Süddeutsche Zeitung

Gianni Infantino:Freispruch von der Superfreundin

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Die Ethik-Chefin des Fußball-Weltverbandes will nicht gegen Fifa-Boss Gianni Infantino ermitteln - obwohl gerade erst ein strafrechtliches Verfahren eröffnet wurde. Das könnte nun auch für sie gefährlich werden.

Von Thomas Kistner

Am Mittwochabend teilte das Ethikkomitee des Fußball-Weltverbandes mit, dass es Voruntersuchungen gegen Präsident Gianni Infantino geführt - und eingestellt habe. Die von Infantino Mitte 2017 überfallartig ins Amt gehievte Fifa-Ermittlungschefin Claudia Rojas, eine Verwaltungsjuristin aus Kolumbien, ließ via Fifa-Pressetext wissen, sie habe "nach Prüfung der maßgebenden Unterlagen und Beweise" beschlossen, das Verfahren "wegen mangelnder glaubhafter Beweise zu sämtlichen behaupteten Verstößen gegen das Fifa-Ethikreglement einzustellen".

Spontan fasste der Schweizer Strafrechtsprofessor Mark Pieth den Eindruck unabhängiger Beobachter so zusammen: "Gut ist, dass eine Voruntersuchung überhaupt eröffnet wurde. Dass die gleich wieder eingestellt wurde, war zu erwarten." Rojas riskiere jetzt allerdings "ihren Ruf", sollte die Schweizer Strafjustiz ihr eigenes Ermittlungsverfahren weiter fortführen.

Seit Ende Juli untersucht der Sonderstaatsanwalt Stefan Keller allerlei stille Treffen Infantinos mit dem Berner Bundesanwalt Michael Lauber in den Jahren 2016 und 2017. Sie fanden außerhalb der Behörde statt und wurden nie protokolliert; das letzte Date wollen alle Beteiligte glatt vergessen haben. Ermittelt wird nun zum Verdacht auf Verletzung von Amtsgeheimnissen und Anstiftung dazu. Dazu hat das Schweizer Bundesverwaltungsgericht bereits Weitreichendes in einem Urteil festgestellt: Die von der kollektiven Teilamnesie geplagten Treff-Teilnehmer, neben Infantino und Lauber noch mindestens zwei weitere Personen mit Gedächtnisverlust, hätten sich hier zu einer Lüge verabredet.

Nichts sei der Ahndung würdig, kein Verstoß erkennbar

Dass Rojas, wie die Fifa behauptet, Dokumente wie dieses höchstgerichtliche Urteil "eingehend geprüft" habe, halten unabhängige Beobachter für einen Witz. Aus guten Gründen. Neben den inhaltlichen gibt es ja auch simple technische Fragen: Hunderte Seiten juristischer Schriften, alles auf Deutsch - wie will sie das in kürzester Zeit bewältigt haben? Wurde alles auf Spanisch übersetzt, oder wurden ihr die Inhalte schlicht von Dritten interpretiert - von Juristen, die die Fifa bezahlt? Rojas' Erklärung bietet auch dazu nichts Erhellendes.

Umso origineller wirkt die folgende Feststellung Rojas: Sie habe neben anderen Papieren auch Sonderermittler Kellers Eröffnungsbeschluss einsehen können. Und daraufhin habe die Verwaltungsjuristin aus Cali "beschlossen, das Verfahren wegen mangelnder glaubhafter Beweise zu sämtlichen behaupteten Verstößen gegen das Fifa-Ethikreglement einzustellen". Nichts sei der Ahndung würdig, kein Verstoß erkennbar. Das ist schon deshalb amüsant, weil die Fifa und ihre Anwälte seit Wochen beklagen, sie hätten gar keine Ahnung, was Keller Infantino genau vorwerfe.

Untersucht haben will Rojas noch einen weiteren Vorgang. Bei ihr war bereits im Juni eine detaillierte Anzeige gegen den Fifa-Boss eingegangen, wegen dessen Dienstreise mit einem Privatjet von Surinam in die Schweiz. Dieser Flug soll die Fifa rund 200 000 Dollar gekostet haben und war, wie der zugehörige Mailverkehr dokumentiert, mit einer offenkundigen Lüge gegenüber Compliance-Aufpasser Tomas Vesel gerechtfertigt worden. Vesel hatte, um die jäh beantragte teure Jet-Reise absegnen zu können, per Mail am 11. April 2017 um eine Begründung gebeten. Sechs Tage später meldete Infantinos Chefassistent Mattias Grafström die angeforderten Details: Es habe am 12. April um "14 Uhr ein Treffen mit dem Uefa-Präsidenten in Nyon" gegeben. Tatsächlich gab es dieses Treffen nie, Uefa-Chef Aleksander Ceferin weilte an dem Tag im fernen Armenien. Die Fifa hat auf Befragen die Authentizität des Mailverkehrs und damit die dokumentierte Lüge nie konkret bestritten, sondern nur vage behauptet, dass der Flug compliant gewesen sei. Auch Governance-Chef Vesel hat sich auf Befragen nie dazu geäußert.

Rojas' Verdikt war in der Branche erwartet worden. Die Kolumbianerin besitzt keine strafrechtliche Expertise, sie beherrscht keine der Fifa-Verfahrenssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch) und wurde Infantino für das Amt mit dem fröhlichen Vermerk empfohlen, dass sie eine "Super-Amiga" der latinischen Kickerfunktionäre sei, eine Superfreundin. Gern tummelt sie sich auf Fifa-Events bei den Funktionären; bei der WM in Russland verbrachte sie mit Familienanhang exklusive Wochen im Moskauer Luxushotel "Lotte", wo die Fifa residierte. Eng stand sie auch mit den Bossen des kolumbianischen Fußballverbands FCF, Luis Bedoya und Ramon Jesurun. Zu Bedoya bekannte sie sich in einem Verfahren 2014 in Kolumbien gar für befangen, bekundete ihre "Freundschaft" zu dem Funktionär - der im folgenden Jahr der US-Justiz ins Netz ging und von Rojas' Amtsvorgänger, dem Züricher Staatsanwalt Cornel Borbely, lebenslang gesperrt wurde. Als Rojas bei der Fifa einstieg und ihre dokumentierte Nähe zum alten Fußballpatron aufflog, versicherte sie, Bedoya und sie seien "keine Freunde".

Der Weltverband will "zusätzliche Details" einholen

Und Bedoyas Freund und Nachfolger Jesurun? Das ist immerhin der Mann, der Rojas der Fifa als "Super-Amiga" empfohlen hatte. Er wurde erst vor sechs Wochen von der nationalen Wirtschafts-Regulierungsbehörde im Zuge verbotener Ticketverkäufe mit 83 000 Dollar Geldstrafe belegt, sein Verband FCF muss 4,3 Millionen Dollar zahlen. FCF-Topleute, darunter neben Jesurun auch Vorgänger Bedoya, sollen 42 000 Tickets für WM-Qualifikationsspiele Kolumbiens unterschlagen und verhökert haben, angeblicher Gewinn: 3,8 Millionen Euro. Aber der verurteilte Jesurun sitzt weiter im Fifa-Vorstand. Der Weltverband erklärte dies kürzlich so: Man wolle "zusätzliche Details" zu dem Fall einholen.

Schweizer und deutsche Juristen sagen, es müsste Sonderermittler Keller interessieren, in welchem Milieu sich die unabhängige Ethikarbeit der Fifa abspielt. Rojas trifft ja nicht nur eine Vorab-Bewertung der Strafermittlungen und schätzt sie als substanzlos ein - sie trägt, wie der Slowene Tomas Vesel an der Governance-Spitze, mit allen Zulagen an die 300 000 Dollar nach Hause. Pro Jahr. Das dürfte, auf vier Jahre Amtszeit addiert, etwa den Gesamteinkünften einer Karriere in Kolumbiens Verwaltungsjustiz entsprechen. Auch Vesel streicht im Fifa-Nebenjob ein Mehrfaches seines Berufssalärs als oberster Rechnungsprüfer in Slowenien ein, das auf 60 000 bis 70 000 Euro geschätzt wird.

Aus Rojas' Reinwaschung für Infantino, die angeblich so strikt nach dem Ethikcode erfolgt ist, kann Sonderermittler Keller nun einen Ermittlungsstrang ableiten. Denn die Ethikregel 18 (Mitwirkungspflicht) hält unter Punkt 4 fest, dass Infantino "keine wesentlichen Fakten verbergen, sachlich falsche oder irreführende Stellungnahmen" gemacht oder "unvollständige, sachlich falsche oder irreführende Informationen" geliefert haben darf - er müsste also offen und ehrlich ausgepackt haben. Das, sagt ein deutscher Strafrechtler, mache Rojas zu einer "qualifizierten Zeugin" für Keller. Der will genau das wissen: Was Infantino mit Lauber besprach, ob es um Freundschaftsdienste, Pöstchen oder sonstwas ging - und was mit dem vergessenen Treffen ist. Keller, sagen Fachleute, sollte nun rasch Rojas' Ethikbericht anfordern - oder bei der Fifa abholen. Nebenbei ließe sich dann überprüfen, wie substantiell die Arbeit der notorisch handzahmen, fürstlich bezahlten Aufpasser ist.

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SZ vom 21.08.2020
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