Süddeutsche Zeitung

Saisonabschluss 2022:"Es war ein extrem großes Jahr für den Frauenfußball"

Lesezeit: 3 min

Der FC Bayern beschließt mit dem 2:0 gegen Benfica Lissabon die Gruppenphase der Champions League, die Spielerinnen blicken auf faszinierende Monate zurück. Die Folgen des Fortschritts werden sichtbar - nicht nur die positiven.

Von Christoph Leischwitz

Sweeeeeeeet Caroliiiine - was sonst! Auf dieses Lied konnten sich alle einigen an diesem letzten Münchner Frauenfußballabend des Jahres: die Spielerinnen des FC Bayern, die nach Schlusspfiff eine letzte Ehrenrunde drehten. Die Neu-Bayerin Georgia Stanway aus Blackburn ohnehin, es handelt sich ja um den Soundtrack der für England so erfolgreichen EM im vergangenen Sommer. Und natürlich auch die mitsingenden Zuschauer, immerhin 1840 waren noch einmal zu einem weitgehend bedeutungslosen Champions-League-Spiel über Tauschnee zum Campus-Stadion geschlittert.

"Road to Eindhoven", stand dort auf einem Spruchband. Eindhoven ist der Austragungsort des nächsten Finals der Champions League Anfang Juni. Allerdings war die Partie am Mittwoch gegen Benfica Lissabon ein eher unbedeutender Wegweiser dorthin. Die Bayern standen bereits als Viertelfinalist fest, und als der gleichzeitig spielende Gruppengegner FC Barcelona gegen Außenseiter Rosengard früh in Führung ging, da war klar, dass der Gruppensieg nicht mehr möglich sein würde.

"Ganz ehrlich, wir waren heute nicht ganz auf der Höhe", gab Trainer Alexander Straus dann auch zu, "es gab nichts, worum wir spielen konnten." Umso glücklicher machte es ihn, dass die Mannschaft den Willen unter Beweis gestellt habe, noch gewinnen zu wollen. Klara Bühl erzielte die beiden Treffer zu einem eher schmeichelhaften 2:0-Sieg (51., 75.), Benfica hätte einen Elfmeter bekommen können und hatte obendrein eine Vielzahl guter Chancen.

Zum Abpfiff atmete Straus noch einmal tief durch. Geschafft, Feierabend. "Jetzt" - es ging bei seiner Schlussanalyse auf Mitternacht zu - "sind gleich Ferien." Die vergangenen Monate seien die härtesten seiner Trainerlaufbahn gewesen. Den Spielerinnen war schon auf dem Feld anzumerken, dass sie Ähnliches fühlten. "Wir lieben es alle, Fußball zu spielen, keine Frage. Es waren heuer geile Spiele dabei. Die letzten Wochen haben aber auch gezeigt, dass der Körper seine Pausen braucht", sagte Doppeltorschützin Bühl.

Viele der Spielerinnen werden jetzt regelmäßig auf der Straße erkannt

Was hatten sie nicht alles erlebt im Jahr 2022. Sie kamen aus einem Pandemiejahr mit wenigen Zuschauern, und plötzlich waren die Stadien wieder voll - und das, obwohl sie größer waren. Schon im vergangenen März traten die Bayern-Spielerinnen für eine Champions-League-Partie gegen Paris Saint-Germain in der Fröttmaninger Arena auf. Die Europameisterschaft war der sportliche Höhepunkt, nebenbei flogen die Nationalspielerinnen für Länderspiele in die USA. Viele von ihnen werden jetzt regelmäßig auf der Straße erkannt.

"Es war auf jeden Fall ein extrem großes Jahr für den Frauenfußball", fand auch Sarah Zadrazil, die am Mittwoch als Kapitänin fungierte. Lina Magull hatte sich wegen Kniebeschwerden eine Auszeit vor der Auszeit genommen. "Die EM hat auch hier in Deutschland so einen Hype entfacht, ich bin froh, dass das angehalten hat", ergänzte die Österreicherin Zadrazil, es mache sie schon auch "ein bisserl stolz", dass jetzt so viele Zuschauer kämen. Und sie glaubt, dass das Interesse anhalten wird. Dem Vernehmen nach könnten allein im Frühjahr mindestens zwei Partien der Bayern-Spielerinnen in der Allianz Arena stattfinden: das Bundesliga-Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg und das Champions-League-Viertelfinale. Dieses wird zwar erst lange nach Weihnachten ausgelost, aber es würden ohnehin nur starke Gegner warten, sagte Zadrazil.

Nach Meinung von Trainer Straus hat die Entwicklung noch einmal an Geschwindigkeit gewonnen. Er selbst ist erst seit vier Jahren Frauen-Coach, vorher trainierte der 47-jährige Norweger acht Jahre lang Männer. "Allein seit 2018 haben wir Riesenfortschritte gemacht", sagt er. Das Tempo habe sich enorm erhöht, "das sind jetzt alles Top-Athletinnen. Und deshalb haben die Menschen jetzt auch einen anderen Blick darauf". Der Klub habe außerdem ein "wirklich aufregendes Team", bei dem er noch immer Entwicklungspotenzial sieht. Denn seit seiner Ankunft im Sommer habe man nur eine Woche Vorbereitungszeit gehabt, "ich wusste, dass nicht alles gleich klicken würde", sagt Straus. Aber der Grund für die kurze Vorbereitungszeit ist ja genau das: das professionelle Leben. Das hat weitere, indirekte Folgen, etwa dass es nun viele verletzte Spielerinnen gibt. Die wichtigsten Protagonisten des Frauenfußballs befinden sich in einer rasanten Anpassungsphase.

Bayern-Kapitänin Magull hatte in einem Podcast im Jahr 2020 gesagt, es nerve sie, dass der Frauenfußball ständig mit Männerfußball verglichen werde, in Sachen Tempo zum Beispiel. Der Frauenfußball müsse, wie in anderen Sportarten schon geschehen, dahin kommen, dass er als eine losgelöste Disziplin wahrgenommen werde: als originäre Attraktion. Gemessen an den Zuschauerzahlen scheint das an vielen Orten jetzt gelungen zu sein.

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