Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM und Politik:Endspiel für Merkel und Löw

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Die Bundeskanzlerin und der Bundestrainer provozieren in aufgeregten Zeiten durch Gesten der Gelassenheit. Sie schätzen sich, sind sogar seelenverwandt - doch ausgerechnet jetzt können sie sich nicht helfen.

Kommentar von Ralf Wiegand

Cordon Bleu, jedes Mal gibt es Cordon Bleu im Kanzleramt, wenn Joachim Löw die Hausherrin besucht. Angela Merkels Küchenchef kann das angeblich besonders gut, deswegen wünscht sich der Bundestrainer immer dieses Gericht, wenn er zum Abendessen kommt. Und das tut er, wie er einmal in einem Interview erzählt hat, recht regelmäßig. Merkel, 63, und Löw, 58, die eine seit 2005 wiederholt ins Amt gewählt, der andere seit 2006 beim Deutschen Fußball-Bund in seiner jetzigen Rolle beschäftigt, pflegen ihren Austausch wie eine gute Freundschaft - mal öffentlich, wenn Angela Merkel als Kanzlerin die deutsche Elf bei Turnieren besucht, mal weniger öffentlich, wenn Jogi Löw als Jogi Löw bei der Kanzlerin vorbeischaut.

Die zwei sind sich zu ähnlich, als dass dafür allein ihre vergleichbar exponierten Positionen verantwortlich sein können. Näher liegt eine Art Seelenverwandtschaft. Beide stammen aus Randlagen der Republik, die Kanzlerin aus der nordöstlichen Uckermark, der Bundestrainer aus dem südwestlichen Schwarzwald. Beide waren in ihren Ämtern eher Überraschungen, Kohls Mädchen und die rechte Hand von Jürgen Klinsmann. Sie sind im Ton leise, in der Sache hart und können sich in eine Wand verwandeln, an der Kritik, Fragen und Ratschläge abprallen wie stramm aufgepumpte Fußbälle. Plopp, nächste Frage. Für die zweiten Bälle haben Löw und Merkel sich jeweils Spezialisten zugelegt. Oliver Bierhoff da. Volker Kauder dort. Die Pfeiler ihrer Macht.

Beide provozieren in aufgeregten Zeiten durch Gesten der Gelassenheit. In Momenten größtmöglicher Anspannung zentriert sich Merkel, indem sie die Finger ihrer Hände zur Raute zusammenlegt. Löw bestellt sich einen Espresso. Wenn Merkel zeigen will, dass auch die irrsten Wendungen der Weltpolitik sie nicht aus der Ruhe bringen, wandert sie durch Südtirol. Wenn Löw zeigen will, dass ihn die irrsten Konter der Mexikaner nicht verunsichern, inszeniert er sich joggend am Strand von Sotschi. Allein und im Reinen mit sich, während Fußball-Deutschland den Untergang diskutiert.

Das Establishment ist der sture Esel

Merkel sagte 2015, auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung im Land: "Wir schaffen das." Löw sagte 2018, auf dem Tiefpunkt der Rückwärtsbewegung auf dem Platz: "Wir werden das schaffen." Merkel sagte nach der desaströsen Wahl 2017: "Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten." Löw sagte nach dem desaströsen 0:1 gegen Mexiko: "Es besteht jetzt überhaupt kein Anlass, alles in Frage zu stellen." Sie sind wie zwei Ommmmms im schrillen Aaaaaaaah!

Merkel und Löw kamen in der Krippenzeit der sozialen Medien in ihre Rollen, Facebook gibt es seit 2004, Twitter seit 2006. Vor allem im Internet werden so oft Haltung und Handlung verwechselt, gilt als falsch, was sich nicht verändert. Das Establishment ist der sture Esel, vorne ziehen, hinten schieben, und doch bleibt er, wo er ist. Ein wunderbares Tier! Aber beide haben ihre Eselstreiber. Löws Söder heißt Mario Basler. Merkels Effenberg ist Alexander Dobrindt.

Löw und Merkel lassen Privates maximal privat. Die jeweiligen Partner sind für die Öffentlichkeit kaum mehr als Steckbrief-Einträge hinterm Doppelpunkt, in der Spalte "verheiratet mit:". Bei beiden steht darunter "Kinder: keine". Wenn sie wütend werden, markieren sie die rote Linie mit einer einzigen, wie beiläufig eingestreuten Bemerkung. Als der für Deutschland nominierte Horst Seehofer im Asylstreit nicht lockerließ, sagte Merkel, das sei dann eben "eine Frage der Richtlinienkompetenz". Als der nicht für Deutschland nominierte Sandro Wagner vermutete, er sei nur wegen seines unangepassten Charakters ausgebootet worden, sagte Löw, ihn treffe die Kritik nicht - aber Wagner lasse seine Mitspieler aussehen "wie Vollidioten ohne Meinung". Beide sprechen mit den Augen. Merkels Seitenblicke auf Putin, auf Trump, hinauf zu Seehofer: ohne Worte. Löws Minenspiel an der Seitenlinie des Schweden-Dramas, die sich aus Sorge fast verzweifelt schließenden Lider: ehrlicher als jede Pressekonferenz.

Ausgerechnet jetzt können sich Merkel und Löw nicht helfen

Merkel hat die wirtschaftlich erfolgreichste Zeit nach der Wende zu verantworten, Löw die fußballerisch beste. Beide haben jetzt mit der Integration zu kämpfen, die sie selbst gefördert haben. Und beide gehen nun, jeder für sich, in ein Endspiel. Löw hat seines gegen Südkorea, Merkel ihres gegen ganz Europa. Und ausgerechnet jetzt können sie sich nicht helfen: Löw spielt im verbotenen Putin-Land, und Merkel hätte eh keine Zeit.

Egal wie es ausgehen mag: Sie werden darüber reden, bei gutbürgerlicher Küche, irgendwo und irgendwann.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2018
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