Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele:Die Lage ist ein Desaster für Bach

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Der IOC-Chef beharrt für die Tokio-Spiele auf seiner Hinhaltetaktik. Gegen den Kurs spricht der Sport immer fester mit einer Stimme.

Kommentar von Johannes Knuth

Um das Jetzt zu verstehen, kurz ein Schwenk ins Jahr 1980. Die Sommerspiele in Moskau standen bevor, die Sowjetunion war gerade noch mal eben in Afghanistan einmarschiert. Der Westen drohte, Olympia fernzubleiben. Und Thomas Bach, der Mannschafts-Olympiasieger im Fechten von 1976, erlebte eine Lektion, "die durch nichts zu ersetzen ist", wie er später erzählte.

Bach war 1980 bereits Athletensprecher, er stemmte sich mit aller Macht gegen die bundesdeutschen Boykottpläne. Doch der damalige SPD-Kanzler Helmut Schmidt habe die Sportler bloß herablassend behandelt, "hart an der Grenze des Erträglichen", hat Bach bei einer Festrede beim Deutschen Ruderverband erzählt, im März 2008. Es half alles nichts. Der westdeutsche Sport blieb damals zu Hause, und das Feuer der Verzweiflung darüber, sagte Bach 2008 bei den Ruderern, "brennt immer noch". Nie wieder wollte er in derart gewaltiger Ohnmacht baden müssen, dieser Wunsch hat ihn all die Jahre begleitet, bis ins Präsidentenamt des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hinein.

Es ist schon eine feinsinnige Pointe, die die Sportgeschichte da gerade spinnt: 40 Jahre nach Moskau sind es just die Athleten, die seinen Kurs boykottieren, die Sommerspiele im Juli 2020 in Tokio auszutragen. Das IOC brachte am Sonntagabend zwar erstmals öffentlich eine Verschiebung ins Spiel, Bach erbat sich aber vier weitere Wochen Bedenkzeit und schloss nicht aus, die Spiele wie geplant im Juli 2020 abzuhalten - er verwies dabei auch explizit auf den Spiele-Boykott von 1980, den die Politiker damals zu schnell durchgedrückt hätten, so sieht er das zumindest.

Prominente IOC-Mitglieder plappern brav die Parteilinie nach

Dabei erwähnten zuletzt auch diverse Funktionäre und Virologen das Gebräu aus unzumutbaren Trainingsbedingungen, dem kollabierenden Anti-Doping-System - und die Aussicht, dass die Corona-Pandemie in vier Monaten kaum so ausgestanden sein kann, dass man die halbe Welt an einem Ort zusammenziehen sollte.

Das bis dato beachtlichste Signal hat jetzt der Fechter Max Hartung abgesetzt. Er werde nicht nach Tokio reisen, sollten sich die Olympiamacher weiter an den Termin im Juli 2020 klammern, sagte er. Und Hartung wird wohl kaum der letzte sein mit diesem Ansinnen, sein Wort zählt was in der Branche. Der 30-Jährige ist Mitgründer und Vorstand bei Athleten Deutschland, einer unabhängigen Sportlervertretung. Die Initiatoren gründeten ihn vor drei Jahren, weil sie glaubten, im organisierten Sport nur mitsprechen zu können, wenn sie sich nicht von dessen Strukturen vereinnahmen lassen. Wie recht sie damit haben, hat sich noch nie so deutlich gezeigt wie in diesen Tagen. Prominente Mitglieder der IOC-Athletengremien plappern ja noch immer brav die Parteilinie nach, auch wenn der Widerstand selbst im IOC allmählich wächst.

Die Lage ist schon jetzt ein Desaster für Bach. Der Sport solle mit einer Stimme sprechen, das war ihm, dem Meister des sportpolitischen Strippenziehens, immer wichtig; wobei es meist seine Stimme war, was Bach aber oft zu verschleiern wusste. Jetzt spricht der Sport immer fester mit einer Stimme gegen seinen Kurs. Viele Athletenvertreter berichteten zuletzt, Bach sei in Telefonschalten belehrend und stur aufgetreten, er habe lange keine Alternativpläne vorgestellt, Ungewissheit gesät.

Das alles klingt stark vertraut, es klingt nach Moskau 1980. Nur dass der Athletensprecher von einst jetzt auf der anderen Seite steht.

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SZ vom 23.03.2020
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