Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven in der Formel 1:Brutale Fahrt durch die nasse Gefahr

Lesezeit: 5 min

Max Verstappen rast kompromisslos durch den Regen. Mick Schumacher glänzt mit Neugier und Lando Norris hat einen berühmten Fan. Die Höhepunkte des F1-Wochenendes in Imola.

Von Elmar Brümmer, Imola

Lewis Hamilton

Von der Piste rutschen? Bei diesen Wetterverhältnissen in Imola keine Schande. Auch nicht für einen, der Rekordweltmeister ist. Im Kies stecken bleiben? Das wäre es gewesen bei den meisten. Der erste Ausfall des scheinbar Unfehlbaren seit drei Jahren. "Ich habe mich einfach geweigert, das zu akzeptieren", erinnert er sich an das Fast-Aus zur Rennmitte. Der Crash von Kollege Bottas half ihm, sich zurück zu runden. Dann hat er sich von neun auf zwei geschoben, mit astreinen, überlegten Manövern.

"Eine unglaubliche Fahrt", befand Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Die WM-Führung hat er dank der schnellsten Runde auch behalten, mal abgesehen von seiner Pole-Position Nummer 99 am Samstag, die er sich gegen den besseren Red Bull sicherte. Selbstbewusstsein intakt: "Es war ja auch der erste Fehler, den ich seit langer Zeit gemacht habe." Ein zweiter Platz als Schadensbegrenzung, das wird er sich durchgehen lassen. Irgendwie scheint er sich auf die neue Rolle sogar zu freien: "Wir sind jetzt die Jäger."

Max Verstappen

Noch nie in seiner Karriere hat der Niederländer eine WM-Wertung angeführt, aber diesmal war es knapp. Ohne den Extrapunkt für die schnellste Runde wäre der Red-Bull-Pilot zumindest die gleichberechtigte Nummer Eins. Mit der Brutalität eines Kart-Rennfahrers ignorierte er die Gefahr des Nassen, beim entscheidenden Manöver am Anfang war er schon mit zwei Reifen im rutschigen Grün, bog dann aber auf die Ideallinie ein. Auch wenn es eher ein Slalom zwischen trockenen Stellen und Pfützen war.

So souverän die Spitze zu halten, da musste sogar er zugeben: "Ich hab' mich selbst überrascht." Das eine Pünktchen scheint den sonst so Über-Ehrgeizigen nicht zu ärgern: "Die Saison ist noch lang. Wir bleiben ruhig. Das holen wir uns schon noch zurück." Das glaubt auch sein Teamchef Christian Horner: "Wir erleben den besten Start unserer Teamgeschichte, aus diesem Momentum müssen wir jetzt etwas machen. Dazu müssen wir Mercedes weiter unter Druck setzen."

Mick Schumacher

Zum allerersten Mal unter nassen Bedingungen in einem Formel-1-Auto sitzen, dazu auf der gefährlichen Rutschbahn von Imola. Auf Rang 16 und als Vorletzter ins Ziel zu kommen, ist deshalb trotz eines Drehers samt Crash in die Boxenmauer beim Reifenaufwärmen ein ordentliches Resultat für Mick Schumacher. Seinen Teamkollegen Nikita Mazepin hat er jedenfalls das ganze Wochenende über wieder im Griff gehabt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Schumacher im schlechtesten Auto der Formel 1 sitzt und beim vielleicht schwächsten Team.

Sein Boss Günther Steiner lobt, dass der Neuling gar nicht aufhört, neugierig zu sein: "Er arbeitet hart, er denkt über alles nach. Er spricht mit so vielen Leuten wir möglich. Er will einfach lernen und ist hungrig. Ich respektiere sehr, was er macht und wie er sich einsetzt." Dazu gehört auch der Ärger des 22-Jährigen über den eigenen Fehler: "Das war sehr unnötig, wir hätten Elfter oder Zwölfter werden können. Damit hätten wir an den Punkten gekratzt, was sehr schon wäre." Beruhigt Steiner: "Auch wenn einen das Resultat nicht froh macht, macht einen aber der Fortschritt, den man gemacht hat, froh."

Lando Norris

Fahrer des Tages, das ist so eine Wertung wie die Zuschauer-Beteiligung in RTL-Shows. Lando Norris, dem Fast-Zweiten des Chaosrennens wurde diese Ehre zuteil. Der 21 Jahre alte Brite, einer der jungen Wilden aus der nächsten championtauglichen Rennfahrergeneration, reagierte lakonisch: "Haben die wirklich gemacht, mich zu wählen? Ich wusste gar nicht, dass ich überhaupt Fans habe..." Kokettieren kann der Drittplatzierte jedenfalls. Rennfahren auch. Den weit erfahreneren McLaren-Teamkollegen Daniel Ricciardo hat er echt im Griff.

Einer seiner Fans heißt im Übrigen Lewis Hamilton, der sogar über social media Trost spendet, wenn sich der 15 Jahre jüngere Landsmann für seinen Qualifikations-Fehler und Startplatz sieben selbst beim Team anklagt ("Ihr hättet Besseres verdient gehabt."). Der Weltmeister schrieb zurück: "Niemand macht Dir einen Vorwurf, wenn Du alles gibst. Mach einfach weiter so..." Unter dem deutschen Teamchef Andreas Seidl und mit dem neuen Mercedes-Leihmotor könnte McLaren dauerhafter Podiumsgast werden.

Valtteri Bottas

Nummer zwei zu sein bei Mercedes, das kann ganz komfortabel sein. Auch der Finne schien sich arrangiert zu haben. Träumte vielleicht heimlich, irgendwann doch noch mal Hamilton zu beerben. Das wird wohl nix. Seit es den Mercedes-Stipendiaten George Russell gibt, wird es Bottas nicht mal helfen, dass er ursprünglich aus der Managementfirma von Mercedes-Teamchef Toto Wolff stammt. Der 31-Jährige steckt in einer Formkrise. Zum zweiten Mal die Qualifikation und ein Rennen versaut, dann der Megacrash jenseits der 300 und vor Sennas Todeskurve Tamburello - ausgerechnet mit Russell und im Kampf um Platz neun.

Der Brite wirft ihm vor, mit dem Lenkrad gezuckt und ihn aufs Gras getrieben zu haben. "Wolltest Du uns umbringen?", brüllte der nach dem Unfall und boxte den noch im Cockpit sitzenden Bottas. Der hielt dem Kontrahenten den Mittelfinger entgegen. "Von mir aus war das sauber", behauptet er nach dem Rennen, "ich habe die trockene Linie verteidigt. Für solche Theorien habe ich leider meinen Aluhut vergessen." Wenn er sich da nicht mal täuscht. Immerhin, der so provozierte Rennabbruch half wenigstens dem Kollegen Hamilton. Wolff hält sich mit großen Schuldzuweisungen zurück, schon die Situation dürfe so nicht entstehen. Russell werde er erklären, was es heiße, ein Mercedes-Familienmitglied zu sein: "Er muss uns nichts beweisen."

Sebastian Vettel

Die zweite Fahrt im Aston Martin endet so, wie sie begonnen hat: In der Boxengasse. Wären nach der Einführungsrunde fast die Bremsen abgefackelt, hatte sich in der Schlussrunde endgültig das Getriebe verabschiedet. Gewertet auf Rang 15. Blöd nur, dass Teamkollege Lance Stroll Siebter wurde. Nach der Ferrari-Misere jetzt das Gleiche in Grün? Der 33-Jährige wehrt sich, es sei zu früh, sein Comeback schon abzuschreiben, auch wenn in Imola "von vorn bis hinten der Wurm drin gewesen ist."

Zickige Technik, späte Strafen, Pech bei der Reifenwahl, er weiß nichts Positives zu berichten aus der Emilia Romagna. Tapfer sagt er: "Das Gefühl fürs Auto ist ein bisschen besser geworden, aber es gibt noch immer sehr wenige Runden, die ohne Probleme für uns laufen." Hinter den Kulissen versucht das Mercedes-Kundenteam gerade, sich gegen eine vermeintliche Benachteiligung durch das neue technische Reglement zu wehren. Denn nicht nur Vettel, auch das Auto ist ein Schatten seiner selbst.

Miami (Stefano Domenicali)

Es ist ein alter amerikanischer Traum, und er ist auch schon ein paar Mal geplatzt. Der neue F1-Chef Stefano Domenicali aber kann in seiner Heimatstadt Imola endlich Vollzug melden: Im nächsten Jahr wird zum ersten Mal ein Grand Prix in Miami ausgetragen. Sein Vorgänger Chase Carey, der sich jahrelang um den Zuwachs bemüht hatte, applaudierte. Gefahren wird zwar nicht wie erhofft an der pittoresken Bayside, dafür aber rund um das Football-Stadion der Miami Dolphins, wo auch die Tennisspieler eine neue Heimat gefunden haben.

Der Stadtrat von Miami Gardens hat endlich grünes Licht gegeben. Die Metropole in Florida ist der elfte US-Standort in der F1-Geschichte und hat für den Parkplatzkurs einen Vertrag über zehn Jahre abgeschlossen. Der Kurs wird 5,41 Kilometer lang sein und von den Stadion-Umgängen aus komplett einsehbar. Ausgetragen werden soll das Rennen im zweiten Halbjahr 2022. Der Vertrag mit dem bisherigen US-Grand-Prix im texanischen Austin läuft aus.

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