Süddeutsche Zeitung

Bundestrainer Joachim Löw:Das Ende der Loyalität

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Von Philipp Selldorf

Alte Herren genießen dieser Tage in der Fußball-Bundesliga ein erfreulich hohes Ansehen. Niemand im Land, der nicht vom 40 Jahre alten Claudio Pizarro schwärmt, und der sich nicht wünscht, dass die Karriere dieses Schelms ewig dauern möge. Pizarro sieht ja nicht nur unverändert blendend aus, er spielt auch immer noch exzellent und schießt für Werder Bremen genau jene wichtigen Tore, die die Welt bewegen. Andere populäre Alte im deutschen Profigeschäft heißen Oliver Fink, 36, dem sie bei Fortuna Düsseldorf nachsagen, er lebe wie ein Eremit und sehe aus wie Mr. Universum, sowie Alex Meier, 36, der zwar nicht den Körper eines antiken Helden hat, aber beim FC St. Pauli als Fußball-Gott verehrt wird.

Eine alte Trainerweisheit dieses Sports besagt, es gebe keine jungen und alten Spieler, sondern bloß gute und schlechte. Diesem Denkansatz ist der Bundestrainer Joachim Löw nun in einer rigorosen Weise entgegengetreten, die ihm niemand zugetraut hätte. In einem handstreichartigen Verfahren hat er am Dienstag die vergleichsweise alten Nationalspieler Mats Hummels, 30, Jérôme Boateng, 30, und Thomas Müller, 29, aus dem Dienst verabschiedet.

Mit seinen engsten Vertrauten ist er nach München zum FC Bayern gefahren, hat den aufs Äußerste überraschten Betroffenen die Botschaft ihrer Kündigung überbracht und ist dann gleich wieder abgerauscht, während in der DFB-Zentrale in Frankfurt jemand den Knopf drückte und ein vorbereitetes Communiqué in Umlauf brachte. Darin bezeichnete der Bundestrainer seine Entscheidung gegen die drei Weltmeister als "deutliches Signal der Erneuerung" und als Befreiung der nachfolgenden Generation: "Die jungen Nationalspieler erhalten den Raum zur vollen Entfaltung. Sie müssen nun die Verantwortung übernehmen."

Löw hätte es sich leichter machen können

Dieser Vorstoß im Stil einer Kommandoaktion kommt einem ziemlich seltsam vor, er scheint so gar nicht zu Löws klassischem Stil zu passen. Sowohl der drastische Weltmeister-raus-Beschluss als auch die eher förmliche denn herzliche Art seiner Überbringung drücken eine Entschlossenheit und Radikalität aus, die man aus 13 Jahren Bundestrainertätigkeit von ihm nicht kannte.

Löw hätte es sich auch leichter machen können. Bei der in ein paar Tagen anstehenden Nominierung für die nächsten beiden Länderspiele hätte er einfach darauf verzichten können, Hummels, Müller und Boateng einzuladen. Zur Begründung hätte er sagen können, was er über Sami Khedira nach der Weltmeisterschaft sagte: Dass die drei "erst mal" nicht dabei seien, aber jederzeit später wieder dazukommen könnten.

Diese Sprachregelung hätte die Hintertür für die Rückkehr des einen oder des anderen älteren Herren einen Spalt offen gehalten, doch darauf hat Löw nun bewusst verzichtet. Er wollte die drei Weltmeister nicht Schritt für Schritt abservieren. Dem Schein-Kompromiss hat er das endgültige Urteil vorgezogen. Dass er dafür von Kommentatoren kritisiert wird, das wird Löw nicht stören. Hätte er anders entschieden, wäre er von denselben Kommentatoren eben dafür kritisiert worden. Jérôme Boateng hat ihn sogar gelobt: für das "aufrichtige Gespräch" zum Abschied.

Vertraute des Bundestrainers widersprechen den Mutmaßungen, dass sich Jogi Löw auf seine späten Tage aus der Sorge ums eigene Wohl heraus radikalisiert habe. Die Interpretation, dass der 59 Jahre alte Badener im Bewusstsein seiner eigenen Kündbarkeit das volle Risiko eingehe, wird in seiner Umgebung nicht geteilt: Vielmehr, so heißt es, starte Löw jetzt mit Lust in jenen Neubeginn, den er nach der missglückten WM versäumt hatte, weil er langjährige Weggefährten wie Müller und Boateng für unentbehrlich hielt und sich nicht von ihnen trennen mochte. Loyalität war Löw immer besonders wichtig. So dürfte ihn der Weg nach München viel Überwindung gekostet haben. Sie war sicher eine seiner schwierigsten Dienstreisen.

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SZ vom 07.03.2019
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