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Hansi Flick vor dem Länderspiel:"Kritisiert mich, aber lasst die Spieler in Ruhe"

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Vor dem Spiel gegen Polen stellt sich der Bundestrainer entschieden vor seine Mannschaft. Hansi Flick nimmt besonders Joshua Kimmich in Schutz. Taktisch soll es trotz anfälliger Defensive vorerst mit Dreierkette weitergehen.

Von Philipp Selldorf, Warschau

Mit dem durchtriebenen Kollegen José Mourinho, 60, hat Hansi Flick, 58, auf den ersten, den zweiten und auch den dritten Blick wenig gemeinsam. Außer den Beruf des Fußballtrainers teilen die beiden Männer nicht viele Eigenschaften. Besonders beim öffentlichen Auftritt steht Mourinhos Attitüde des professionellen Kartenspielers und zweideutigen Provokateurs im Kontrast zu Flicks Redlichkeit und Neigung zur Harmonie. Am Donnerstagabend im Nationalstadion von Warschau wurde der DFB-Coach aber ausdrücklich mit dem portugiesischen Meisterredner verglichen, als er auf der Pressekonferenz eine für seine Verhältnisse bemerkenswert temperamentvolle Vorstellung hinlegte, in der er sich immer wieder als Schutzmacht seiner Mannschaft darstellte: "Kritisiert mich, aber lasst die Spieler in Ruhe."

Der Bundestrainer hatte sich für diese Pflichtveranstaltung offenkundig etwas vorgenommen. Er hatte Botschaften mitgebracht und den Willen, Kampfgeist auszustrahlen. Flick reagierte damit auf die kritische Stimmung, die aktuell ihm und der Nationalmannschaft begegnet, und auch auf Themen, die seine wichtigsten Spieler betreffen. Vor allem Joshua Kimmich nahm Flick in Schutz, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes gefragt worden war ("Ich möchte mal Jo ansprechen, weil es mir am Herzen liegt").

Flick vergleicht Kimmich mit Michael Jordan und Kobe Bryant

Die just von Lothar Matthäus verbreitete Ansicht, Kimmich sorge durch seine dominante Art dafür, dass die Mitspieler in seiner nächsten Nähe - unter anderen Leon Goretzka - "konstant schlechter" spielten, nahm Flick zum Anlass eines feurigen Plädoyers. "Nullkommanull" könne er den Vorwurf verstehen: "Jo hat die Mentalität, einfach immer gewinnen zu wollen, dafür tut er alles, und es ist mehr als verständlich, dass er auch mal eine schlechte Phase hat", sagte Flick und zog überraschende Bezugsgrößen heran. Er verglich Kimmich mit den Basketball-Legenden Michael Jordan und Kobe Bryant. "Er geht voran und ist ein Vorbild für die Spieler."

Zur Verteidigung von Kimmich gelangte er über eine Lobrede auf Ilkay Gündogan. Er würdigte Gündogan für seine tragende Rolle beim Triple-Sieg Manchester Citys, äußerte dann aber den Verdacht, dass dessen aktuell hohes Ansehen bald wieder sinken könnte. Es komme ihm so vor, "dass man Spieler gerne Richtung Sonne hebt - und wenn sie eine schlechte Phase haben, schauen wir zu, wie sie verbrennen". Den bitteren Unterton relativierte er später.

Gündogan, nachträglich angereist, wird am Freitagabend beim Test gegen Polen noch nicht mitspielen, dafür übernimmt Marc-André ter Stegen wieder seinen Posten im Tor, nachdem Kevin Trapp gegen die Ukraine (3:3) noch zwischen den Pfosten gestanden hatte. Flick kündigte zudem weitere Änderungen an, Jamal Musiala und Kai Havertz sollen von Anfang an spielen. Beibehalten wird der Bundestrainer das Experiment mit der Dreierkette, auch dazu äußerte er sich engagiert. Die Gegentore gegen die Ukraine seien nicht die Folge von Systemproblemen gewesen, sagte Flick, sondern von individuellen Fehlern und zu viel Zurückhaltung. Er erwarte in Warschau eine andere Körpersprache als in Bremen: "Wir haben die Fehler angesprochen. Die Basics müssen da sein. Wie gehe ich in die Zweikämpfe, wer sichert ab? Es geht darum, unter Druck Bälle zu behaupten. Ein bisschen mehr Körperlichkeit tut uns gut." So viel Kritik an seinen Spielern hält offenbar auch Flick für angebracht - jedenfalls, wenn er sie äußert.

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