Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Radio Müller sendet wieder

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Vor dem Treffen mit dem BVB klingen die Lobeshymnen auf Thomas Müller besonders überschwänglich - inzwischen überzeugt er auch als Mentor, etwa für Jamal Musiala.

Von Sebastian Fischer, München

Als Thomas Müller neulich eine Weile in häuslicher Isolation verbrachte, nach einem positiven Corona-Test während der Klub-WM in Katar, ließ er jene Menschen, die das interessierte, ausführlich an seinem Leben in Quarantäne teilhaben. In den sozialen Medien zeigte er, was ihm an Lesestoff bereitlag (unter anderem Fachliteratur zur Pferdezucht, ein FC-Bayern-Magazin, ein Sachbuch von Gabor Steingart und ein Krimi von Andreas Föhr). Er fotografierte einmal sein Essen (Nüsse und Obst). Und er filmte sich beim Heimtraining auf der Isomatte. Was man zunächst noch nicht mitbekam, war der Beitrag, den er von zu Hause in Otterfing aus zu leisten versuchte am Erfolg seiner Mannschaft in der weiten Welt.

Bevor der FC Bayern in der letzten Februarwoche das Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League bei Lazio Rom 4:1 gewann, schrieb Müller eine Nachricht an Jamal Musiala, so ist es aus dem Umfeld des zukünftigen deutschen Nationalspielers zu erfahren, der just am Donnerstag seinen ersten Profivertrag beim FC Bayern unterschrieb, mit einer Laufzeit bis 2026. In Rom, drei Tage vor seinem 18. Geburtstag, lief Musiala auf der Müller-Position im offensiven Mittelfeld von Beginn an auf, nicht die einfachste Aufgabe für einen 17-Jährigen. Er solle mutig sein, solle die guten Ansätze aus der Partie zuvor mitnehmen, das stand demnach in der Nachricht von Müller, und dass er die Daumen drücke. Musiala schoss ein Tor.

Es ist nur schwer möglich, eine Beschreibung für Thomas Müller zu finden, die nicht längst jeder kennt. Müller, 31, ist Weltmeister, zweimaliger Champions-League-Sieger, Autor von drei Kinderbüchern über seine Thomasmüllerwerdung und seit Anfang des Jahres, zusammen mit seiner Frau Lisa, Betreiber einer EU-Besamungsstation für Dressurpferde - aber auch das ist inzwischen schon wieder ein alter Hut. Oder wie Müller vor ein paar Wochen in einer Plauderrunde im kurzzeitig gehypten Sozialnetzwerk Clubhouse sagte: "Ich bin ja mittlerweile als Sperma-Millionär landläufig bekannt."

Müller ist der wahrscheinlichste Kandidat für dien DFB-Rückkehr

Müller spricht also zweifellos am besten selbst über Müller, aber trotzdem sind gerade auch ein paar interessante Sätze seiner Beobachter im Umlauf, zum Beispiel von Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß. Der schwärmte für die aktuelle Ausgabe des Vereinsmagazins: "Thomas Müller ist ein Traum." Und es gibt die Sätze von Bundestrainer Joachim Löw aus Interviews mit dem Kicker und der "Sportschau", die so deutlich wie noch nie die Möglichkeit einer Rückkehr Müllers in die Nationalmannschaft thematisierten.

Wenn an diesem Samstag der FC Bayern auf Borussia Dortmund trifft - ausnahmsweise nicht als Bundesliga-Gipfeltreffen, sondern als Duell zwischen Tabellenerstem und Tabellenfünftem -, stehen sehr wahrscheinlich alle drei Spieler auf dem Platz, deren Nominierung, sollte bei der EM im Sommer akuter Bedarf bestehen, den Umbruch im Nationalteam unterbrechen könnte, wie Löw es formulierte: bei den Bayern neben Müller noch Jérôme Boateng, beim BVB Mats Hummels. Doch obwohl beim DFB eher Bedarf in der Verteidigung besteht, wohingegen das offensive Mittelfeld eher überbesetzt erscheint, geht es meistens vorrangig um ein mögliches Müller-Comeback, wenn über die Rückholaktion gesprochen wird. Der Wert für seine Mannschaft ist bei keinem so offensichtlich wie bei ihm.

Das jüngste Beispiel war das 5:1 der Bayern gegen Köln vor einer Woche. Müller hatte nur zweimal trainiert nach seiner Rückkehr zum Team, zwei Wochen nachdem er in einem raumfahrerähnlichen Schutzanzug einem Privatflugzeug aus Katar entstiegen war und sich dann in die Isolation begeben hatte - mit leichten Corona-Symptomen, wie man inzwischen weiß. Nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit war er 31 Sekunden auf dem Feld, als er das Tor zum 3:1 vorbereitete. Und er beruhigte die Mannschaft, in der zwischenzeitlich mal wieder Konfusion im Defensivverhalten überhand genommen hatte. Müller rief nach hinten, auf Pässe in die Tiefe aufzupassen; er rief nach vorne, Druck im Pressing zu machen - und natürlich rannte er selbst. 228,8 Kilometer ist er insgesamt gelaufen in dieser Saison, 506 Zweikämpfe hat er bestritten, beides Bestwerte im Team. Mit elf Assists führt er die Torvorbereiter-Tabelle der Liga an.

Hoeneß hat im Interview im Vereinsmagazin, in dem er Müllers Charakter als "unvorstellbar" pries, auch noch mal daran erinnert, dass es gar nicht so lange her ist, dass Müller in München nicht mehr so angesagt war. "Es gab eine Phase, da haben viele ein bisschen an ihm gezweifelt", sagte Hoeneß. Er meinte jene Zeit unter Trainer Niko Kovac, in der Müller oft nur Ersatzspieler war, noch in der Hinrunde der vergangenen Saison. Dann übernahm Hansi Flick als Trainer. Dann kam Corona. Und beides hat Müller an Bedeutung gewinnen lassen.

Müller soll auf dem Platz coachen

Flick änderte zunächst die Münchner Spielweise, etablierte eine klare Struktur. Es sei für sein Spiel wichtig, "dass eine Mannschaft klare Abläufe hat", erklärte Müller dazu im vergangenen Jahr im SZ-Interview. Die Organisation, koordiniertes frühes Anlaufen und einstudierte Spielzüge im Angriff, das schuf den Raum für Müllers bewährte Effektivität. Und Flick forderte ihn zum Coachen auf. "Er will meine Kommandos hören, er fordert das ein", sagte Müller. Und dann hörte es plötzlich jeder Zuschauer vor dem Fernseher in seinem Wohnzimmer, wie Müller Kommandos durch leere Stadien rief, oder auch mal die Gegner von Atlético Madrid "Rabauken" schimpfte.

Nun finden es bestimmt nicht alle immer toll, Radio Müller ununterbrochen auf Sendung zu hören. Mit seiner Art hat er sich in seiner Karriere auch unter Kollegen zwar viele, aber nicht nur Freunde gemacht. Doch um seinen Wert für die Mannschaft zu beschreiben, lohnt es sich, noch mal bei Jamal Musiala nachzuhören. Er sei sehr dankbar, von jemandem wie Müller ständig angetrieben zu werden, von ihm lernen zu dürfen, heißt es. Müller zeige ihm zum Beispiel, wie er sich im offensiven Drittel positionieren muss, um am torgefährlichsten zu sein; wie er passen und wann besser schießen soll.

Es gilt als eines der Gegenargumente für eine Rückholaktion in der Nationalmannschaft, dass Müller oder Hummels die Hierarchie im Team wieder umwerfen würden. Löw hat dem aber bereits widersprochen. Und die passende Anekdote zur These hat Müller selbst erzählt: In Lissabon, beim Finalturnier der Champions League, wurde auf einer Anlage am Hotel auf Initiative des passionierten Golfers Müller Golf gespielt, auch mit der jüngeren, den FC Bayern und die Nationalmannschaft inzwischen mindestens genauso prägenden Generation um Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry. Ein schönes Gruppenerlebnis sei das gewesen, sagte Müller. Der Erfolg der Gruppe im Anschluss ist bekannt.

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