Süddeutsche Zeitung

French Open:Alexander Zverev kann jetzt Grand-Slam-Tennis

Lesezeit: 4 min

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die Spielzeit zeigte 3:54 Stunden, als sich ein 1,98 Meter großer Mann herunterbeugte und einen anderen Mann mit 1,75 Meter Größe umarmte. Lärm brandete auf, viele standen auf im Court Philippe-Chatrier und klatschten. Alexander Zverev, der Große mit dem Wuschelschopf, und Damir Dzumhur, der Verlierer mit dem akkuraten Scheitel, nahmen in diesem Moment nur sich wahr. Der eine, der Deutsche, die Nummer drei der Welt, nur seine Freude. Der andere, die Nummer 30, aus Bosnien und Herzegowina, seine Enttäuschung. Matchball hatte der Außenseiter gehabt, bei 5:4, 40:30 im fünften Satz. Zäh war Dzumhur, noch zäher als Dusan Lajovic. Der Serbe hatte Zverev in der Runde zuvor auch schon in den fünften Satz genötigt, nach einer 2:1-Satzführung. Doch beide hatten nicht nur Pech.

Zverev kann jetzt Grand-Slam-Tennis.

Das ist die Erkenntnis nach diesem Match. Auch in seinem zweiten Marathon in Paris ließ er sich nicht bezwingen. 6:2, 3:6, 4:6, 7:6 (3), 7:5 gewann er und wird an diesem Sonntag erstmals ein Achtelfinale bei den French Open bestreiten, wenn es gegen den Russen Karen Chatschanow geht. "Das erste Mal habe ich auf diesem Platz auf diese Weise gewonnen", sagte Zverev. "Alles, was ich machen konnte, war kämpfen und Punkt für Punkt spielen." Noch ein Erfolg, und er hätte erstmals überhaupt ein Viertelfinale bei einem dem vier wichtigsten Turniere im Tennis erreicht. Und manche Debatte über ihn wäre damit vielleicht weniger streng.

Der Hamburger, der in Monte Carlo lebt, ist ja erst 21, aber aufgrund seines steilen Aufstiegs umgeben ihn höchste Erwartungen. Die hegt er zwar auch. Aber dass er oft betont, noch so jung zu sein, und dass nicht mal Roger Federer vor dessen 23. Lebensjahr weit vorstieß bei einem Grand Slam, geht meist unter. Noch während Zverev und Dzumhur auf dem Platz standen und rackerten, twitterte der frühere Profi und heutige Fernsehexperte Greg Rusedski: "Zverev muss einen Weg finden, dieses Match zu gewinnen, oder er erhält dicke Wunden für Slams. Kann dieses Match mehr Drama haben?"

Ein Gespräch mit Roger Federer hilft Zverev

Wenn man es wie der Brite betrachten wollte: nein. Für ein Drittrundenduell war der Einsatz für den Deutschen hoch. Faktisch steht Zverev zwar völlig zu Recht so weit oben. Er gewann drei Turniere der Masters-Serie, die in ihrer Bedeutung direkt hinter den Grand Slams rangieren. Nur: Nachdem er die Nummer drei der Welt wurde, fiel auf, dass er noch nie ein Viertelfinale bei einem Grand Slam erreichte und bis zum Freitag auch nur ein Achtelfinale (Wimbledon 2017), und so sind auch internationale Medien quengeliger geworden.

Inmitten dieser Gemengelage muss Zverev, der selbst ungeduldig ist, Geduld aufbringen: ein fordernder Widerspruch. Geholfen hat Zverev ein Gespräch mit Roger Federer bei den zurückliegenden Australian Open, der ihn beruhigt hatte. Er habe noch so viel Zeit. Und er solle die Größe von Grand Slams relativieren und sich nicht von deren Bedeutung und Dimension zusätzlich unter Druck setzen lassen. Offenbar haben diese Gedanken gefruchtet. In Paris relativierte Zverev einiges, wie er nach dem Duell mit Lajovic erklärt hatte.

Seine Botschaft: Er wirft Grand Slams und Masters-Events nun gedanklich in einen Topf und tut so, als seien beide gleich "große Turniere". Wenn er 1:2 Sätze zurückliege, dann denke er sich, das sei so, als habe er 0:1 Sätze beim Best-of-three-Modus Rückstand. Er verkleinert die Hürden für sich. Und, auch dies betonte er: Er wolle auch harte Matches als Spaß empfinden. Nach diesem Motto startete er auch gegen Dzumhur, von dem er aus eigener Erfahrung wusste, wie zermürbend dieser spielen kann. Im vergangenen September hatte er in Shenzhen gegen Dzumhur verloren.

Immer mehr drängen im Verlauf des Matches in die Arena

Doch Zverev begann gut, diktierte die Ballwechsel, Dzumhur hatte kaum eine Chance. 6:2, 3:1 führte Zverev, hatte sogar einen Spielball zum 4:1. Alles sah souverän und kontrolliert aus. Er ließ diese eine Chance aus, und dann büßte er, als habe er den Schläger von rechts auf links gewechselt, seine Überlegenheit ein. Ein bisschen nachlässig agieren gegen solche Spieler wie Dzumhur? Das wird bestraft. Weil diese Profis, diese Wühler, ewig wühlen. Für die Art, wie er spielte, gibt es eine Formulierung: Er ließ sein Herz auf dem Platz.

Dzumhur gab kein Spiel mehr im zweiten Satz ab - 6:3. Dritter Satz: 6:4. Das Muster oft das gleiche. Zverev stand zu weit hinter der Grundlinie, Dzumhur streute Stopps ein, die den Rhythmus Zverevs unterbrachen. Nervig war Dzumhur - aus dessen Sicht natürlich wunderbar. Im vierten Satz wechselten die Vorteile und Aufschlagverluste hin und her, 4:2 führte Dzumhur, bei 6:5 und einem Break schlug er zum Sieg. Zverev konterte, zeigte Emotionen, 7:3 im Tie-Break, fünfter Satz. Nun drängten immer mehr in die 15 000 Plätze fassende Arena, die anfangs nicht voll besetzt war.

Der fünfte Satz begann konfus, drei Aufschlagverluste in Serie, doch Zverev stabilisierte sich schneller. "Ich glaube, dass er zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Match gemerkt hat, dass er physisch stärker als der andere ist", das hatte Boris Becker, in Paris als Eurosport-Kommentator aktiv, nach Zverevs Sieg gegen Lajovic erkannt. "Er hatte keine Angst vor den langen Ballwechseln, oder in den fünften Satz zu gehen. Er wurde eher stärker. Das hat er auch mit seiner ganzen Gestik und Körpersprache gezeigt." Seine Analyse hätte auch zu Zverevs drittem Auftritt gepasst.

Bei 4:2 sah es aus, als könne Zverev Dzumhur abhängen, doch der Wühler meldete sich zurück. 4:4. 5:4 mit einem chirurgischen Stopp. Matchball dann für den Außenseiter. Rusedski hatte sein Drama. Doch ein Winner per Kickaufschlag von Zverev zerstörte die Überraschung. Er breakte zum 6:5 und nutzte seinen eigenen ersten Matchball, eine Vorhand Dzumhurs landete im Aus. "Das war wunderbar", sagte Zverev. Er dürfte wissen: Mit diesem Tennis kann man bei Grand Slams weit kommen. Nur knapper darf er es nicht mehr machen beim nächsten Mal.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2018
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