Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Cabrio statt Geländewagen

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Nichts ist wirklich misslungen bei den Championships - bis auf den Versuch, aus dem Charmanten schon wieder etwas Großartiges, nämlich Olympia zu formen.

Kommentar von Volker Kreisl

Es musste schon die Sintflut kommen, um diese Stimmung zu dämpfen. Am Samstag, dem vorletzten Wettkampftag der European Championships, da war es dann doch so weit. Das Publikum ereilte auf dem Königsplatz jenes Schicksal, das in dieser Stadt in heißen Sommertagen noch jede zweite Isar-Party erfährt. Am Samstag schüttete es in München aus Kübeln, und die meisten Gäste liefen davon.

Doch es blieb die Ausnahme. Ansonsten war dieses Sportfestival eine Veranstaltung, die die Zuschauer auch jenseits des Fußballs mit guter Unterhaltung versorgte und in großen Scharen anzog. Die tatsächlich mit allen möglichen Aktionen den Bogen zu den Olympischen Spielen 1972 schlug, jener Vorlage für ein Sportfest, das den Bierernst des Medaillenjagens und -zählens mit der Leichtigkeit des Gemeinschaftsgefühls erstmals konterkarierte und damit auch etwas auf den Boden brachte. Auch die Zuschauer 2022, vor allem im Olympiastadion bei der Leichtathletik, zelebrierten die richtige Dosis aus Mitfiebern, großer Freude oder auch bitterer Enttäuschung, aber eben nie in fanatischer Form.

Sport ist immer verbindend, die Frage ist nur, wen er gerade zusammenbringt. In diesem Fall könnten es die Generationen gewesen sein, die jüngeren und die älteren, denen beides serviert wurde - nämlich die jüngeren und die älteren Disziplinen. Auf dem Königsplatz und dem Olympiaberg, an der Kletterwand, beim Kunstradeln auf dem BMX-Bike und beim Bergradeln, ging es um die neuen Bewegungsformen, um die Geschicklichkeit in den Fingerspitzen, um Artistik. Die Sparten boomen immer mehr, jedoch verdrängen sie noch niemanden. Denn nebenan, in den guten alten Großarenen des Parks, wo die Erfolge in Leichtathletik und Turnen mit Maßband und Stoppuhr, beziehungsweise nach einem ausgetüftelten Punktekatalog gemessen werden, war in den Finals genauso viel los.

Olympia hat mit dem, was sich in den vergangenen zehn Tagen abgespielt hat, wenig gemein

Denn dieses Fest lebte von seiner Überschaubarkeit, seinen kurzen Distanzen und seinen Treffpunkten. Im Grunde genommen war hier nichts schlecht, außer dem reflexartigen Versuch, aus dem Überschaubaren schon wieder etwas Großartiges zu machen. Es dauerte eine Woche, da wurde die Forderung erhoben, diesen Erfolg zum Anlass einer deutschen Olympiabewerbung zu machen, nun sei die Gelegenheit da, das Volk sei dem nun gewogen, das müsse man nutzen. Doch es wirkt, als kämen manche auf die Idee, nach einer berauschenden Fahrt im Cabrio auf einen Stadt-Geländewagen mit getönten Fenstern umzusteigen.

Olympia hat mit dem, was sich in den vergangenen zehn Tagen abgespielt hat, wenig gemein. Es ist riesig, umzäunt, in Cluster geteilt und für Zuschauer oft nur auf wenigen Wegen zu erkunden. Sportler sehen hauptsächlich die eigenen Wettkämpfe, oft geht es für sie danach sofort nach Hause. Die Strukturen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind undurchsichtig, Manipulationen begleiteten häufig Bewerbungen. Und Olympia ist teuer - für die Zuschauer, die Eintritt bezahlen, wie für die veranstaltenden Länder, die teils Rechnungen in Milliardenhöhe begleichen mussten.

Man kann sich also für Olympia bewerben. Doch mit dem charmanten Fest, das die European Championships gerade boten, wird es nichts zu tun haben.

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