Süddeutsche Zeitung

Champions League:Mit einem linken Fuß aus Stahl

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Juventus Turin muss im Achtelfinale der Champions League gegen Villarreal mal wieder die Ehre des gesamten italienischen Fußballs retten. Helfen soll ein Neustart des Trainers - und Dusan Vlahovic.

Von Oliver Meiler, Rom

Dem Herzen befiehlt man ja nichts. Wenn nun aber tief drinnen und natürlich nur heimlich viele Italiener auf Juventus Turin hoffen, die sonst auf eben diese Juve einen schönen Teil ihrer negativen Alltagsgedanken verwenden, dann ist das einer kalten Rechnung geschuldet. Für einmal spielt deshalb auch der Tifo contro nur eine untergeordnete Rolle, das Fiebern mit dem Gegner also, in diesem Fall mit der frech-frischen Provinztruppe Villarreal im grellgelben Outfit. 1:1 endete das Hinspiel in Spanien, und da die Auswärtstore nicht mehr doppelt schwer wiegen, ist noch gar nichts gewonnen. Panico!

Flögen jetzt auch noch die blasierten Turiner aus der Champions League, stünde Italien wieder nackt da, schon im Viertelfinale. Milan, Atalanta, Inter Mailand, alle sind noch früher ausgeschieden. Geht das so weiter, liefe Italiens Fußball womöglich sogar Gefahr, bei der Europa-Union Uefa einen Startplatz in der Königsklasse zu verlieren.

Seit vier Jahren hat es kein italienisches Team mehr ins Halbfinale geschafft, damals war es die AS Roma, ein Überraschungscoup. Zwölf Jahre ist es schon her, dass eine Mannschaft aus Italien den Pott mit den weit geschwungenen Henkeln gewonnen hat, damals Inter, mit José Mourinho, gegen den FC Bayern. Dazwischen: Sechs Mal ging der Pokal nach Spanien, drei Mal nach England, zwei Mal nach Deutschland. Der Calcio quert da eine schier endlose Wüste.

"Alle hängen an Juventus", schreibt La Stampa. "Damit die Schmach eines Waterloo abgewendet werden kann." Wie schnell doch immer die alten Schlachten bemüht werden. Klar, La Stampa ist die Zeitung aus Turin, da schwingt eine Note lokaler Stolz mit. Allerdings ist es nur eine leise. Auch Serienmeister Juve hat schon lange nichts mehr ganz Großes gewonnen, seit 26 Jahren. Mehr als ein Vierteljahrhundert. Überhaupt: Die Rivalen aus Mailand führen in ihrer Titelsammlung mehr europäische Triumphe; Milan sieben, Inter drei. Bei Juve sind es nur zwei, der große Makel in der sportlichen Bilanz. Es wäre eine Sensation, würde ihr ausgerechnet in dieser bewegten Saison eine Schönung gelingen.

Die Wettbüros jedenfalls sind pessimistisch, die Fans von Juventus wohl auch, trotz allem. In der Meisterschaft legen die Turiner eine eindrückliche Aufholjagd vor: Keines der vergangenen 15 Spiele ging verloren, seit vergangenem November kassierte man nur zehn Gegentore. Und da die Konkurrenz aus Mailand und Neapel zuweilen schwächelt, steht Juventus nun auf Platz vier, nur noch sieben Punkte hinter Leader Milan. Nach vierzehn Spieltagen hatte der Rückstand auf den damaligen Spitzenreiter Napoli 14 Zähler betragen. Es ist, als habe die Kur von Trainer Massimiliano "Max" Allegri nun doch gewirkt, es ist gewissermaßen ein Neustart.

Nun steht Juve wieder tief, wie ein Marmorblock

Allegri ist im vergangenen Sommer zurückgeholt worden, nach zwei missglückten Experimenten mit Maurizio Sarri und Andrea Pirlo. Damit er an frühere Erfolge anknüpfe, an die Phase "Max I", 2014 bis 2019. Mit dem Coach aus dem toskanischen Livorno stand Juve auch zweimal im Finale der Champions League, 2015 und 2017. Die Ambitionen der Besitzerfamilie Agnelli waren damit schon recht üppig bedient. Doch so erfolgreich und unheimlich effizient Juve unter Allegri spielte: Es fehlte die Bellezza, und ohne Schönheit gebricht es auf Dauer halt auch an Grandezza. Sarri war das Versprechen auf eine spielphilosophische Revolution gewesen. Bei Pirlo hing man der romantischen Hoffnung nach, dass sich seine grandiose Klasse auf dem Feld wie von Zauberhand auf die Trainerbank schubsen lasse. Es ging schief: Platz vier in der Serie A, in der Champions League schied man im Achtelfinale aus.

So erinnerte man sich an Allegri, und der ist im Sabbatical seinen Spielideen treu geblieben, warum auch nicht. Juve steht nun wieder sehr tief, wie ein Marmorblock, und versucht vor allem, nicht zu verlieren. Das ist selten sehr hübsch anzusehen, aber wenigstens stimmen nun wieder die Resultate.

Auf dem winterlichen Transfermarkt sicherte man sich die Dienste eines jungen Mannes, der die paar wenigen Torchancen, die sich Juventus erspielt, prompt nutzen soll, mit der gedankenlosen Kälte eines Mittelstürmers: Der Serbe Dusan Vlahovic, 22 Jahre alt, aus Belgrad, ein Linksfuß, 1,90 Meter groß und wuchtig, wird nun oft in einem Atemzug mit Kylian Mbappé und Erling Haaland genannt - ein moderner Angreifer mit viel Zukunft. "Topplayer", sagen sie in Italien, vielleicht sogar Toptopplayer. Vlahovic kam von Fiorentina, das ihn vor vier Jahren entdeckt und für eineinhalb Millionen Euro geholt hatte, eine Investition mit beträchtlicher Rendite. Rechnet man alle Kommissionen dazu, die da geflossen sind, kostete der Umzug nach Turin mehr als 80 Millionen Euro.

Als der Neue eine Trikotnummer wählen sollte, wählte er die 7. Was es damit auf sich habe, fragte die Presse, etwa eine Anlehnung an den weggezogenen Cristiano Ronaldo, an CR7? "Zahlen bedeuten mir nicht viel", sagte Vlahovic, "die 7 ist am nächsten an der 9." Darüber ließe sich nun streiten, aber klar: Die Zahlenlogik im Fußball orientiert sich noch immer da und dort an den Spielerrollen: Achter und Zehner, objektiv näher an der Neun, agieren gemeinhin im Mittelfeld. Und die Neun trägt bei Juve schon Alvaro Morata, der spanische Mittelstürmer, der gerade das nicht ist, was sie sich in Turin von einem Knipser und einem Pfeiler in der Offensive erwarten - wenigstens nicht immer.

Ein Debüt mit Wumms: Vlahovic trifft in Villarreal nach 33 Sekunden

Vlahovic läuft nun schon unter DV7. Manche Kommentatoren sagen auch seinen Vornamen richtig: Dusan klingt wie Duschan. Und das h im Nachnamen hauchen die ersten mit leichtem Kratzen in der Stimme, wie sich das gehört. Die Ankunft ist also geglückt, seine Trikots verkaufen sich gut, er wächst gerade zum Idol der jungen Fans. In Villareal spielte Vlahovic zum ersten Mal überhaupt in der Champions League - und erzielte nach 33 Sekunden sein erstes Tor.

Erstaunlich wenig zu reden gaben die weiteren, durchaus interessanten Umstände dieses Transfers. Um Juventus' Finanzen steht es nämlich nicht so gut. Die Buchprüfer der Uefa schauen genau hin, und die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt wegen dubioser Praktiken beim Führen der Bilanzen. Für einen Coup fehlte also das Geld. Doch allein die reinen Transfergebühren für den Wechsel von Vlahovic im Januar beliefen sich auf 70 Millionen Euro.

Und dann trug es sich zu, dass Juve genau diesen Betrag mit dem Verkauf von zwei Karteikarten einnahm: Der Weggang des Schweden Dejan Kulusevski brachte 45 Millionen, jener des Uruguayers Rodrigo Bentancur 25 Millionen. Beide wechselten zu Tottenham Hotspur, wo zwei prominente, ehemalige Angestellte von Juventus arbeiten: Trainer Antonio Conte und Sportdirektor Fabio Paratici.

70 Millionen, fast auf den Cent genau. Das kann natürlich ein Zufall sein. In diesem Fall war es wohl eher ein unwahrscheinlicher Glücksfall. So träumen die Juventini und mithin heimlich halb Italien nun davon, dass der "Cyborg aus Belgrad", wie die Gazzetta dello Sport Vlahovic nennt - weil dieser einen linken Fuß aus Stahl habe -, jetzt auch den nationalen Fußball rettet, ein bisschen eben.

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