Süddeutsche Zeitung

Rekord von Konstanze Klosterhalfen:Wilder Ritt in andere Dimensionen

Lesezeit: 3 min

Von Joachim Mölter, Berlin

Konstanze Klosterhalfen ist schon 22 Jahre alt, aber sie hat sich eine unbekümmerte Fröhlichkeit bewahrt, manche würden wohl auch sagen: eine jugendliche Naivität. Als ihr am Samstagabend das Maskottchen der deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion in die Quere kam, hüpfte sie dem Plüschbär kurzerhand auf den Rücken und ließ sich kichernd über die blaue Bahn tragen - ein Kind hätte kein größeres Vergnügen haben können bei diesem wilden Ritt.

Zuvor hatte Klosterhalfen einen noch wilderen Ritt hingelegt und über 5000 Meter den Titel gewonnen sowie einen neuen deutschen Rekord aufgestellt. In einem furiosen Alleingang trat sie die 20 Jahre alte Bestmarke von Irina Mikitenko regelrecht in Grund und Boden. Die Frankfurterin war ebenfalls in Berlin 14:42,03 Minuten gelaufen, Klosterhalfen indes schon nach 14:26,76 Minuten im Ziel, eine Steigerung ihrer persönlichen Bestzeit um 25 Sekunden und des deutschen Rekords sogar um sagenhafte 15 Sekunden. Weltweit waren nur zwölf Läuferinnen jemals schneller, in Europa sogar nur drei. "Das war schon spektakulär", urteilte Idriss Gonschinska, der Generaldirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).

Die 26 200 Zuschauer am Ort waren vor allem davon beeindruckt, dass Klosterhalfen kurz vor dem Ziel selbst die Drittplatzierte Miriam Dattke aus Regensburg (15:41,71) noch überrundete; nur die Ulmerin Alina Reh (15:19,42) holte sie nicht mehr ein. Die U23-Europameisterin über 10 000 Meter war dennoch frustriert: "Konstanze war heute Weltklasse, und ich war eher nur Regionalliga", sagte sie.

Die 1,74 Meter große und nur knapp 50 Kilogramm schwere Klosterhalfen hatte ihr Pensum wie eine Maschine abgespult, für die einzelnen Runden brauchte sie zwischen 69 und 71 Sekunden, die Kilometerzeiten lagen bei 2:55 Minuten. Nur am Schluss hielt sie dieses Tempo nicht mehr ein, da wurde sie erstaunlicherweise noch schneller: Die letzten 1000 Meter legte sie in 2:49 Minuten zurück, die letzte 400-Meter-Runde in 65,3 Sekunden. "Ich habe gedacht: Jetzt nur noch alles geben", sagte sie. Geplant sei der Rekord jedenfalls nicht gewesen, versicherte sie: "Ich wusste in etwa, wo er lag. Aber ich wollte einfach nur so schnell laufen, wie es geht."

Seit die Athletin von Bayer Leverkusen im vorigen Herbst in die USA gezogen ist, um am Firmensitz der Sportartikelfirma Nike nahe Portland in dessen sogenannten Oregon Project mitzutrainieren, rennt sie schneller denn je. Beim Diamond-League-Meeting in Stanford hatte sie Ende Juni bereits ihren eigenen DLV-Rekord über 3000 Meter deutlich gesteigert, von 8:29,89 auf 8:20,07 Minuten. "Ich kann jetzt auf einem höheren Level trainieren", erklärt sie. Das Training in den USA sei "auf jeden Fall intensiver, aber auch schlauer. Nur hart trainieren nützt ja auch nichts". Die Regenerationsmaßnahmen beispielsweise seien "auch noch mal auf einem höheren Niveau" im Vergleich zu Deutschland: "Das macht schon was aus", findet sie.

Konstanze Klosterhalfen will mal Sportjournalistin werden, daher weiß sie, dass dem "Nike Oregon Project" ein gewisses Misstrauen entgegenschlägt. Es gibt Doping-Vorwürfe von früheren Athleten gegen den Chefcoach Alberto Salazar, die amerikanische Anti-Doping-Agentur ermittelt deswegen schon seit einiger Zeit. Sie könne die Skepsis verstehen, sagte Konstanze Klosterhalfen: "Die Journalisten wissen ja nicht, wie's da abgeht. Jeder, der sich ein negatives Bild macht, soll erst mal vorbeikommen und sich das anschauen. Ich kann nur Positives berichten."

Sie gerät fast in ein kindliches Schwärmen, wenn sie von den Rahmenbedingungen erzählt, die den derzeit zwölf auserwählten Athleten in Portland geboten werden. "Der Nike-Campus ist schon atemberaubend", erzählt sie, "wenn man das sieht, das fasziniert mich jeden Tag wieder. Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich die Chance habe, da zu trainieren." Und was ist nun das ganz Besondere, das sie dort hat und in Leverkusen nicht? "Man kann das nicht auf ein Teil beschränken", sagt Klosterhalfen: "Sie gehen einfach super ins Detail, denken wirklich über alles nach. Ihr Ziel ist es, alles zu verbessern." Die Rumpfmuskulatur zum Beispiel durch Boxtraining, verrät sie fröhlich: "Das macht auch Spaß. Meine Finger waren ganz blau vom Schlagen."

In den USA komme ihr zudem zugute, dass sie in einem Team von Weltklasseathleten trainiere. "Die denken noch mal in anderen Dimensionen", hat sie festgestellt und hinzugefügt: "Um Grenzen zu verschieben, muss man auch im Training schon an Grenzen gehen." Und wo sieht sie ihre Grenzen, erst mal im Hinblick auf die Ende September beginnende Weltmeisterschaft in Doha? "Ich weiß noch nicht genau, welche Strecke ich da laufe", sagt sie; vorher will sie noch ein paar Rennen in Europa bestreiten: "Mal kucken, wie die 1500 Meter funktionieren."

Konstanze Klosterhalfen hat in diesem Sommer den deutschen 5000-Meter-Rekord um mehr als 15 Sekunden verbessert, die 3000-Meter-Marke um fast zehn Sekunden - über den Daumen gepeilt, müssten da fünf Sekunden Steigerung über 1500 Meter drin sein. Ihre persönliche Bestzeit steht bei 3:58,92 Minuten, gelaufen 2017, die nationale Höchstmarke der Olympiazweiten Christiane Wartenberg (SC Chemie Halle) aus dem Jahr 1980 liegt bei 3:57,71. Mit den 200 Metern der Rostockerin Marita Koch (21,71 Sekunden/1979) und dem Kugelstoßen der Berlinerin Ilona Slupianek (22,45 Meter/1980) ist das einer der drei ältesten Rekorde des DLV. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2019
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