Süddeutsche Zeitung

Kheira Hamraoui:Spektakuläre Wende im Eisenstangen-Fall

Lesezeit: 3 min

Wer ist verantwortlich für den Angriff auf die französische Fußballerin Kheira Hamraoui? Nachdem Mitspielerin Aminata Diallo wohl entlastet ist, rückt nun Ex-Barcelona-Profi Eric Abidal in den Fokus.

Von Anna Dreher, Paris/München

Wie sehr die Ereignisse der vergangenen Tage die Fußballerinnen von Paris Saint-Germain erschüttert haben, zeigte sich auch am Sonntag auf dem Platz. Bis dahin hatte der aktuelle Meister um die deutsche Nationalspielerin Sara Däbritz in dieser Saison noch keine Partie verloren. Nun schoss Dauerrivale Olympique Lyon ein Tor nach dem anderen, das Spitzenspiel endete 6:1. Und wo sonst nach so einer Niederlage vorrangig sportliche Defizite zur Erklärung herangezogen worden wären, wurde nun deutlich, dass die meisten der Pariserinnen mit den Gedanken zuletzt woanders waren.

Am Mittwochmorgen vergangener Woche hatte die regionale Polizei von Versailles die PSG-Spielerin Aminata Diallo in Untersuchungshaft genommen. Der Klub bestätigte, dass dies im Rahmen eines Verfahrens geschah, "das nach einem Angriff auf eine Spielerin des Klubs am vergangenen Donnerstagabend eröffnet wurde". Wie zunächst die französische Sportzeitung L'Équipe berichtete, handelte es sich bei dem Angriffsopfer um Diallos Mitspielerin Kheira Hamraoui. Nach einem Mannschaftsessen am 4. November sollen bei der gemeinsamen Heimfahrt zwei maskierte Männer auf das Auto zugekommen sein. Einer habe Hamraoui aus dem Wagen gezerrt und mehrmals mit einer Eisenstange vor allem auf ihre Beine eingeschlagen. Was nahelegt, dass die Tat sie sportuntauglich machen sollte. Diallo soll während des Angriffs vom anderen Mann festgehalten worden sein - und blieb unverletzt.

Die Polizei und die zuständige Staatsanwältin Maryvonne Caillibotte nahmen zunächst Diallo in den Fokus, die in Frankreichs Nationalteam und bei PSG wie Hamraoui im Mittelfeld spielt. Sie sahen ein mögliches Motiv in der sportlichen Rivalität der Frauen, die jedoch als Freundinnen gelten. Diallo war bis Freitagmorgen in Gewahrsam, zudem wurde ein derzeit inhaftierter Mann befragt, bei dem es sich laut Medienberichten um einen Bekannten der 26-Jährigen gehandelt haben soll. Er soll seit Oktober PSG-Spielerinnen anonym angerufen und dabei von Rache an Hamraoui nach einer gescheiterten Beziehung gesprochen haben. Die Anrufe konnten wohl zu ihm in ein Lyoner Gefängnis zurückverfolgt werden, er soll die Drohanrufe jedoch bestritten haben. Auch Diallo bestritt jegliche Beteiligung.

Mit der Entlastung von Diallo hat dieser Fall eine neue Richtung genommen

Nach Diallos Freilassung wurde auf ihrem Instagram-Profil eine Erklärung ihres Anwalts Mourad Battikh veröffentlicht, in der es heißt, Diallo beklage die "vollkommen künstliche Andeutung einer Rivalität zwischen ihr und Kheira Hamraoui, die erklären würde, warum sie es auf ihre Mitspielerin abgesehen hätte". Diese Theorie entspreche mitnichten "der wahren Natur ihrer Beziehung". Sie wünsche sich, dass die Justizbehörden die Ermittlungen schnell fortführen, um ihre "vollständige Unschuld" zu beweisen.

Am Dienstag trat Battikh beim TV-Sender BFM TV auf. Er sei sehr froh, dass seine Mandantin nun außer Verdacht stehe. Als "ehrenrührig, skandalös und inkohärent" bezeichnete er ihren Polizeigewahrsam, wie auch, dass der Verdacht sofort auf sie gelenkt worden sei, wo doch nun keine Anklage erhoben wurde. Sie sei sehr mitgenommen von all dem. Eine SZ-Anfrage an Battikh blieb bislang unbeantwortet.

Mit der Entlastung von Diallo hat dieser Fall zugleich eine neue spektakuläre Wendung genommen, bei der aber erneut abzuwarten bleibt, ob sich die nächste vermeintlich heiße Spur der Ermittler im Nachhinein wieder als falsche Fährte herausstellt.

Die volle Aufmerksamkeit der Ermittler hat nun Eric Abidal, WM-Zweiter 2006 mit der französischen Nationalelf sowie früherer Stammspieler des FC Barcelona. Über eine Sim-Karte im Handy von Hamraoui konnte eine Verbindung zu dem 42-Jährigen hergestellt werden. Wie Le Monde berichtete, sei herausgekommen, dass der Chip auf den Namen von Abidal laufe - womit eine engere Verbindung der beiden im Raum steht. Abidal arbeitete von 2018 bis 2020 als Sportdirektor des FC Barcelona, in dieser Zeit spielte Hamraoui für den Klub, 2021 gewann sie mit den Katalaninnen das Triple. Laut Le Monde haben PSG-Spielerinnen angegeben, dass Hamraoui nach dem Angriff mit Abidal telefonierte. L'Équipe will erfahren haben, dass die 31-Jährige ihn dabei gefragt habe, ob seine Frau ihr Schaden zufügen könne. "Er wird bald vernommen", wird Staatsanwältin Caillibotte zitiert.

Kheira Hamraoui äußert sich über ein Schreiben ihres Anwalts

Bei L'Équipe hat sich nun sein Anwalt Olivier Martin geäußert: "Wenn Eric Abidal im Rahmen der Ermittlungen vorgeladen wird, wird er alle Fragen beantworten, die ihm gestellt werden." Wobei sein Mandant mit "größter Entschlossenheit" seine Involvierung bestreite. Zur Beziehung zwischen Abidal und Hamraoui wolle er sich nicht äußern. Derweil schloss die Staatsanwältin nicht aus, Abidals Frau sowie Personen aus dem Umfeld Hamraouis ebenfalls anzuhören. Dass die Tat aus dem Kreis von Abidal initiiert worden sein könnte, sei eine Spur unter vielen, betonte Caillibotte.

Am Montag hat ein Untersuchungsrichter nun jedenfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet: gegen Unbekannt, wegen einer "kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung und Durchführung einer schweren und mit mindestens fünf Jahren Haft strafbaren Gewalttat". Am Dienstag meldete sich Hamraouis Anwalt Saïd Harir über AFP zu Wort. Die Spielerin habe "erhebliche physische und psychische Schäden erlitten". Hamraoui bittet in einem Schreiben des Anwalts darum, dass ihr "Privatleben ebenso wie ihre Entscheidung respektiert wird, während dieser schwierigen Untersuchung zu schweigen".

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