Süddeutsche Zeitung

Niersbach-Ende beim DFB:Auszug aus der Chefetage

Lesezeit: 4 min

Wolfgang Niersbach ist nicht mehr DFB-Präsident, weil er zwei Fehler gemacht hat. Den deutschen Fußball aber wird er weiter repräsentieren. Chronologie eines unangekündigten Rücktritts.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Um 17.17 Uhr betritt Wolfgang Niersbach einen schmucklosen Raum im Erdgeschoss der Verbandszentrale. "Sportgericht 1" und "Sportgericht 2" steht an den Türen, Tische und Stühle sind an die Wand gerückt, in der Mitte wartet eine große Traube von Kameras und Journalisten. Aber der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist nicht alleine gekommen. Links von ihm geht Reinhard Rauball, Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL) und damit Boss des Profibetriebes, rechts Rainer Koch, Vizepräsident des DFB und oberster Vertreter des Amateurlagers.

Rauball und Koch, das sind die beiden Fußballfunktionäre, die bisher Niersbachs Stellvertreter waren. Und das sind die beiden Fußballfunktionäre, die fürs Erste nun Niersbachs Nachfolger sind.

Den ganzen Tag haben die wichtigsten deutschen Fußballfunktionäre wegen der WM-Affäre und ihrer Folgen getagt, erst das DFB-Präsidium, dann stießen die Chefs der Landesverbände dazu - und am Ende stand etwas überraschend: Niersbachs Rückzug. "Ich habe heute die Entscheidung getroffen, mit sofortiger Wirkung vom Amt des DFB-Präsidenten zurückzutreten", so beginnt er sein Statement. Es fällt der Begriff "politische Verantwortung", später fällt er noch einmal, es ist ein Schlüsselwort seiner Rede.

Niersbach hat die Hände wie die Kanzlerin zusammengelegt

Niersbach ist ein Kind des DFB, heißt es so oft, vielleicht ist er sogar mehr als das. 27 Jahre arbeitete er bei dem Verband. Als Pressechef, als Mitglied des WM-Organisationskomitees 2006, als Generalsekretär, seit März 2012 als Präsident. Viele Jahre davon war eines der gängigsten Adjektive, das über Niersbach zu lesen war, das Wörtchen "loyal". Und er ist bemüht, den Eindruck zu erwecken, als habe auch dieser letzte Schritt nach 27 Jahren DFB-Tätigkeit damit zu tun. Das Amt des Präsidenten soll nicht belastet werden, der deutsche Fußball soll nicht länger belastet werden.

Niersbach hält den Kopf die meiste Zeit gesenkt, er hat die Hände auf Hüfthöhe so zusammengelegt, wie es die Kanzlerin gerne tut. Nur bilden die Daumen mit den anderen Fingern keine Raute, sondern sie bewegen sich viel, während er vorträgt. Er spricht klar, deutlich, präzise, so wie Niersbach immer spricht. Das heißt: So wie Niersbach fast immer spricht.

Rückblende: die Verbandszentrale des DFB vor nun fast drei Wochen. Da hatte sich Niersbach schon einmal vor einer Vielzahl an Journalisten positioniert. Der DFB hat zu einer Pressekonferenz geladen, das Land befindet sich in den ersten Tagen der WM-Affäre. Niersbach, ein erfahrener Medienmann, will den Befreiungsschlag versuchen - der Versuch endet im Desaster. Ein Dutzend Mal sagt Niersbach, er könne sich nicht mehr an dieses oder jenes erinnern, er wirkt fahrig, unvorbereitet, er stellt Aussagen in den Raum, die offenkundig nicht der Wahrheit entsprechen - am Ende ist sein Auftritt Gegenstand aller gängigen Kabarettsendungen.

Es gibt noch viele Unklarheiten rund um diese WM-Affäre. Wann wer was entschieden hat, wann wer was gewusst hat, wann wer wem etwas in die Schuhe schieben wollte. Inzwischen interessiert nicht mehr nur der Verbleib der ominösen 6,7 Millionen Euro, sondern auch ein Dokument, das zeigt, wie Deutschland vor der Vergabe der WM einen Fifa-Wahlmann ködern wollte. Niersbachs Rolle bei alldem ist noch ungeklärt; er selbst sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen. Vieles deutet darauf hin, dass er nicht der große Drahtzieher war, aber zumindest ein Mitwisser.

Doch Niersbach hat zwei Fehler gemacht. Er hat, erstens, das Sommermärchen für unantastbar und sauber deklariert - was sich nach dem Fund der neuen Dokumente wohl nicht mehr halten lässt. Und er hat, zweitens, im Sommer und im Herbst 2015 ein schlechtes Krisenmanagement geboten. Er informierte sein Präsidium unzureichend und gaukelte eine Aufklärung vor, die so nicht stattfand. Er gab jene Pressekonferenz und sagte dabei offenbar nicht die Wahrheit.

Ein Mann, der gelogen hat, an der Spitze? Ein Mann, gegen den die Steuerfahnder ermitteln? Diese Fragen wurden zuletzt in der ganzen Republik gestellt.

Jetzt steht Niersbach also in diesem schmucklosen Raum in der Verbandszentrale. An der Wand hängen die Embleme der DFB-Organe, der Regionalverbände, der Landesverbände, der Deutschen Fußball Liga, dazu das DFB-Zeichen. Die Wappen der deutschen Fußballfamilie. Niersbach ist ein Kind dieser Familie, vielleicht hat er deswegen zu lange gedacht, dass der Sturm vorüberzieht. Die Funktionärskaste legt normalerweise einen speziellen Geist an den Tag, sie schützt ihre Leute. Mehr als drei Wochen lang gab es keine einzige Rücktrittsforderung an Niersbach, sondern leise Kritik und viel Unterstützung.

Als der erste Journalist eine Nachfrage stellen will, winkt Niersbach in Richtung Ausgang

Noch am Montag gibt sich Niersbach zuversichtlich, als er am Morgen in die Zentrale kommt. Am Mittag geben seine Strategen die Parole aus, dass die für 14.30 Uhr angesetzte Sitzung des Präsidiums wohl nur eine Stunde dauern werde, danach gäbe es ein Statement. Doch schon bei der Ankunft mancher Präsidialer kann ein anderer Eindruck aufkommen. Vize Koch und Schatzmeister Reinhard Grindel fahren gemeinsam vor, DFL-Chef Rauball will sich nur kurz äußern. Was er erwartet? Eine dreistündige Sitzung.

Drinnen tagen die Gremien, Zwischenergebnisse der Ermittlungen von Freshfields werden mitgeteilt, es gibt viele Fragen der Präsidialen. Um kurz nach fünf sind die Sitzungen beendet, ein paar Minuten später kommen die Funktionäre in den schmucklosen Raum. Neun Minuten dauern die Beiträge insgesamt.

Als der erste Journalist eine Nachfrage stellen will, winkt Niersbach in Richtung Ausgang. Es ist seine letzte Anweisung an die DFB-Spitze, dann entschwindet das Trio Rauball, Niersbach, Koch in der Formation, in der es gekommen war, in die oberen Stockwerke. Es zählt zu den Merkwürdigkeiten dieser Affäre, dass sie künftig alle noch viel miteinander zu tun haben werden: Denn als DFB-Chef trat Niersbach zwar zurück, seine gut bezahlten Ämter in den internationalen Gremien von Europas Fußball-Union Uefa und dem Weltverband Fifa wird er vorerst behalten.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2015
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