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Leichtathletik:Doping: Russland singt das Lied der Selbstheilung

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Russlands Leichtathletik-Verband will erneute Doping-Vorwürfe lieber intern klären. Nun gerät der Weltverband in den Fokus.

Von Johannes Knuth, München

Soll niemand sagen, der Leichtathletik-Weltverband IAAF widme sich nicht ausgiebig den ernsten Angelegenheiten seiner Zunft. Neuen Vorwürfen gegen den ohnehin erschütterten russischen Verband zum Beispiel, die die ARD am Sonntag präsentierte. Die IAAF teilte am Montag mit, ihre zuständige Kommission werde sich "sorgfältig mit den neuesten, in der Dokumentation aufgeworfenen Fragen beschäftigen".

Und sie werde mit Vertretern des russischen Verbands, huiuiui, "diskutieren". Nun, wenn man nach Russland horcht, ist alles vielleicht ja gar nicht so schlimm. Sportminister Witali Mutko klassifizierte die Vorwürfe als "künstliche und politisierende Anschuldigungen". Der russische Verband sprach von "einzelnen Menschen", die einen Schatten über den Sport legen würden; aber keine Angst, man werde alles "gründlich untersuchen".

Empörung im Westen, Marginalisierung in Russland

Intern. Einen Tag nach dem nächsten Tiefschlag für die Leichtathletik trudelten am Montag die üblichen Reaktionen ein: Empörung von westlichen Funktionären, Marginalisierung im betroffenen Verband, der das Lied der Selbstheilung sang. Das ist einigermaßen absurd, angesichts Beweislage und sportpolitischem Klima: Russlands Verband ist ja suspendiert, seine Athleten sind von Wettkämpfen ausgesperrt.

Die Funktionäre werben wortreich darum, wieder in die Leichtathletikfamilie eingegliedert zu werden, Olympia rückt näher. Und im Hintergrund lässt der russische Verband laut ARD gesperrte Trainer weiterarbeiten. Andere nehmen per Anruf Dopingbestellungen entgegen. Und Russlands neue Anti-Doping-Chefin verabredete früher Tests mit Athleten, am Telefon. Was Mutko als "Regelverstöße" von "Einzelpersonen" herunterspielt.

Rückblende: Mutko tauchte zuletzt prominent im Bericht einer Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada auf, die systemischen Betrug in Russlands Leichtathletik diagnostiziert hatte. Gesät wurde dieser Betrug laut Bericht auch von Mutko, der anordnete, "Dopingproben zu manipulieren". Der Minister bestreitet das.

Die Rufe werden jedenfalls lauter, Russlands Bann bloß nicht vor Olympia zu heben. "Basierend auf dem, was wir heute wissen, sollten russische Leichtathleten in Rio nicht antreten dürfen", sagt Joseph de Pencier, Chef des Verbunds nationaler Anti-Doping-Agenturen. Die Wada zeigte sich "bestürzt"; man arbeite daran, zwei internationale, unabhängige Experten in Russlands Anti-Doping-Ressort zu installieren.

Thomas Kurschilgen, Sportdirektor im deutschen Verband, sprach sich bei der Deutschen Presse-Agentur für einen "Neuanfang" in der IAAF aus; man müsse belastete Verbände auch konsequenter sperren. Tatsächlich lenkt der neue Film den Blick erneut auf Kenia, Äthiopien, auf die Türkei, wo Doping floriert. Der jüngste Dopingverdacht kommt aus der Türkei, Gamze Bulut könnte ihre olympische Silbermedaille über 1500 Meter von 2012 verlieren, wegen Blutdopings, berichten türkische Medien.

Auch in Deutschland gibt es Doping

Und sonst? Westliche Funktionäre zeigen gern auf Russland oder Afrika, dabei gibt es auch in Deutschland belastende Indizien. Bei einer Studie unter Spitzensportlern von 2013 gaben sechs Prozent der Befragten an, regelmäßig zu dopen.

40 Prozent beantworteten die D-Frage nicht. Am Donnerstag kommt das Council des Weltverbands zusammen, es berät über Russlands Resozialisierung. Dabei sind manche Mitglieder selbst in den Fokus gerückt. Karim Ibrahim aus Malaysia zum Beispiel, der in einen Dopingfall eines malaiischen Athleten verstrickt sein soll. Als Ibrahim im Herbst 2015 ins Council berufen wurde, wusste IAAF-Präsident Coe laut ARD von den Vorwürfe.

Pikant ist auch die Rolle von Dahlan Al Hamad, Vizepräsident der IAAF und Chef von Katars Leichtathletikverband. Katar hatte vor der Vergabe der WM 2019 um die Stimme von Kenias damaligem IAAF-Vertreter Isaiah Kiplagat geworben, wie die Ethiker der IAAF unlängst herausfanden: Al Hamads Verband ließ Kiplagat zwei Geländewagen zukommen. Auf Anfrage, ob gegen Al Hamad ermittelt wird, antwortete das IAAF-Ethikkomitee zunächst nicht.

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SZ vom 08.03.2016
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