Süddeutsche Zeitung

José Mourinho in Manchester:"Wenn es regnet, bin ich schuld"

Lesezeit: 3 min

Von Sven Haist, Manchester

Als um ihn herum alle überreagierten, machte José Mourinho einfach nichts mehr. Bei seinen sieben Trainerstationen in vier Ländern hat der Portugiese schon zu viel miterlebt, um im Mittelpunkt des Geschehens noch zu unüberlegten Taten zu neigen. Jede Handlung aus dem Affekt hätte ja eine Deutung verursacht. Das Nichts, das Mourinho bei seinem Torjubel nach dem 3:2 in der Schlussminute von Manchester United gegen Newcastle zur Interpretation anbot, ließ sich für seine Kritiker nicht kontern. Sodass am Samstagabend tatsächlich kurz Ruhe einkehrte im aufgeregten Umfeld des Rekordmeisters.

Mit einem Exklusivbericht über United hatte der Mirror das Fußballwochenende auf der Insel begonnen. Das Boulevardblatt meldete, die Klubbosse um den umstrittenen Geschäftsführer Ed Woodward hätten beschlossen, Mourinho zu entlassen - unabhängig vom Ergebnis gegen Newcastle. Diese Meldung provozierte eine Reihe von Gegendarstellungen.

In den zurückliegenden Wochen war mehrfach über eine Kontaktaufnahme zum vertragslosen Zinédine Zidane spekuliert worden, der im Notfall als Wunschkandidat für eine kurzfristige Übernahme gilt. Der Verein wies die Spekulationen um das feststehende Aus für Mourinho als "Nonsens" zurück. Der Trainer selbst sagte nach dem Heimsieg: "Das ist eine Menschenjagd im Fußball. Ich bin 55 Jahre alt, es ist das erste Mal, dass ich das sehe. Ich kann damit umgehen, ich bin reif genug - aber meine Spieler sind es eher nicht."

Den Menschen auf der Insel macht die Premier League immer noch am meisten Spaß, wenn es so richtig kracht, wie jetzt bei Manchester United. Eine halböffentliche Trainerabsetzung wäre keine Neuigkeit bei diesem Klub. 2014 erfuhr die Öffentlichkeit die Beurlaubung von David Moyes einen Tag vor dem Betroffenen. Selbst dem stolzen Trainerpfau Louis van Gaal stutzten die Klubbosse 2016 die Flügel: Sein Scheitern machte die Runde, als van Gaal mit den Spielern gerade in Wembley den Gewinn des FA-Cups feierte.

Indiskretionen gehören zum Possenspiel des Vereins, der vorrangig unter Kompetenzmangel in den Führungsgremien leidet. Nach dem Rückzug des einflussreichen Sir Alex Ferguson vor fünf Jahren hat sich Manchester United zu einem Selbstbedienungsladen für Spieler, Trainer, Berater, Funktionäre und die Presse entwickelt. Momentan geht es offenkundig um die Abberufung des eigenwilligen Mourinho. Ihm wird die sportliche Stagnation zur Last gelegt. Die bisher letzte Meisterschaft gab es 2012/13 unter Ferguson - für das Selbstverständnis bei Manchester United liegt das schon fern der Erinnerung.

Die aktuelle Erfolglosigkeit - nach vier Spielen ohne Sieg - führte nun zum Drama gegen den Tabellenvorletzten Newcastle: Nach zehn Minuten stand es 0:2. Für United hätte eine Niederlage das Abrutschen ins Nirwana bedeutet - für Mourinho vermutlich genauso. Stattdessen gelang ein Befreiungsakt, der den Coach vorerst im Amt halten dürfte: "Tut mir leid, Männer", wütete Mourinho auf der Pressekonferenz, schon bevor er Platz genommen hatte, "ich habe das Gefühl: Wenn es morgen in London regnet, bin ich schuld. Wenn die Leute den Brexit nicht mögen, bin ich schuld. Das ist neu und macht mich nicht nur zu einem besseren Trainer, sondern zu einer besseren Person." Zuvor hatte Mourinho Wasser aus einer Trinkflasche in eine Fernsehkamera gespritzt.

Mit dem Rücken zur Wand tischte Mourinho die besten Offensivakteure auf, einen nach dem anderen, bis in Chris Smalling ein einziger Verteidiger übrig blieb. Die Einwechslungen der Torschützen Juan Mata (1:2/70.) und Alexis Sanchez (3:2/90.) - zudem traf Martial zum 2:2 (76.) - bewiesen, dass Mourinho seinen Zugang zu den Spielern nicht gänzlich verloren hat. Die späte Korrektur des Ergebnisses basierte auf den vorzüglichen Einzelqualitäten der Spieler, die im Angriff zumeist sich selbst überlassen sind. Eine übergeordnete Spielidee auf dem Weg vors gegnerische Tor hat Mourinho auch in seiner dritten Saison nicht etablieren können, sofern er das überhaupt will. Seine Mannschaft soll sich eher wie ein Chamäleon wandeln - abhängig von den Fähigkeiten des Gegners.

Zum Selbstverständnis des Vereins, Gegner wie zu Zeiten von Ferguson schlicht zu überwältigen, passt Mourinhos Vorgehensweise nicht. Die Uneinigkeit im Klub beginnt bei der Strategie des Kaderaufbaus, für den Mourinho jede Saison quasi Gestaltungshoheit und ein üppiges Transferbudget verlangt. Die Verantwortlichen verweisen nach teuren Jahren darauf, dass sich mit dem vorhandenen Personal mehr herausholen lässt. Zumindest mehr, als die aktuellen Leistungen des Teams nahelegen.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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