Süddeutsche Zeitung

USA bei der WM in Katar:Tim Weah lebt Papas Traum

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George Weah, Präsident von Liberia, war Afrikas bislang einziger Weltfußballer, spielte aber nie bei einer WM. Sein Sohn trifft für die USA und widmet das Tor seiner Familie. Er wählt einen anderen Weg als der Vater.

Von Sven Haist, al-Rayyan

Wie jeder Fußballer spielt Timothy Weah für sich selbst und seine Mannschaft. Aber in Anbetracht seiner Familiengeschichte lässt sich der Eindruck kaum unterdrücken, dass er beim 1:1 im WM-Auftaktspiel der USA gegen Wales auch ein bisschen für seinen berühmten Vater spielte.

Zu Beginn des Monats informierte George Weah, 56, seit knapp fünf Jahren der 25. Präsident des westafrikanischen Staats Liberia an der Atlantikküste, den dortigen Senat über den Plan, im Anschluss an seine Dienstreisen nach Marokko, Ägypten und Frankreich auch noch für neun Tage einen Abstecher nach Katar einzulegen. Allerdings nicht vordergründig aus Amtsgründen, sondern um seinen Sohn Tim im Trikot der USA bei der Fußball-WM auf dem Platz zu sehen. So fand sich George Weah im Beisein seiner Frau Clar sowie weiterer Verwandter am Montagabend auf der Ehrentribüne im Ahmad-bin-Ali-Stadion zu al-Rayyan ein - und wurde Augenzeuge eines für die Familie wohl bewegenden Ereignisses.

Anders als George Weah, dem als einem der besten Fußballer der Geschichte Afrikas eine WM-Teilnahme mit Liberia stets verwehrt geblieben war, verwirklichte sein Sohn nun diesen Wunsch. Er erzielte beim ersten Turniereinsatz sogar das Führungstor für die USA - wodurch er zum vermutlich ersten Spieler wurde, der als Sohn eines amtierenden Präsidenten bei einer WM einen Treffer erzielte, noch dazu für ein anderes Land. Denn Tim Weah, 22, wurde im Vergleich zu seinem Vater, der in der liberianischen Hauptstadt Monrovia aufwuchs, in New York geboren. An sich wäre er daher berechtigt, sogar für vier Länder zu spielen: Frankreich wegen seines Wohnsitzes und Liberia sowie Jamaika aufgrund der Herkunft seiner Eltern. Aber die Entscheidung für die Vereinigten Staaten sei "sehr einfach" gewesen. Er kenne nämlich schlicht "nichts anderes" als die USA, für die er im März 2018 mit 18 Jahren debütierte, sagte Tim Weah einmal.

Nun sei für ihn mit der WM-Premiere "ein Traum" wahr geworden, erzählte er in der Interviewzone nach dem Spiel. Alle Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet, fast zehn Minuten stand er Rede und Antwort, vor allem natürlich über sich und den Papa. Unter anderem sagte er, dass der Daddy die WM-Erfahrung jetzt durch ihn erlebe und er, Tim, glücklich sei, ihn stolz gemacht zu haben. Am Vorabend des Spiels habe der Vater ihm geraten, er solle beten, damit ihm ein solcher Einstand gelinge.

An die Naturgewalt seines Vaters kommt Tim Weah nicht heran

George Weah selbst stand mit Liberia, derzeit auf Platz 150 der Weltrangliste, vor der WM 2002 einmal kurz vor seinem großen Ziel, als in der WM-Qualifikation nur ein läppischer Punkt auf Nigeria fehlte. Er zählt neben George Best (Nordirland), Ryan Giggs (Wales) und Alfredo Di Stéfano (Argentinien und Spanien) zu den bekanntesten Spielern ohne Einsatz bei einer Weltmeisterschaft.

Seine Erfolge fuhr George Weah stattdessen auf Klubebene ein: Mit Paris Saint-Germain und dem AC Mailand gewann der Angreifer mehrere Meisterschaften. Insbesondere in Paris galt er als einer der weltweit besten Torjäger, der, wenn er mit seiner Schnellkraft Fahrt aufnahm, kaum mehr aufzuhalten war. Zudem war er mit fast unnachahmlichen Fähigkeiten im Torabschluss gesegnet. Er traf beinahe in jedem zweiten Spiel. Mit seiner Wahl zum bis heute einzigen Weltfußballer seines Kontinents im Jahr 1995 veränderte er die Sichtweise auf den Fußball in Afrika.

An die Naturgewalt seines Vaters kommt Tim Weah nicht heran, das wird er voraussichtlich auch nie. Er ist eine andere Sorte Offensivspieler, schmächtiger, mit Stärken im Spielverständnis und in der Antrittsschnelligkeit. Ein Paradebeispiel für seine Qualitäten war die Entstehung des Treffers zum zwischenzeitlichen 1:0 in der 36. Spielminute: Auf der linken Außenbahn erwischte er den richtigen Zeitpunkt, um mit einer Tempoverschärfung seinen Gegenspieler Neco Williams abzuhängen - und in die sich öffnende Schnittstelle zwischen Williams und dessen Mitspieler Ben Davies zu sprinten. Vom Teamkollegen Christian Pulisic bekam er den Ball wunderbar in den Lauf gelegt und spitzelte ihn mit dem rechten Außenrist an Torwart Wayne Hennessey vorbei. Es war sein bisheriger Karrierehöhepunkt.

Ausgebildet in der New Yorker Fußballfiliale von Red Bull, wechselte Tim Weah als 14-Jähriger über den Atlantik in die Nachwuchsabteilung von Paris Saint-Germain. Drei Jahre später unterzeichnete er bei PSG seinen ersten Profivertrag und schaffte es im Staraufgebot des Vereins immerhin zu einigen Erstligaeinsätzen - bevor er mit Celtic Glasgow und dem OSC Lille jeweils eine Meisterschaft gewann. Seine relativ geradlinige Laufbahn hebt sich ab von der seines Vaters, der sich aus den Slums in Liberia herauskämpfen musste.

Weah Senior half einst der Fußball-Gentleman Arsène Wenger: Als Trainer des AS Monaco wurde Wenger bei einem Ligaspiel in Kamerun auf Weah aufmerksam und verpflichtete ihn umgehend im Sommer 1988. Über den Transfer sagte Wenger liebevoll, ihm sei es ergangen wie einem Jungen, der an Ostern "einen Schokoladenhasen" im Garten finde. Für Weah selbst glich der Fußball "einem Reisepass aus der Armut".

Man sehe "viel Leiden" in Liberia, sagte sein Sohn jüngst, aber in diesem Leiden stecke auch "viel Glück". Dies mache ihn, Tim Weah, der aus privilegierten Verhältnissen stammt, "demütig". Nach seinem Treffer schrieb er auf Instagram, sein Tor sei für die USA, für Liberia und Jamaika - aber vor allem für seine Familie.

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