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Juve-Spieler Paul Pogba:Zauberlehrling mit acht Beinen

Lesezeit: 3 min

Raffiniert wie Zidane, kraftvoll wie Vieira: Paul Pogba ist begehrt wie kaum ein anderer Fußballer. Juventus Turin stellt den Mittelfeldspieler vor dem Duell mit dem BVB ins Schaufenster - denn er soll dem Klub eine Ablöse von 100 Millionen Euro einbringen.

Von Birgit Schönau, Rom

Für die ganz großen Gelegenheiten holt man in Italien immer noch das Tafelsilber heraus. Und Juventus Turin, mit 30 Titeln unerreichter Rekordmeister, hat auch mitten in der schwersten Fußball- Krise im Land immer noch Spieler, um die der Klub von der Konkurrenz glühend beneidet wird. Zu nennen wären da vor allem zwei: der Italiener Andrea Pirlo und der Franzose Paul Pogba, also der lässige Mittelfeldmagier und sein temperamentvoller Zauberlehrling. Am Dienstagabend, wenn Juventus Turin in der Champions League Borussia Dortmund empfängt, sollen sie wieder funkeln, schließlich handelt es sich um eine der wenigen ganz großen Gelegenheiten in dieser Saison.

Erstens ist Juventus die einzige italienische Elf unter den letzten 16 der Champions League. Zweitens verlangt die Serie A vom Titelverteidiger, der seinen Abstand zum Zweitplatzierten AS Rom auf neun Punkte ausbaute, nicht viel mehr als Alltagsroutine. Beim öden 2:1 am vorigen Freitag gegen Bergamo etwa vermochte zwar ein Kunststück des Edelroutiniers Pirlo den Sieg zu retten, der Rohdiamant Pogba aber blieb unauffällig wie ein Kieselstein.

Die Liga ist für Juve nur noch Pflichterfüllung, aller Ehrgeiz richtet sich auf Europa. Da will man zeigen, wozu man noch fähig ist - und was man noch hat. Rechtzeitig vor dem Auftritt gegen den BVB wurde also Pogba schon mal ins Schaufenster gestellt, den Part als Marktschreier übernahm sein Agent Mino Raiola. "Einen wie Pogba gibt es nicht noch mal", prahlte Raiola gegenüber der spanischen Sport- gazette Marca. "Wer ihn ergattert, bekommt den Star der nächsten Generation." Gegen die Kleinigkeit von 100 Millionen Euro. Weltweit gebe es sieben Klubs, die sich das leisten könnten, sinnierte Raiola und ließ durchblicken, dass sein Kunde bei Real Madrid am besten aufgehoben wäre.

Bei Juve lässt man Raiola einstweilen reden, eilfertig verbreitet auch das Hausblatt La Stampa die Wechselgerüchte. Tatsache ist: Anfang November hatte der Franzose seinen Vertrag bis 2019 verlängert und sein Gehalt auf 4,5 Millionen Euro netto im Jahr verdreifacht. Gleichzeitig pokert Agent Raiola weiter um Pogbas persönlichen Sponsor, ein Angebot von drei Millionen jährlich hat er abgewiesen. Die sechs bis acht Millionen des Dreigestirns Ronaldo-Messi-Neymar müssten schon drin sein, meint er: "Mit Paul eröffnen wir eine neue Ära für Schuhverträge."

Als "Drogba für Arme" hatten sie Pogba in Italien belächelt, als er im August 2012 in Turin ankam. Sicher, der Junge musste Talent haben, sonst wäre Manchester United nicht auf ihn aufmerksam geworden, als der schlaksige Teenager noch in der nordfranzösischen Stadt Le Havre kickte. Seine Familie war von Guinea in das Hinterland von Paris emigriert, seine beiden älteren Brüder sind ebenfalls Fußballer, auf kleinerer Bühne: Florentin spielt für den französischen Erstligisten St. Etienne, Mathias vor 6000 Zuschauern beim englischen Drittligisten Crawley Town. Die Zwillinge stehen zudem im Aufgebot von Guinea. Paul hingegen verkörpert das neue Frankreich in der Équipe Tricolore.

Mit 16 zog er nach Manchester, mit 18 debütierte er in der ersten Mannschaft, mit 19 war er bei Sir Alex Ferguson in Ungnade gefallen. Da verließ er England und entschied sich für Juventus. Dort überzeugte er die Skeptiker prompt: Kaum hatte er das schwarz-weiße Trikot übergestreift, traf er auch schon gegen den Erzrivalen SSC Neapel.

Drogba war schnell vergessen

Drogba war schnell vergessen, für Pogba ersann man den schrägen Spitznamen "Polpo Paul" - in Anspielung an den orakelnden Kraken (italienisch "Polpo") aus Oberhausen. Polpo Paul begnügt sich nicht mit Prognosen, sondern schaltet seine Gegner mit krakengleicher Beweglichkeit aus. Wo jene zwei Füße haben, scheint der Oktopus Pogba acht zu besitzen. Inzwischen verfügt der 1,88 Meter große Athlet über die Kraft eines Patrick Vieira und die Raffinesse von Zinedine Zidane, dabei wird er am 15. März erst 22. Von seiner Ballkontrolle und seiner Geschmeidigkeit schwärmen Michel Platini ("unser Goldjunge wird ein ganz Großer") und Italiens Nationalcoach Antonio Conte ("reine Perfektion").

Als Conte noch Juventus trainierte, hätschelte er Publikumsliebling Pogba ebenso wie sein Nachfolger Massimiliano Allegri - ein Pragmatiker, der nicht dafür bekannt ist, einzelne Spieler in den Himmel zu loben.

"Paul ist gutmütig, ausgeglichen und sehr reif für sein Alter", sagt Allegri. Und ehrgeizig sei er: "Man merkt ihm an, dass er immer noch besser werden will." Bei der WM in Brasilien wurde Polpo Paul im Sommer als bester Nachwuchsspieler ausgezeichnet. Längst ist er unverzichtbar für Nationaltrainer Didier Deschamps, der ebenfalls aus der alten Juve-Schule stammt - in Turin wirkte der Weltmeister von 1998 als Spieler und als Trainer.

Ob Didier Deschamps, Lilian Thuram, David Trezeguet oder Platini und Zidane: Bei Juventus wandelt Pogba auf den Spuren großer Landsleute. Doch während die Franzosen früher über die Alpen zogen, um zu bleiben, kann Juventus heute nur noch das Sprungbrett für die große Karriere bieten. In Turin weiß man, dass es schwierig sein wird, den Zauberlehrling Pogba zu halten. Zu begabt für die Serie A: Das ist die bittere Wahrheit.

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SZ vom 24.02.2015
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