Süddeutsche Zeitung

Dänemark bei der Handball-EM:Schmächtig, aber verdammt gut

Lesezeit: 3 min

Mathias Gidsel ist dabei, Mikkel Hansen bei den Dänen als prägenden Spieler abzulösen. Sein Trainer ist begeistert, will die Euphorie aber lieber bremsen.

Von Carsten Scheele

Die dänischen Handballer sind wirklich zu beneiden bei dieser Europameisterschaft. Sie stehen im Halbfinale, haben sechs ihrer bislang sieben Spiele gewonnen - und sind von der Corona-Welle, die andere Mannschaften so schwer getroffen hat, verschont geblieben. Nur einen Spieler hat es erwischt, den aus der Bundesliga bestens bekannten Hans Lindberg, ansonsten sind alle gesund. Das führt dazu, dass in der dänischen Öffentlichkeit tatsächlich über sportliche Dinge debattiert wird: über Taktiken, den nächsten Gegner, die besten Spieler. Nicht über PCR-Tests, Nachnominierungen oder Krankentransporte.

Wobei, wenn es über den besten Spieler geht, da sind sich die meisten einig: An Mathias Gidsel kommt bei dieser EM einfach niemand vorbei.

Gidsel, das ist dieser gar nicht mal so kräftige junge Rückraumspieler, der in der dänischen Nationalmannschaft eine Karriere hingelegt hat, die - klänge es nicht so abgedroschen - als raketenartig bezeichnet werden müsste. Gidsel ist erst 22 Jahre alt, und obwohl nur 1,90 Meter groß, ist der Linkshänder im rechten Rückraum einfach nicht zu halten. Gidsel spielt ungemein schnell, ist sprunggewaltig und fintenreich; manchmal liegt der Ball im Tor, da haben die Abwehrspieler noch nicht einmal verstanden, was Gidsel mit ihnen vorhatte.

In seinem ersten WM-Spiel warf Gidsel gleich zehn Tore

Je neun Tore gegen Island und die Niederlande, sieben gegen Slowenien, fünf gegen Kroatien, das sind seine Werte bei dieser EM. "Wir konnten nicht ahnen, dass er so schnell eine solche Rolle bei uns spielen wird", sagte Trainer Nikolaj Jacobsen, der Gidsel 2020 als Nobody ins Nationalteam geholt hatte: "Aber es ist fantastisch, dass so etwas passieren kann."

Über Gidsels Eintritt in die Nationalmannschaft reden sie heute noch in Dänemark. Nach dem ersten Länderspiel 2020 wurde der junge Mann des Klubs GOG Håndbold in Gudme überraschend für die WM 2021 nominiert - und brach sofort im ersten Spiel einen dänischen Rekord, als er als Turnierdebütant zehn Tore warf. Am Ende wurde Dänemark Weltmeister und Gidsel ins All-Star-Team gewählt; im Sommer bei Olympia in Tokio wurden die Dänen dann Zweite und Gidsel zum wertvollsten Spieler des gesamten Turniers bestimmt.

Und das an der Seite von Hochkarätern wie Mikkel Hansen, Mads Mensah Larsen oder Rasmus Lauge, die es gewohnt sind, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. "Er hat nicht einfach die Tür zur Nationalmannschaft eingetreten. Er hat die Tür pulverisiert, die Wand, das ganze Haus", erinnert sich die dänische Zeitung B.T.

Trainer Jacobsen tut gut daran, die Euphorie um Gidsel hier und da zu bremsen. Er sieht natürlich, wie Gidsel einschlägt und dass er mit 22 Jahren das Potenzial hat, sogar noch viel besser zu werden. Er wisse nicht, ob Gidsel sein wichtigster Spieler sei, sagte Jacobsen: "Ich denke auch, dass wir und seine Teamkollegen gut darin sind, ihn auf diese Bühne zu bringen."

Unerwarteter Transfer-Coup: Ab Sommer spielt Gidsel für die Füchse Berlin

Es gibt sicher noch Momente, da können die Füchse Berlin nicht fassen, was für ein Coup ihnen da auf dem Transfermarkt geglückt ist. Obwohl halb Europa hinter Gidsel herjagte, konnten ihn Sportvorstand Stefan Kretzschmar und Manager Bob Hanning im vergangenen Sommer verpflichten. Ab dem kommenden Sommer spielt Gidsel dann in der deutschen Hauptstadt, er sagte, er wollte unbedingt zu einem Verein, der etwas mehr tun muss, um Erfolg zu haben - was im Umkehrschluss bedeutet, dass er aus diesem Grund nicht nach Kiel, Flensburg, Barcelona oder Paris gewechselt ist. "Er hat das Herz am richtigen Fleck und ist ein super Typ", sagte Kretzschmar, als der Transfer perfekt war.

Da die Dänen vorzeitig für das Halbfinale qualifiziert waren, schonte Trainer Jacobsen im letzten Hauptrundenspiel Kräfte wie Gidsel oder Hansen. Das Ergebnis: eine 29:30-Niederlage gegen Frankreich und verschlechterte diplomatische Beziehungen zu Island, das sich ebenfalls noch Hoffnungen aufs Halbfinale gemacht hatte. Doch dafür hätten die Dänen nicht gegen Frankreich verlieren dürfen. "Danke für nichts, Dänemark", schrieb das isländische Nachrichtenportal Vísir. Die Dänen treffen zur Strafe nun auf Titelverteidiger Spanien.

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