich wird einem klar, was Besitzer Adam Gilchrist mit den Giltinis plant und warum das in LA bombastisch (kein anderes MLR-Stadion fasst mehr als 10000 Leute) und verrückt sein muss.

Ja, die Giltinis sollen gewinnen, nach zehn von 16 Spielen haben sie die meisten Punkte der Liga (40) gesammelt und dürften sich gleich in ihrer ersten Saison für die Playoffs qualifizieren; das Finale wird am 1. August ausgetragen. Sie sollen aber vor allem Rugby-Botschafter sein, die Tickets sind für LA-Verhältnisse vernünftig (das billigste kostet 25 Dollar, zum Vergleich: Die Lakers verlangen für die erste Playoff-Runde mindestens 125 Dollar, auf dem Zweitmarkt ist unter 260 Dollar nichts zu haben), in der Halbzeit sind keine leichtbekleideten Tänzerinnen zu sehen, sondern Jugendvereine beim Rugbyspielen. Die sportliche Qualität ist nicht Weltklasse, aber ordentlich - die Moderatoren des Podcasts Rugby Pick'em würden die Giltinis in der zweiten englischen Liga (Championship) einordnen. So vermarkten sie das auch, und auch das ist eine Abkehr vom typisch amerikanischen Die-Besten-müssen-hier-spielen-Mantra, das die Fußballliga lange gebremst hatte.

"Wir müssen geduldig sein", sagt Freier. Er ist kein Freund markiger Worte, auch das ist wohltuend im Gegensatz zum restlichen US-Sport. Also: Spieler aus Kalifornien fördern, sich als Gastgeber für die WM 2031 bewerben, um TV-Slots kämpfen - und die Leute unterhalten, mit einer Mischung aus Sport und Spektakel, wie sie das nun mal mögen in Los Angeles. Damit es nicht heißt, das Spektakel sei wichtiger als der Sport: Die Giltinis gewinnen 38:27.

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