Süddeutsche Zeitung

1. FC Köln:Auf geht's! Volksfest!

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Von Philipp Selldorf, Köln

Mats Hummels erhielt nach seinem Saisondebüt beim 5:1 gegen Augsburg Bestnoten, der Kicker mutmaßte gar in Anbetracht der starken Passquote, er habe seine maßgenauen Chip- und Diagonalbälle in die Angriffszone "von einem Elektronengehirn berechnen lassen". Dies wäre natürlich höchst unmoralisch, doch glaubt der Kölner Trainer Achim Beierlorzer nicht an solche Machenschaften. Die Verantwortung für Hummels' prägenden Auftritt sieht Beierlorzer beim Gegner, der es unterlassen habe, den Abwehrchef an seiner Lieblingsbeschäftigung zu hindern: "Hummels konnte ohne Druck 20 Pässe reinspielen und Gefahr erzeugen."

Niemand weiß, was passieren wird, wenn der 1. FC Köln an diesem Freitagabend mit Borussia Dortmund zusammentrifft, aber zumindest eines ist bereits bekannt: So wie die Augsburger wollen es die Kölner nicht machen, das hat Beierlorzer in einer Deutlichkeit erläutert, die einigen leicht reizbaren Vertretern des FCA womöglich nicht gefällt, weil sie es als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachten mögen. Beierlorzer berichtete, er habe beim TV-Studium der Partie nicht gesehen, dass die Augsburger dem Favoriten durch ständiges Dagegenhalten auf die Nerven gegangen wären, "sie haben es so passiv gestaltet, dass sich Dortmund den Gegner zurechtlegen konnte".

Dass der 51 Jahre alte Coach, der im Sommer aus Regensburg nach Köln gekommen ist, so ungezwungen die Augsburger Versäumnisse referierte, verdeutlicht mindestens zweierlei: Erstens, dass sich Beierlorzer noch nicht die freie Meinungsäußerung versagt, wie das Trainer in der ersten Liga oft zu tun pflegen. Und zweitens, dass der FC Augsburg für den 1. FC Köln eine logische Referenzgröße darstellt, wenn es darum geht, den eigenen Stellenwert im Wettbewerb einzuschätzen.

Der 1. FC Köln ist im Sommer ein ganzes Stück kleiner geworden, als er es im vorigen Jahr war. Der FC Bayern der zweiten Liga hat sich in einen Klub verwandelt, der wie Augsburg, Paderborn oder Mainz bescheiden danach strebt, auch nächste Saison dazugehören zu dürfen. Das entspricht nicht dem Kölner Selbstverständnis, das eine natürliche Zugehörigkeit zur deutschen Fußball-Aristokratie voraussetzt, aber den Tatsachen der jüngeren Geschichte, wie der Sportchef Armin Veh, 58, mit dem nüchternen Blick des Zugewanderten befindet: "In 20 Jahren sechsmal abzusteigen, das ist einfach zu viel, da geht die Schere immer weiter auseinander. Man kann sich keine Werte aufbauen, wenn man ein Fahrstuhlklub ist, dafür braucht man Kontinuität."

Dieses in seinen Grundfesten immer wieder erschütterte Unternehmen hat Veh nun einem Spezialisten anvertraut, in dessen Trainervita außer Jahn Regensburg und RB Leipzig (wo er Juniorenteams betreute) lediglich der SV Kleinsendelbach und der SC 04 Schwabach verzeichnet sind. Zu Beierlorzers Spielerzeiten war Greuther Fürth die prominenteste Station - in Zeiten, als die Franken der Bayernliga angehörten. Trotz dieser überschaubaren Kontakte mit dem Profisport hebt Veh besonders Beierlorzers "Lebenserfahrung" hervor, was einen durchaus staunen lässt, weil Veh dafür bekannt ist, die Menschen um ihn herum nach alter Fußballerart in zwei Kategorien einzuteilen: Ob einer früher in der Bundesliga gespielt hat oder ob er bloß ein lebenslanger Amateur bleibt.

Der Trainer und Erstliga-Novize Beierlorzer gerät vor dem Duell mit dem BVB ins Schwärmen

Beierlorzer ist offenbar der Beweis, dass Veh es in Wahrheit nicht ganz so eng sieht. Über den FC-Coach spricht Veh Sätze, die ihm zum eigenhändig und kurzfristig entlassenen Aufstiegstrainer Markus Anfang - einem weit gereisten Bundesligaprofi - nie eingefallen sind: "Wer mit dem Achim nicht kann, der ist selber schuld. Das ist ein sauberer, gradliniger Mensch, der zum Glück ein paar Jahre auf dem Buckel hat und Lebenserfahrung besitzt. Da ist meine Mannschaft in guten Händen." Befürchtungen, der Augsburger Schwabe Veh und der Franke Beierlorzer könnten auf rheinischem Boden in einen innerbayerischen Konflikt geraten, erübrigen sich fürs Erste.

Im Übrigen ist es gerade die Unbefangenheit des Liga-Neulings, die Veh an Beierlorzer sehr schätzt. Veh selbst ist ein solcher Enthusiasmus nach all den Jahren im Fußballgeschäft ein wenig abhandengekommen, Beierlorzer hingegen versetzt sein erstes persönliches Duell mit Borussia Dortmund ins Schwärmen. Die Rolle des Außenseiters kommt ihm dabei gerade recht: "Die Situation, in der wir uns jetzt befinden, ist genau die Situation, die den FC in der letzten Saison in der zweiten Liga so genervt hat: Dass jeder, der gegen den FC gespielt hat, das Spiel zu einem Volksfest gemacht hat", sagt Beierlorzer: "Jetzt spielen wir gegen Dortmund. Da sage ich: Auf geht's!

Volksfest!" Ein Aufruf, für den die Kölner stets empfänglich sind. Veh wäre trotzdem nicht überrascht, wenn der FC nach fünf Spieltagen am Tabellenende stünde, das Kölner Startprogramm ist deftig. Doch mehr als Punktelosigkeit ("der Trainer kann moderieren") besorgt ihn die komplizierte innenpolitische Lage. Seit Monaten führt ein Interimsvorstand den Klub, im September wird ein neues Präsidium gewählt, dessen Wirkungskraft im Ungewissen liegt. Im Frühjahr hatte sich Veh mitten in die Kampfzone der Parteikämpfe begeben, er habe seine Meinung gesagt und auch durchgesetzt, sagt er. "Aber wir brauchen innere Ruhe. Auf Dauer wird es nicht funktionieren, wenn es keine Einheit gibt", sagt Veh: "Ich kann Konflikte austragen, aber eigentlich bin ich ein harmoniebedürftiger Mensch." Am Ende der Saison läuft der Vertrag des Sportchefs aus. Ob das bayrische Zweigespann in der sportlichen Führung des FC dann noch Bestand haben wird, das mag Veh nicht garantieren.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2019
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