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Trainer des 1. FC Nürnberg:"Mit einem Spiel kann sich hier alles drehen"

Lesezeit: 7 min

Vor dem Frankenderby gegen Fürth spricht Club-Trainer Robert Klauß darüber, wie er wie er sein Fußballideal vermitteln will - und was an Dieter Hecking "old school" ist.

Interview von Sebastian Fischer und Thomas Gröbner

Nach dem Beinahe-Absturz in die dritte Liga soll Robert Klauß, 35, beim 1. FC Nürnberg die Wende zum Guten bringen; mit frischen Ideen, unbelastet von der jüngeren Club-Vergangenheit, hat er Anfang August nach zehn Jahren bei RB Leipzig seinen ersten Profi-Cheftrainer-Posten angetreten. Die anfängliche Euphorie ist inzwischen aber schon wieder etwas verflogen am Valznerweiher, vor dem 267. Frankenderby am Sonntag (13.30 Uhr) ist der FCN Zehnter, Fürth liegt auf einem Aufstiegsrang. Viel Lob hat Klauß deshalb in der Pressekonferenz am Freitag für den Rivalen übrig, aber: "Wir haben auch Waffen." Und auch im SZ-Interview per Videoanruf ist ihm die Vorfreude aufs Spiel anzumerken. Er weiß: Für die Wende zum Guten beim Club ist es eine wichtige Partie.

SZ: Herr Klauß, Ihr erstes großes Derby als Cheftrainer steht an. Können Sie mit so einer Rivalität etwas anfangen?

Robert Klauß: Ja, natürlich, auch wenn ich es zum ersten Mal erlebe. Ich komme aus Leipzig, RB hat nicht so eine große Tradition, dass es da solche Spiele geben könnte. Im Nachwuchs hatte ich Derbys gegen Dresden, und mit der U21 habe ich mal gegen Lok Leipzig gespielt, das war schon ein brisantes Duell. Aber in dieser Größenordnung? Noch nie. Deshalb bin ich sehr gespannt auf Sonntag.

Die Geschichte des ältesten deutschen Fußballderbys hat viele Legenden hervorgebracht. Hat man Ihnen schon erklärt, womit Sie es da zu tun haben?

Wenn man in Nürnberg ankommt, dann merkt man, dass es da noch einen anderen Verein gibt, der immer wieder in Erzählungen auftaucht. Konkrete Geschichten kenne ich noch nicht. Das wird sich aber bestimmt ändern.

Das sogenannte Umfeld in Nürnberg ist berüchtigt. Haben Sie davon trotz Corona schon etwas zu spüren bekommen?

Man merkt, dass sich diese Stadt extrem mit dem Verein identifiziert. Um es einfach auszudrücken: Bei einer Niederlage ist fast alles schlecht, bei einem Sieg alles gut. Ein rationales Mittendrin gibt es sehr selten. Mit einem Spiel kann sich in Nürnberg alles drehen. Aus der Leidenschaft kann aber auch etwas entstehen. Wenn wir Erfolg haben, können wir dieses Feuer nutzen.

Wie bekommen Sie dieses Feuer überhaupt mit, ohne Fans im Stadion?

Am Morgen nach dem Spiel gegen Osnabrück (4:1, Anm.) habe ich auf dem Weg zum Trainingsgelände Altglas zum Container gebracht. Da kam ein Mann vorbei, der rief von weitem: "Super Spiel gestern, toll." Vor drei Wochen wurde ich noch mit den Worten auf der Straße angesprochen: "Sie müssen schon mal wieder gewinnen ..."

Das Urteil fiel da wohl so hart aus, weil der Club vor dem Sieg in Osnabrück sechsmal eine Führung verspielt hatte. Nun haben Sie zehn Punkte nach acht Spielen. Wie bewerten Sie Ihre Bilanz?

Ich halte wenig davon, pauschal alles gut oder alles schlecht zu sehen. Das sage ich auch immer nach den Spielen. Es geht immer darum, konstruktiv zu argumentieren: Was haben wir gut gemacht, was weniger gut? Uns fehlen zwei, drei Punkte. Wir sind nicht ganz zufrieden. Aber die Entwicklung, die die Mannschaft macht, ist genau richtig.

Trotz des holprigen Starts?

Ein neuer Trainer, neue Spieler, eine neue Spielidee - es war uns klar, dass nicht alles von Anfang an super laufen wird. Die Mannschaft ist letztes Jahr fast abgestiegen. Da kann man nicht davon ausgehen, dass vom ersten Tag an alles funktioniert.

Sportvorstand Dieter Hecking sprach neulich vom "Rucksack", den die Mannschaft, die sich im Kern im Sommer nicht großartig verändert hat, noch mit sich herumtrage - weil die Gedanken an den Fast-Abstieg in die dritte Liga noch so präsent sind. Ist dieser Rucksack noch da?

Unsere Aufgabe ist es, Stein für Stein aus dem Rucksack rauszunehmen. In Osnabrück war es der nächste Stein, weil wir gezeigt haben: Wir können auch eine solche Leistung abliefern, obwohl wir vorher nicht genügend Punkte geholt haben. Es ist immer mal wieder so, dass nach einer Niederlage im Umfeld die Gedanken aufkommen, dass es wieder in die gleiche Richtung wie letzte Saison gehen könnte. Das kann ich auch verstehen. Aber innerhalb der Mannschaft merkt man, dass die Spieler aus den Fehlern gelernt haben, dass sie sich anders verhalten wollen, wenn es mal kritisch wird.

Wie würden Sie Ihre Beziehung zu den Spielern beschreiben, von denen manche nur ein paar Jahre jünger sind? Wenn Stürmer Manuel Schäffler im Bus auf der Heimreise nach Auswärtsspielen eine Kniffelrunde ausruft - sind Sie da dabei?

Gerade bei solchen Sachen möchte ich, dass die Spieler das für sich machen. Dann können sie auch Dinge besprechen, die wir Trainer nicht hören sollen, sich auch mal auskotzen übers Trainerteam. Aber die Spieler hätten, glaube ich, nichts dagegen, wenn ich mitkniffeln würde.

Also sind Sie schon näher am Team, als es ein älterer Trainer wäre?

"Cheffe" (Manuel Schäffler, Anm.) ist beispielsweise auch Vater von kleinen Kindern, ähnlich wie ich. Wir haben gemeinsame Themen. Ähnlich ist es mit anderen Spielern. Aber wenn es um taktische Dinge geht, gebe ich schon die Richtung und den Rahmen vor.

Zuletzt sagten Sie, die Mannschaft sei "mit Ball" noch relativ weit weg von Ihrer Idealvorstellung. Wie sieht die aus?

Ein guter Mix aus Ballbesitz und Tempoangriffen. Sodass wir immer das Gefühl haben: Wenn wir wollen, können wir sofort Richtung Tor spielen. Diese Mischung bekommen wir noch nicht hin.

Warum?

Torgefährlicher Ballbesitz ist die Königsdisziplin im Fußball, das ist das Schwerste. Das Spiel gegen den Ball zu trainieren, ist nicht so schwer. Umschaltmomente zu trainieren, das ist auch okay. Aber Ballbesitz - das erfordert Mut, Selbstvertrauen, individuelle Qualität. Da müssen wir noch weiter dran arbeiten.

RB Leipzig, wo Sie zehn Jahre arbeiteten, galt lange als ein Pionier des sogenannten Umschaltfußballs - und der ist inzwischen auch in der zweiten Liga der meist gewählte, pragmatische Ansatz.

Ich glaube schon, dass man mit schnellem Umschalten und gutem Spiel gegen den Ball Erfolg haben kann. Ich möchte aber, dass meine Mannschaft variabler ist. Es ist auch unsere Aufgabe, die Spieler zu entwickeln. Das geht am besten, indem man sie ganzheitlich ausbildet. Außerdem gibt es auch andere Wege zum Erfolg. Der VfB Stuttgart spielt als Aufsteiger aus der zweiten Liga zum Beispiel gerade sogar in der Bundesliga stabilen Ballbesitzfußball. Fürth spielt sehr gut mit Ball, auch Darmstadt. Das sind Mannschaften, die haben alle keine riesigen Etats, sondern eine Idee entwickelt. Ich glaube, dass man am meisten Spaß hat, wenn man versucht, alle Phasen des Spiels zu betrachten.

Die Phasen ohne Ball nannten Sie zuletzt den "talentfreien Bereich". Klingt fies.

Vielleicht, aber das bringt es auf den Punkt. Aufmerksam sein, bereit sein, alles zu geben, sich in jeden Ball werfen: Das sind Dinge, die kann ich machen, ohne dass ich fußballerisch talentiert bin.

Und wo steht die Mannschaft im "talentfreien Bereich"?

Wir haben noch keine gute Zweikampf-Bilanz, da bin ich noch nicht zufrieden. Aber unsere Sprintwerte gehen in die Richtung, wo wir hinwollen.

Sie lobten die Mannschaft zuletzt, weil sie auf die Marke von 250 Sprints kam in einer Partie. Stützen Sie Ihre Analyse oft auf solche Werte?

Ich schaue schon auf Daten, besonders auf die Statistiken, die wichtig sind für unsere Art, das Spiel zu lesen. Sprintwerte sind entscheidend im Spiel gegen den Ball. Dazu kommen die Torabschlüsse aufs Tor. Und die "Expected Goals" (die addierte Wahrscheinlichkeit der Chancen im Spiel, ein Tor zu erzielen, Anm.) für und gegen uns. Das sind für mich relevante Werte, nach denen ich das Spiel bewerte.

Wenn man Sie über Fußball sprechen hört, Herr Klauß, dann merkt man, dass Sie aus einer anderen Trainergeneration kommen als Sportvorstand Hecking, der Sie nach Nürnberg geholt hat. Im SZ-Interview vor der Saison hat Hecking zum Beispiel verraten, dass er das Wort "Halbspur" auf den Index gesetzt hat.

(Lacht) Das ist bei uns der Running-Gag. Da ist er wirklich noch old schoo l, das sagt er auch über sich selbst. Nach dem Motto: Er hat vor zehn Jahren schon Halbraum dazu gesagt, jetzt brauche ich nicht anfangen, Halbspur zu sagen, nur weil ich aus Leipzig komme. Zwei Generationen im Fußball-Dialog, das macht für mich aber auch einen Reiz aus. Man hat die gleiche Idee, sieht das Gleiche, benennt es nur anders. Ich finde es total angenehm, dass Dieter so uneitel ist und sagt: Ihr könnt mir mit eurem neumodischen Schmarrn wegbleiben! Auch wir als junge Trainer müssen da uneitel sein und nicht denken, dass wir den Fußball neu erfinden.

Holen Sie sich Rat bei ihm?

Wenn ich das nicht machen würde, wäre ich ja schön blöd. Er hat einen unfassbaren Erfahrungsschatz, ist ein sehr empathischer Mensch, der Freude daran hat, sich mit jungen Trainern auszutauschen. Und er merkt, wenn jemand Hilfe braucht. Ich frage ihn aber keine taktischen Details, um die muss ich mich schon selber kümmern.

Über welche Themen sprechen Sie?

Solche, bei denen du als junger Trainer noch nicht so einen großen Wissensschatz haben kannst. Führung der Mannschaft, Umgang mit der Presse. Alles, wo man nur gut ist, wenn man schon Erfahrung hat.

Was war sein wertvollster Rat?

Der ist immer wieder: Bleib bei dir und mach, was du für richtig hältst, du machst das gut. Wenn du das vom Chef hörst, ist das schon in Ordnung, glaube ich.

Im Sommer waren Sie als junger Trainer noch weitestgehend unbekannt. Es gab stets drei Dinge, die aufgezählt wurden, um Sie vorzustellen: Sie traten 2015 in der TV-Sendung "Schlag den Raab" an, Sie waren 2018 Jahrgangsbester im DFB-Fußballlehrer-Lehrgang - und Sie sind ein Trainer aus der RB-Schule. Waren Sie einverstanden mit der Beschreibung?

Wenn man nur das Dritte nimmt, dann ist das völlig ausreichend. Ich bin der Typ, der ewig bei RB war, der jede Mannschaft im Nachwuchs trainiert hat, mit dem Verein groß geworden ist, dort viel gelernt hat und schließlich das Glück hatte, unter zwei so großartigen Trainern wie Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann Co-Trainer sein zu dürfen. Eine bessere Ausbildung kann man sich nicht vorstellen.

Und die anderen zwei Punkte?

Die gehören einfach zu meiner Vita dazu, aber die charakterisieren mich nicht als Trainer. Dass ich bei "Schlag den Raab" war, wurde kurz von den Medien hervorgeholt, das ist auch völlig okay. Und was den Fußballlehrer angeht: Ich war der letzte Jahrgangsbeste, und es hat auch einen Grund, dass es diese Auszeichnung nicht mehr gibt. Weil es die Leistung der anderen Teilnehmer abschwächt. Die anderen waren genauso gut und hatten teilweise noch größere Herausforderungen zu meistern. Das kann man als Beschreibung also auch weglassen.

Und sollte man etwas hinzufügen?

Es würde mir reichen, wenn im Laufe der Saison ein paar positive Sachen über meine Mannschaft geschrieben werden. Nicht nur, dass ein Spiel gut war, sondern dass eine Entwicklung zu sehen ist.

Herr Klauß, wir holen "Schlag den Raab" jetzt auch noch einmal kurz hervor: Sie haben damals zwar verloren, aber ein paar Spiele gewonnen - unter anderem das Erraten rückwärts gespielter Lieder.

Oh, ja! Da bin ich auch sehr stolz drauf! Darin gegen Raab zu gewinnen, das ist schwer.

Das trifft sich gut. Denn wir würden Ihnen jetzt einen Song rückwärts vorspielen, den Sie erraten sollen.

(Hört 13 Sekunden lang zu) Das müsste "Die Legende lebt" sein (Nürnbergs Vereinshymne, Anm.).

Korrekt.

Da hatte ich jetzt einen Heimvorteil.

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SZ vom 29.11.2020
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