Süddeutsche Zeitung

SSV Jahn Regensburg:Cowboys im Oberpfalz-Western

Lesezeit: 3 min

Erstmals in seiner Vereinsgeschichte schafft der Jahn den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals - besonders in einer Disziplin sind die Regensburger jetzt schon titelreif.

Von Johannes Kirchmeier, Regensburg

Max Besuschkow blickte starr nach vorn und ging langsam. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt, Schritt für Schritt. Dem Strafraum entgegen, wo der Kölner Torhüter Timo Horn wartete. Die Szene hatte nun schon fast etwas von einem Duell im Spaghetti-Western, es fehlten nur rollende Strohballen und die Hintergrundmusik von Ennio Morricone. Dann fuhr sich der Cowboy Besuschkow im Regensburger Jahnstadion gegen Mitternacht noch einmal gedankenversunken mit seiner Zunge über die Oberlippe und schnappte sich den Fußball.

Der Sechser des SSV Jahn Regensburg wusste: Jetzt und hier liegt alles an ihm in diesem DFB-Pokal-Achtelfinale. Trotzdem dribbelte er die Kugel in aller Ruhe an den Elfmeterpunkt, bückte sich und fixierte sie schließlich mit der Hand am weißen Punkt. Besuschkow machte neun Schritte zurück, bereit zum Duell. Er hörte auf den Pfiff des Schiedsrichters. Dann rannte er los und drosch den Ball in die rechte Torecke. Horn sprang nach links, Besuschkows Schuss ins Kölner Herz saß. Der Ball lag im Netz. Es folgte Ektase auf Oberpfälzisch, während Horn niedergeschlagen von dannen trottete.

Der Jahn feierte - und wie. Der Rest der Mannschaft scharte sich um Besuschkow und den Helden des Abends, Torwart Alexander Meyer, denn das 6:5 (2:2, 2:2) nach Elfmeterschießen brachte den SSV eine Runde weiter. Hinter der Werbebande an der Seitenlinie hüpfte das Maskottchen Jahni mit seiner Klubfahne.

Der Stadionsprecher des Jahn brüllt

Und der eigentlich immer unaufgeregte Stadionsprecher Christian Sauerer schrie nun salbungsvoll ins Mikrofon: "DER SSV JAHN REGENSBURG STEHT IM VIERTELFINALE DES DFB-POKALS!" - ja, mit eben jenen Großbuchstaben in der Stimme. Erstmals in ihrer Vereinsgeschichte erreichten die Regensburger die Runde der letzten Acht, nach drei Siegen im Elfmeterschießen gegen die Drittligisten 1. FC Kaiserslautern, SV Wehen Wiesbaden und nun den Bundesligisten 1. FC Köln.

"Natürlich, das ist auch mein persönlich größter Erfolg als Cheftrainer", sagte der seit 2006 in den verschiedensten Funktionen im Verein tätige Mersad Selimbegovic, 38. Seit anderthalb Jahren coacht er das Profiteam. "Aber das ist eine Sache, die der SSV Jahn geschafft hat und ich freue mich, dass ich Teil davon bin."

Es war ein Kraftakt, ein Erfolg der Moral und des Willens, der den Jahn trotz der bescheidenen finanziellen Mittel auch seit mehr als drei Jahren in der zweiten Bundesliga hält. Die SSV-Spieler zwangen die Kölner in viele Zweikämpfe auf dem Feld, immer wieder jagten sie dem Ball nach und erzeugten so permanent Unruhe. Das ergibt natürlich nicht unbedingt schönen Fußball, stresst die Gegner aber über 90 (oder 120 Minuten) so sehr, dass sie auch nach manch klarer Führung noch ins Wackeln geraten. "Nach dem 2:0 war es eigentlich für unsere Seite schon gelaufen", sagte FC-Trainer Markus Gisdol verblüfft.

Regensburg lag gegen Köln bereits 0:2 hinten

Schon nach 22 Minuten lag sein Team durch Tore der flinken Ismail Jakobs und Emmanuel Dennis vorne - begünstigt durch Abwehrfehler der Jahn-Innenverteidiger Sebastian Nachreiner und Jan Elvedi. Doch kurz darauf traf der für den ausgewechselten Nachreiner (Verdacht auf Muskelfaserriss) gekommene Scott Kennedy zum 1:2 nach einer Ecke, die Köln nicht klären konnte (35.).

Nachdem den Kölnern ein Treffer von Benno Schmitz wegen Abseits aberkannt wurde, glich Jann George kurz vor der Pause zum 2:2 aus (43.), zu diesem Zeitpunkt waren die Oberpfälzer einfach besser. Wären Fans zugegen gewesen, sie hätten eine offene, aber auch zerfahrene Partie erlebt. Ein klassisches Pokalgerangel eben.

Der Jahn profitierte davon insofern, als die Kölner keine Struktur mehr zu kreieren vermochten, sie brachten nur noch eine große Chance zustande: Elvedi sprang der Ball nach einer Ecke an die Hand - Strafstoß. Allerdings war der erstaunliche Elfmetertöter Alexander Meyer, der alleine in dieser Pokalsaison insgesamt fünf Elfmeter selbst gehalten hat (zwei weitere wurden verschossen), zur Stelle: Er parierte Dennis' Strafstoß (78.). So wie er später im Shootout dann jenen von Kölns Jorge Meré vereitelte. Jannes Horn schoss direkt vor Besuschkows Abschluss daneben.

Auch in der Liga wurde Meyer seit seinem Wechsel zum Jahn im Sommer 2019 bei fünf Versuchen vom Punkt übrigens erst einmal bezwungen. Mit zu viel Lob wollte sich der Held der Pokalnacht trotzdem nicht lange aufhalten: "Ich kann nur ein großes Kompliment an die Schützen geben, die haben eiskalt geschossen."

Etwa eine Million Euro gibt es nun für den Neu-Viertelfinalisten, viel Geld für den SSV, der in der Saison 2019/20 einen Umsatz von circa 25 Millionen Euro machte. Der Gegner wird am Sonntagabend vom Segler Boris Herrmann in der Sportschau ausgelost. "Favorit sind wir nicht", meinte Coach Selimbegovic. "Wir werden jetzt aber auch nicht sagen: Wir haben etwas Historisches geleistet. Sondern: Warum nicht noch mehr?" Seine Spieler, das hat nicht zuletzt der sichere Schütze Besuschkow unter Beweis gestellt, sind bereit fürs nächste Duell.

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