Süddeutsche Zeitung

Doping im Biathlon:Es wird Zeit für die unpopulären Fragen

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Die Affäre über vertuschte Dopingfälle im Biathlon-Weltverband wirft die Frage auf, ob immer nur die üblichen Verdächtigen falsch spielen. Auch der deutsche Verband steht unter Druck.

Kommentar von Thomas Kistner

Schon wahr, der Sport ist arg verkommen, man weiß das ja seit längerem. Werden zum Beispiel Fußball-WM-Turniere oder Olympische Spiele vergeben, rotten sich hinter der Kulisse Funktionärsscharen zu internationalen Schmiergeldempfänger-Konsortien zusammen. Immer mehr Strafermittlungen durchdringen diese systematische Schattenwirtschaft, gerade kam die Winterspielvergabe an Pyeongchang 2018 dazu. Das arme, hintergangene Opfer ist in diesem Fall: München, Deutschland.

Klar erscheint nach außen aber auch, dass die Übeltäter zumeist dort sitzen, wo man sie, nun ja: von Haus aus vermutet. In der Dritten Welt, im verkorksten Osteuropa. Doch zum billigen Reflex wird das spätestens dann, wenn es um ein anderes kriminelles Strukturproblem geht: Doping. Abonniert auf die Täterrolle sind hier die Sportkameraden aus Russland, und dieses Ressentiment haben sie sich über ihre staatlich orchestrierten Dopingmaßnahmen auch wacker erarbeitet.

Aber dopen nur die Russen? Spielen im unkontrollierten, extrem betrugsanfälligen Spitzensport immer nur die üblichen Verdächtigen falsch? Und falls ja: Wie ist es möglich, dass die größten Profiteure dieses Sports, die ihre Leute in den Schlüsselpositionen dieser Schattenwelt haben, im Olymp wie im Fußball, von jahrzehntelanger Misswirtschaft nie etwas mitgekriegt haben?

Welche Rolle spielen die Anständigen? Was ist mit den Deutschen?

Da lohnt ein Blick auf die jüngste Affäre, die jetzt an den Grundfesten des Biathlon-Weltverbandes IBU rüttelt. Gewiss, auch hier hatten Sportagenten des Kremls mitgemischt. Nach strenger Verdachtslage soll die IBU-Spitze seit 2011 insgesamt 65 russische Dopingfälle vertuscht haben, einige hunderttausend Dollar sollen geflossen sein. Präsident dieser IBU ist aber kein Russe. Vielmehr war der Norweger Anders Besseberg, 72, seit 1993 im Amt und als dienstältester Weltverbandschef hochgeachtet. Generalsekretärin seit zehn Jahren war: Nicole Resch. Die 42-jährige Deutsche hat eine vertikale Karriere hingelegt, eng an Bessebergs Seite. Gegen beide wird ermittelt; es gab Razzien in Norwegen und Deutschland. Und das Ganze ist wohl nur die Spitze des Eisberges. Schon brodelt die Gerüchteküche, es geht um Jagden, üppige Einladungen und andere Begleit-Erscheinungen. Die norwegisch-deutsch geführte IBU: ein veritables Wespennest?

Offenkundig ist, dass die Tests nur Humbug waren - auch die korrekten

Global ist Biathlon kein Renner, in einigen Wintersportländern aber ist es der beliebteste Publikumssport: in Russland, Norwegen, Deutschland. Nirgendwo sind Erfolgs-Chronik und öffentlicher Stellenwert größer. Da fragt sich doch, wie in einer Ära prallen Russland-Dopings Deutsche und Norweger allzeit sauber mitzuhalten vermochten? Klingt unpopulär, die Frage drängt sich aber leider auf.

Erstens offenbart sie, wie monströs der Verrat an jedem sauberen Sportler ist, wenn Funktionäre Doping vertuschen. Zweitens zählt gerade das von norwegisch-deutscher Hand geführte Biathlon zu den größten Sorgenkindern der Betrugsfahnder. Die beklagen seit jeher, wie dreist sich IBU und manche Verbände unabhängigen Kontrollen entzögen. Biathlon: das sei ein geschlossenes System.

In so einem System dürfte mehr im Argen liegen. Jetzt muss alles auf den Tisch, auch in der deutschen Biathlon-Nation. Der Sport muss schlüssig darlegen, wie er sich bewegt hat in so einem System. Offenkundig ist, dass die Tests von IBU und Co. nur Humbug waren - auch die korrekten. Die wären ja nicht zu unterscheiden von den falschen in einem Sport, der Dutzende Fälle unter den Tisch kehrte.

Biathlon, der Deutschen liebster Wintersport, muss die Reset-Taste drücken. Es braucht ein neues Programm, Arbeitstitel: Glaubwürdigkeit. Das beginnt mit effektiven Dopingtests, die endlich von unabhängigen Stellen gesteuert werden.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2018
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