Süddeutsche Zeitung

Videobeweis im Fußball:Abrechnung mit dem VAR

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Eintracht-Vorstand Axel Hellmann sagt, er sei ein Freund des Videoschiedsrichters gewesen. Doch nach einem eklatanten Fehler beim 3:3 gegen Dortmund fordert er, dessen Befugnisse einzuschränken.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Der Termin war mit Axel Hellmann lange vereinbart. Der Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt stellte am Montag im eigenen Proficamp einen Dokumentarfilm vor, mit dem die Hessen zeigen möchten, wie nachhaltig der Fußballsport sein kann oder will. Bei einem anderen Thema hat Hellmann, der auch Präsidiumsmitglied der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ist, die Hoffnung auf irgendwelche Besserung, sprich nachhaltige Effekte, offenbar begraben. Sonst hätte Hellmann tags zuvor nicht gefordert, die Befugnisse des Video-Assistenten (VAR) künftig zu beschränken. Begründung: "Ich bin der festen Überzeugung: Wir sind in einer Sackgasse mit dem VAR im Zusammenspiel mit dem Schiedsrichter auf dem Platz."

Seine Sorge artikulierte der Funktionär so: "Ehrlicherweise sehe ich die Gefahr, dass es den Fußball in der Form, wie wir ihn lieben, kaputtmacht. Wir schwächen die Schiedsrichter auf dem Platz. Die Schiedsrichter bringen keine bessere Leistung, weil sie immer Druck spüren." Er glaube nicht mehr daran, dass der Videobeweis "den Fußball besser macht".

Da sprach das gebrannte Kind im findigen Juristen. Es entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie, dass die sonntägliche Partie zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund (3:3) genau wie vor einem Jahr von einer VAR-Debatte zum Opfer fiel. Damals war Schiedsrichter Sascha Stegemann vom Kölner Keller wegen eines zu früh abgebrochenen Checkprozesses bei einem klaren Stoß des BVB-Stürmers Karim Adeyemi an Jesper Lindström im Stich gelassen worden, diesmal entschied der Referee Robert Schröder trotz minutenlanger Ansicht der Bilder nach einem eindeutigen Foul des Dortmunder Torwarts Alexander Meyer an Omar Marmoush nicht auf Elfmeter. Ein Fehler, wie der DFB am Montagabend einräumte. Auch der Handelfmeter, den die Eintracht zum 1:0 nutzte, sei zu unrecht verhängt worden, da BVB-Profi Marius Wolf beim versuchten Befreiungsschlag seine Körperfläche nicht unnatürlich vergrößert habe.

"Ich bin ein großer Freund des VAR gewesen", sagt Hellmann, inzwischen sei er anderer Ansicht

Dass Schröder zwar vom Videoassistenten Bastian Dankert in die Review-Area geschickt wurde, dann aber nicht den Mut aufbrachte, seinen Fehler zu revidieren, nannte Hellmann "eine Farce". Wo liege der Mehrwert, fragte der 52-Jährige, wenn am Ende eine auf dem Platz getroffene Entscheidung nicht wirklich "besser gemacht" werde. Deshalb möchte Hellmann den Einsatz auf Kernelemente wie Abseits und Torlinientechnologie reduzieren. Der Kölner Keller solle sich aber bitte nicht mehr bei Foul- oder Handspiel einmischen. "Wir müssen akzeptieren, dass Ungerechtigkeit, Zufallsentscheidungen und Fehler Teil unseres Spielkonzepts sind."

Da klang viel Frust durch - und auch die Erkenntnis, dass das Streben nach Gerechtigkeit im deutschen Fußball früh an menschliche Grenzen stößt. Hellmann kritisierte, dass man mit der aktuellen Praxis denjenigen schwächt, "der es auf dem Platz zu entscheiden hat". Unparteiische könnten nur gestärkt werden, "indem wir ihnen die volle Entscheidungshoheit über das Spiel geben". Der inzwischen auch beim europäischen Fußballverband Uefa bestens vernetzte Strippenzieher räumte ein, nicht die Durchschlagskraft zu haben, "um etwas in Richtung Fifa zu verändern". Aber er werde das Thema "sicherlich an der einen oder anderen Stelle" und innerhalb des DFL-Präsidiums anbringen.

Dieser Vorstoß kann insbesondere dem für Schiedsrichterwesen verantwortlichen Deutschen Fußball-Bund (DFB) nicht gefallen, der sich in regelmäßigen Abständen für Probleme an dieser neuralgischen Schnittstelle rechtfertigen muss. Am Montag schrieb der ehemalige Schiedsrichter Manuel Gräfe bei X/Twitter von einem "Wahnsinn in fast jedem Spiel". Deutsche Referees seien "ohne Führung", würden verheizt und überfordert. Schwere Vorwürfe des DFB-Dauerkritikers.

Die DFB-Pokalspiele diese Woche könnten eine Probe aufs Exempel werden

Interessant wird, was am Dienstag und Mittwoch in der zweiten Runde des DFB-Pokals passiert - da nämlich gibt es keinen Videobeweis, weshalb Wahrnehmungsfehler leichter als Tatsachenentscheidungen akzeptiert werden.

Es könnte die Probe aufs Exempel werden, ob die alten Zeiten wirklich besser waren. Eintracht-Trainer Dino Toppmöller würde wohl auch nicht klagen, wenn sein Team nach einer klaren Fehlentscheidung beim Drittligisten Viktoria Köln ausscheiden würde. Schon am Sonntag hatte er keine Beschwerde führen wollen, denn: Das aus seiner Sicht fantastische Bundesligaspiel gegen den BVB verdiene es nicht, "dass wir über irgendwelche Entscheidungen des Schiedsrichters diskutieren". Kurz nach der Pressekonferenz rief allerdings sein Boss die Gesprächsrunde für eine Grundsatzbeschwerde ein, die fast einer Generalabrechnung glich.

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