Süddeutsche Zeitung

Bayern-Gegner Lazio Rom:Ein Team, das in den Himmel steigt

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Der Trainer versteht sich mit seinen Spielern, der Präsident verkauft die Besten nicht: Lazio erlebt einen Höhenflug. Nun fällt dem Klub die Gelegenheit zu, Titelverteidiger Bayern aus der Champions League zu werfen.

Von Oliver Meiler, Rom

Es gibt jetzt ein Flugzeug in den Farben der Società Sportiva Lazio, eine Boeing 737 Classic: hellblau am Bauch, weiße Schnauze, das Vereinswappen prominent platziert neben der vorderen Tür. Die Maschine ist schon 31 Jahre alt und gehört einer bulgarischen Billig-Airline, der Tayaran Jet, die damit normalerweise italienische Provinzstädte bedient. Doch Claudio Lotito, dem Präsidenten von Lazio, schien die Anmiete des Flugzeugs das passende Geschenk zu sein zum 120. Geburtstag seines Verein, gegründet im fernen 1900. "Die Mannschaft soll immer höher fliegen", sagte er, als er den Vogel vorstellte, "in den Himmeln Italiens, Europas und der Welt." Der erste Flug, von Rom ins kalabrische Crotone, war dann aber ein Albtraum. Die Maschine geriet in ein heftiges Unwetter, für den Heimweg vertraute man dann lieber auf Alitalia.

Nun, die Geschichte gereichte den Fans von AS Rom, dem Erzrivalen in der Stadt, zu einer gewissen Belustigung, was man aber auch nicht wirklich ernst nehmen darf: Die Romanisti schauen in jüngerer Vergangenheit eher neidisch zu den Cousins, die ja immerhin in der Champions League mitwirken, zum ersten Mal seit 2008, während man es selbst diesmal nur in die Europa League gebracht hat. Nun fällt Lazio sogar die Gelegenheit zu, den Titelverteidiger, den FC Bayern München, aus dem Wettbewerb zu werfen. Mehr geht nicht. Überhaupt erlebt Lazio eine glückliche Phase ihrer Vereinsgeschichte, was nicht unwesentlich an einer umsichtigen und vorsichtigen Personalpolitik liegt - und am Trainer.

Ein Trainer mit Hang zum Überschwang

Simone Inzaghi, kleiner Bruder vom langjährigen Nationalstürmer Filippo ("Pippo") und ehemalige Glorie des Vereins, coacht Lazio seit 2016. Er tut das sehr engagiert, mit Hang zum Überschwang an der Seitenlinie. Keine Sekunde bleibt er still, jede Aktion kommentiert er, und nicht selten befällt einen das Gefühl, dass Inzaghi gleich aufs Feld springt und mitspielt. Nach wichtigen Toren läuft der jungenhafte Mann, 44 Jahre alt, gerne über den Platz zum Pulk jubelnder Spieler, den ragazzi, wie er sie immer nennt, den Jungs, und wirft sich ihnen in die Arme. Die gute Chemie ist die halbe Geschichte. Und da Lazio die besten und umgarntesten ragazzi seit Jahren nicht wegziehen lässt, kann Inzaghi auf ein stabiles Team bauen, mit einstudierten Mechanismen in seinem obligaten 3-5-2-System.

Für manche Spieler hat es schon viele tolle Angebote gegeben, vor allem für die Herrschaften in der mittlerweile fein abgestimmten Umschaltzentrale, der Überfallabteilung. Für Sergej Milinkovic-Savic, den 25-jährigen serbischen Mittelfeldspieler, wurden offenbar auch schon 100 Millionen Euro offeriert. Doch Lotito will ihn unbedingt behalten, bis dann mal 150 Millionen geboten werden. Auch für Luis Alberto, den zuweilen genialen Spielgestalter aus Spanien, ein Ausbund an Technik und Vista, gibt es jedes Jahr neue Interessenten. Doch auch er blieb hängen, was er bei jeder Gelegenheit zu verstehen gibt: Er fühle sich nicht genügend geschätzt und obendrein unterbezahlt. "Für das Flugzeug hat der Verein Geld, für uns nicht", sagte er neulich und vermieste dem Patron damit alle Freude. Luis Alberto wurde abgestraft, man fürchtete gar, der Bruch lasse sich nie mehr sanieren. Doch dann entschuldigte er sich, und alles war gut.

Das Programm ist dicht, der Kader ist dünn

Lazios vorderster Bannerträger, Herz und Stolz der Laziali, bleibt natürlich Ciro Immobile: 30 Jahre alt, aus Torre Annunziata bei Neapel, aktueller Inhaber des Goldenen Schuhs für Europas besten Torschützen der vergangenen Saison. Mit sechs Treffern in der Serie A und fünf weiteren in der Gruppenphase der Champions League arbeitet er sich auch in der neuen Spielzeit immer weiter hoch in der ewigen Torschützenliste des Vereins. Er hat insgesamt schon 136 Mal für Lazio getroffen, mag man das bei Borussia Dortmund, wo Immobile 2014/15 ein missglücktes Intermezzo gab, auch für eine Stadtlegende halten. Nur Silvio Piola steht noch vor ihm - mit 149 Toren.

Doch wie bei vielen seiner Kameraden zeigten sich zuletzt auch bei Immobile Verschleißerscheinungen: Das Programm ist dicht, der Kader ist dünn. Auf manchen Positionen hat Lazio tatsächlich europäisches Niveau, die zweiten Linien aber fallen deutlich ab. Und so spielen ständig dieselben, bis zum Umfallen. Erstaunlicherweise gelingt es Lazio trotzdem immer wieder, verloren gewähnte Spiele in letzter Minute zu drehen, oftmals steht dann der ecuadorianische Stürmer und Joker Felipe Caicedo zur Stelle, sie nennen ihn auch "Panther". Die Schlussminuten heißen nun "Zona Caicedo". Weil er aber findet, er spiele viel zu wenig und der Trainer ziehe ihm ohne gute Argumente den Argentinier Joaquín Correa vor, könnte es Caicedo im Januar wegziehen.

Einen erstaunlichen Aufstieg feiert der Veteran Pepe Reina, 38 Jahre. Geholt wurde der Torwart als Nummer zwei hinter Thomas Strakosha, dem albanischen Nationalkeeper. Doch die Hierarchie geriet bald durcheinander. Strakosha hatte aber auch Pech, er gehörte zu jenen Spielern, die in das Chaos um die Corona-Tests verwickelt waren, die der Verein von einem Labor in Avellino auswerten ließ. Noch immer ermittelt die Justiz, wie es kommen konnte, dass das eigene Labor Spieler von Lazio negativ meldete, während das Labor der europäischen Fußball-Union Uefa sie vor Spielen in der Champions League gleichzeitig für positiv hielt. In den vergangenen Wochen ist es stiller geworden in dieser aufregenden Affäre, doch ausgestanden ist sie nicht.

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