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Kommentar:China muss Protest in Deutschland akzeptieren

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Wenn die chinesische U 20 hier Testspiele bestreitet, dann müssen sie Meinungsäußerungen in Form von tibetischen Fahnen tolerieren. Der DFB hätte dieses Problem voraussehen können - wenn er auf die Fans gehört hätte.

Kommentar von Sebastian Fischer

Es ist im professionellen Fußball verpönt, auf Fans zu hören. Fans schauen mit idealistischem Blick auf den Sport, mit ihnen zu reden, kann anstrengend sein. Aber mal angenommen, der Deutsche Fußball-Bund wäre der Aufforderung zum öffentlichen Dialog nachgekommen, die ein Fan-Bündnis mehrer Regionalligaklubs vor der Testspielserie der chinesischen U-20-Nationalmannschaft vorgebracht hatte: Womöglich würde der Verband nun nicht derart im Dilemma stecken.

In einem offenen Brief hatten die Anhänger die kommerziellen Motive des DFB angeprangert, die sie hinter der Vereinbarung vermuten, dem chinesischen Fußballverband den Wunsch zu erfüllen, außer Konkurrenz am Spielbetrieb der Regionalliga Südwest teilzunehmen. Das war nachvollziehbarer, aber anstrengender Idealismus. Doch die Fans wiesen auch auf die stark eingeschränkte Meinungsfreiheit in China hin und fragten, ob die Zusammenarbeit mit dem moralischen Kompass des DFB zu vereinbaren sei - das sagte die folgenden Probleme ziemlich präzise voraus.

Nachdem die Chinesen im ersten Spiel in Mainz den Rasen verlassen hatten, weil Aktivisten auf der Tribüne tibetische Fahnen zeigten, stehen sich schon vor dem zweiten Spiel am Samstag beim FSV Frankfurt die Ansichten der chinesischen Regierung, die das Projekt genau verfolgt, und des DFB diametral gegenüber. Der DFB verurteilte zwar die Provokation der Aktivisten, rät den Chinesen aber zu Gelassenheit. Die Stellungnahme aus Chinas Außenministerium klingt dagegen nicht gelassen: Man sei entschieden gegen jedes Land, das antichinesischen Aktivitäten "unter irgendeinem Vorwand" Unterstützung anbiete. Freie Meinungsäußerung, das ist in China eben nur irgendein Vorwand.

Der Fan-Dialog hätte den DFB früher zur Stellungnahme gedrängt, vielleicht wäre so eher und intensiver auch mit den Chinesen über möglichen Protest geredet worden. Ein Gespräch hätte vielleicht auch beschwichtigend auf die Fans eingewirkt, die nun besonders motiviert sind, jedes Wochenende tibetische Fahnen zu schwenken; die Anhänger des FSV Frankfurt waren Teil des Protestbündnisses. Auch wenn es ihnen dabei vielleicht nicht nur um Aufmerksamkeit für die völkerrechtlich umstrittene Annektierung Tibets geht, sondern um geplante Provokation, sind sie im Recht.

Shao Jiayi, der Manager von Chinas U 20, erhofft sich von den Testspielen, dass die Spieler die deutsche Fußballkultur kennenlernen, so hat er es vor der ersten Begegnung gesagt. Sie müssen nun zunächst lernen, dass zu dieser Kultur auch politischer Protest im Stadion gehört. Sonst werden sportliche Erkenntnisse nicht möglich sein.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2017
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