Süddeutsche Zeitung

Nationalelf: Linksverteidiger:Ein rechtes Problem

Lesezeit: 2 min

Im Testspiel gegen Australien will Bundestrainer Joachim Löw ein paar Talenten Auslauf geben - vor allem aber sucht er einen Linksverteidiger. Nach dem Versuch mit Dennis Aogo gegen Kasachstan dürfte nun ein Dortmunder seine Chance bekommen.

Christof Kneer

Der Hamburger Dennis Aogo hat als Fußballer viele Qualitäten, besonders aber drei: Er ist jung (24), technisch talentiert und Linksverteidiger. Alles in allem unterscheidet ihn also nur wenig vom Dortmunder Marcel Schmelzer, der ebenfalls über vielfältige Fähigkeiten verfügt, besonders aber über drei: Er ist jung (23), dynamisch und Linksverteidiger. Mit diesem Bündel an Begabungen liegen die beiden weit vorne in Deutschland, es gibt nur einen, der ihnen überlegen ist.

Dieser eine, Philipp Lahm, ist relativ jung (27), überragend begabt und Linksverteidiger, aber er ist eben auch: Rechtsverteidiger. Laut Bundestrainer Löw und Lahm selbst ist "Rechtsverteidiger" sogar seine beste Eigenschaft, dagegen ist es ihm bei aller Begabung immer noch nicht gelungen, hinten rechts und hinten links gleichzeitig zu spielen. Deshalb kommt nun also Aogo ins Spiel, oder eben Schmelzer. Denn den Stammplatz, den Lahm hinten links geräumt hat, den muss ja jemand übernehmen.

Joachim Löw verzieht das Gesicht, wenn man ihm die Existenz einer Stammelf unterstellt, es ist ein gut eingeübter Gesichtsausdruck, den er noch eine Weile brauchen wird. Löw weiß, dass die EM-Qualifikation nach dem 4:0 gegen Kasachstan beinahe geschafft ist, da kann er sich beim besten Willen keine offizielle Stammelf leisten.

Um die lange Strecke bis zum Turnier 2012 ohne Druckabfall zu überstehen, braucht er einen Konkurrenzkampf, der den Kader unter Spannung und bei Laune hält.

In der Tat sind noch zahlreiche Kaderplätze zu vergeben, Plätze in der Stammelf aber sind nach menschlichem Ermessen nicht mehr viele frei. Selbst in dieser schnellen Branche geht kaum einer davon aus, dass aus Neuer, Lahm, Schweinsteiger, Khedira, Müller, Özil und Podolski über Nacht Problemprofis werden - zumal Löw die Fähigkeit besitzt, vorübergehende Problemprofis (Mertesacker, Klose) so harmonisch einzugemeinden, dass sie bei ihm wie echte Stammspieler aussehen.

Was Löw noch sucht, ist ein zweiter Innenverteidiger (Friedrich, Hummels, Badstuber, Boateng, Höwedes) - und eben ein Profi für die einzige Problemstelle, die ihm geblieben ist: für hinten links.

An diesem Dienstag, wenn die DFB-Elf in Düsseldorf noch ein Testspiel gegen Australien anhängt, wird Löw einigen Kandidaten jenseits der Stammelf Auslauf verschaffen, dem Mainzer André Schürrle, dem Dortmunder Mats Hummels, vielleicht auch dem Stuttgarter Christian Träsch.

Besondere Aufmerksamkeit wird er aber Marcel Schmelzer widmen, der anders als Schürrle oder gar Träsch mit einer löblichen Leistung direkt in die Stammelf vorrücken könnte.

"Eine endgültige Lösung haben wir auf dieser Position noch nicht gefunden", sagt Löw, "sie wird sich im Verlauf der nächsten Monate ergeben." Löw nennt noch den Wolfsburger Marcel Schäfer, er hat Marcell Jansen nicht vergessen, er beobachtet Konstantin Rausch aus der hauseigenen U 21 - aber er weiß, dass keiner der Kandidaten das komplette, komplexe Stellenprofil eines modernen Außenverteidigers erfüllt. Die linke Abwehrseite bleibt einstweilen ein rechtes Problem - wie übrigens im gesamten Weltfußball, der nicht sehr viele hochkarätige Linksverteidiger kennt.

Philipp Lahm, so viel steht fest, soll nicht mehr hinten links spielen. Gegen Australien wird ihn Löw auch hinten rechts ersetzen, er hat dem hochbelasteten Bayern-Kapitän freigegeben. Auch die Real-Profis Mesut Özil und Sami Khedira durften vorzeitig die Heimreise antreten. Ihre Stammplätze sind natürlich nicht gefährdet - aber, psst! Stammplätze gibt's ja gar nicht.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2011
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