Süddeutsche Zeitung

Fußball in England:Fragen an den stummen Stan

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Die letzte Bastion fällt: Auch der traditionsreiche FC Arsenal muss sich mit Übernahme-Szenarien befassen. Dem US-Milliardär Stan Kroenke gehört jetzt fast ein Drittel des Klubs.

Raphael Honigstein

Die denkmalgeschützte Ost-Tribüne des abgerissenen Highbury-Stadions darf zwischen den dort neu entstehenden Luxuswohnungen ein Relikt der glorreichen Vereinsgeschichte bleiben. Wenige Stunden, bevor die Gunners ein paar hundert Meter weiter in der Champions League den AZ Alkmaar 4:1 aus dem neuen Emirates-Stadion fegten, verabschiedete sich am vergangenen Mittwoch jedoch ein weiteres Stückchen des alten Arsenals, wahrscheinlich für immer: Präsident Peter Hill-Wood, dessen Familie seit 1923 die Geschicke des Klubs leitete, verkaufte für 951.000 Euro hundert Aktien an den US-Milliardär Stan Kroenke.

Durch die Transaktion wechselten lediglich 0,16 Prozent des Klubs die Hände, trotzdem war sie äußerst signifikant - Kroenke, 62, der seit über zwei Jahren nach und nach Anteilsscheine der Nord-Londoner erworben hat, hat seinen Besitz damit auf 29,9 Prozent erhöht. Nun steht der Mann aus Missouri an der Schwelle. Ab 30 Prozent verlangen die Börsenrichtlinien in Großbritannien ein Übernahmeangebot an die restlichen Eigentümer. Ob und wann Kroenke, der in Amerika Football-, Basketball-, Eishockey- und Fußballklubs besitzt, den FC Arsenal ganz kassiert, ist derzeit unklar.

Die Übernahme naht

Bei der Jahreshauptversammlung vor zehn Tagen blieb der Immobilien-Tycoon seinem Spitznamen "Silent Stan" (stummer Stan) treu: Er ließ alle Nachfragen unbeantwortet. Hill-Wood erklärte, dass Kroenke sich aufgrund der strengen Börsengesetze leider nicht äußern könne; Stellungnahmen zu geplanten Übernahmen seien rechtlich bindend.

"Eine Übernahme ist sicher nicht unausweichlich", sagte Trainer Arsène Wenger. "Ich habe mit Stan und den anderen Eigentümern gesprochen, kenne aber ihre Pläne nicht. Ich weiß nur, dass Kroenke sich für Fußball und Arsenal interessiert." Den Fans reicht das nicht. Eine Delegation des Arsenal Supporters Trust (AST) reiste im vergangenen Monat in die USA, um mit Kroenke zu sprechen, kam aber ohne neue Erkenntnisse zurück. Man sei "grundsätzlich gegen eine Übernahme", hieß es, und würde "gegen Pläne kämpfen, die eine Übernahme zu Lasten des Klubs vorsehen, so wie es bei Manchester United und Liverpool passiert ist".

Die beiden Spitzenklubs wurden von amerikanischen Unternehmern im Leveraged-Buyout-Verfahren gekauft: Die Schuldentilgung wurde dabei auf die Vereine abgewälzt. Manchester verwandelte sich auf diese Art vom profitabelsten Klub der Welt über Nacht zum größten Schuldner: Knapp 800 Millionen Euro müssen an die Banken zurückgezahlt werden. Es sind die Fans, die durch Eintrittsgelder und Merchandising-Käufe für den Einstieg solcher Nicht-Investoren aufkommen müssen.

Finanzierung aus eigenen Mitteln?

In Nord-London hofft man, dass Kroenke die Kontrolle über Arsenal (Börsenwert: 950 Millionen Euro) im Zweifel aus eigenen Mitteln finanzieren könnte. Sein Vermögen wird auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt; zudem ist seine Frau Erbin der Wal-Mart-Gruppe. Klubs wie Chelsea (Besitzer Roman Abramowitsch), Manchester City (Abu Dhabi-Herrscher) oder Aston Villa (US-Milliardär Randy Lerner) haben mit ausländischen Investoren, die keine Kredite benötigten, relativ gute Erfahrungen gemacht.

Am liebsten wäre es AST aber, wenn die Gunners ihren Ausnahmestatus in der Premier League behalten könnten. Sie werden als einziger Spitzenklub noch als Aktiengesellschaft geführt, wobei die Großaktionäre den Klub traditionell treuhänderisch verwalten: Das im operativen Geschäft Gewinn machende Arsenal (Jahresumsatz 350 Millionen Euro) zahlt keine Dividenden an die Gesellschafter, sondern reinvestiert sämtliche Gelder zurück in den Verein.

Geschäfte unter Milliardären

Genau das würde Alischer Usmanow gerne ändern. Der usbekische Milliardär mit KGB-Vergangenheit hat seit August 2007 insgesamt 25,5 Prozent der Arsenal-Aktien angehäuft, ist aber im Vorstand isoliert. Die anderen Großaktionäre, Danny Fiszman und Lady Nina Bracwell-Smith, die zusammen 32 Prozent der Anteile halten, sind nicht gewillt, an Usmanow zu verkaufen. Eher kommen sie mit Kroenke ins Geschäft.

Vor gut zwei Jahren hatte Hill-Wood den Amerikaner noch mit dem Hochmut der britischen Oberklasse abgewiesen. "Wir wollen solche Leute und ihr Geld nicht", hatte er verkündet. Heute hat der Enkel eines Baumwollfabrikanten eingesehen, dass Kroenke im Vergleich mit dem halbseidenen Usmanow das deutlich kleinere Übel darstellt. Im Mai, wenn die komplizierten Börsenbestimmungen auf der Insel eine Übernahme durch Kroenke etwa 20 Prozent billiger machen würden, dürfte die letzte Bastion des britischen Establishments der Globalisierung zum Opfer fallen.

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SZ vom 09.11.2009/jbe
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