Süddeutsche Zeitung

Fußball in Frankreich:Es herrscht Chaos bei PSG

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Sieben Covid-Infizierte, vier nicht ersetzte Weggänge: Mit einer Rumpfelf verliert PSG zum Ligastart - nach einem Patzer des dritten Torwarts, für den Thomas Tuchel nur Fatalismus übrig hat.

Von Oliver Meiler

Von Marcin Bulka, 20, hatte wohl selbst das geneigte französische Fußballpublikum noch nie gehört. Der junge Mann ist Pole und 1,99 Meter groß, was nicht schadet, wenn man einen überdimensionierten Kasten hüten soll. Bulka ist die Nummer drei unter den Torhütern von Paris Saint-Germain. Wenn nun über Nacht fast alle Franzosen seiner bewusst geworden sind, dann hat das mit einer sehr unglücklichen Szene zu tun, die ihm beim Saisonauftakt des Serienmeisters gegen den Aufsteiger RC Lens unterlief - eine Szene zumal, die durchaus das Zeug haben könnte, sich in die Psyche des jungen Mannes zu brennen. Es war ja erst sein zweiter Einsatz für PSG - und der erste lag am Donnerstagabend schon eine Weile zurück.

In der 57. Minute führte Bulka den Ball am Fuß in seinem Strafraum, er schaute sich nach einer Anspielmöglichkeit um. Das war etwas heikel, weil vor ihm auch recht viele Herrschaften in grellen Farben zugange waren, Gelb und Rot, die Couleurs von Lens. Da sah er den italienischen Mittelfeldspieler und Teamkollegen Marco Verratti gerade vor ihm, umringt zwar, aber okay, und den spielte er an - vertikal, durch die Mitte, so, wie man es nie machen soll. Und so war eben doch Ignatius Ganago, der Lens-Stürmer aus Kamerun, schneller am Ball - und traf vor verwunderten und sehr lauten 5000 Fans im Stade Bollaert-Delelis zum 1:0.

Es sollte der einzige Treffer der Partie bleiben. Ein Paukenschlage, denn seit neun Jahren hatte PSG schon nicht mehr gefloppt zum Saisonstart. Vielleicht müsste man nebenbei auch noch einmal darüber reden, wie schlau es ist, die paar tausend zugelassenen Zuschauer fast integral im selben Sektor des Stadions unterzubringen, wie das in Lens der Fall war. Stattdessen aber redet Frankreich nun über den bemitleidenswerten Torwart der polnischen Nachwuchsnationalmannschaft, der es so plötzlich und unbeabsichtigt zu Prominenz gebracht hat. Sein Trainer Thomas Tuchel sagte nach dem Spiel: "Das war ein technischer Fehler, das kann vorkommen, er wird noch andere Fehler machen." Ob ihn der Fatalismus seines Coaches aufbaut, ist eher fraglich.

Der Fehler liegt ja auch nicht nur bei Bulka. Wie konnte es kommen, dass PSG, immerhin vor drei Wochen Finalist der jüngsten Champions League, mit seinem dritten Keeper in die Meisterschaft startete? Nun, die Nummer eins, Keylor Navas, laboriert noch an Covid-19. Zugezogen hat er sich die Krankheit auf Ibiza, wo er sinnigerweise mit der halben Mannschaft Urlaub gemacht hat. Es steckten sich außerdem an: Neymar, Ángel Di María, Leandro Paredes, Mauro Icardi und Marquinhos, ausnahmslos Leistungsträger bei PSG. Da sich bei seinem Einsatz für die französische Nationalmannschaft auch noch Kylian Mbappé infizierte, fehlte den Parisern gegen Lens die gesamte Offensivabteilung, das teuer zusammenkaufte Prunkstück des Starensembles.

Die vorgesehene Nummer zwei im Tor wiederum, Sergio Rico, war nach seiner nun definitiven Übernahme noch nicht spielberechtigt - auch das spricht nicht für das Organisationsgeschick des blasierten Vereins des Emirs aus Katar. Überhaupt herrscht gerade einiges Chaos bei Paris: Nach den Weggängen von Thiago Silva, dem langjährigen Kapitän und Abwehrchef, von Edinson Cavani und Thomas Meunier ist das Team gerade alles andere als rund. Was mit Eric Maxim Choupo-Moting passieren soll, ist auch noch nicht klar. Da überdies auch Julian Draxler kurzfristig unpässlich war, fehlten Tuchel aus dem Stammpersonal der Vorsaison ein Dutzend Spieler - ohne Neuzugang! In der Startaufstellung gegen Lens standen gleich zwei Spieler aus der U19, drei weitere saßen auf der Bank. Eine Groteske.

Und am Sonntagabend ist nun "Classico", wie die Franzosen das Duell zwischen PSG und Olympique Marseille nennen. Das ist immer viel mehr als Fußball, da spielen zwei Welten gegeneinander. Die sechs Freunde aus Ibiza wären theoretisch wieder verfügbar, ihre Quarantäne haben sie zu Ende gebracht. Doch sind sie auch fit? Trainiert haben sie nicht, sie kommen gewissermaßen direkt aus den Ferien. Als L'Équipe Tuchel fragte, ob er besorgt sei vor dem Spiel gegen OM, sagte er: "Nein, aber realistisch. Wir brauchen noch mehrere Wochen, um auf Touren zu kommen."

Es ist, als habe man nach der knapp verpassten Glorie in Lissabon vergessen, dass die Ligue 1 den Alltag bestimmt, Schlag auf Schlag. Nach Marseille geht es gegen Metz, dann gegen Nizza: drei Spiele in sieben Tagen, und das im Halbschlaf.

Wenn da der Emir nur nicht die Geduld verliert.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2020
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