Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Der VfB tanzt mit gefesselten Füßen

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Beim VfB Stuttgart läuft gerade ein großes Liga-Experiment: Ein Traditionsklub versucht, nach einem chaotischen Jahrzehnt auf eine neue sportliche Ebene zu kommen - inklusive unerwünschter Geschäftsmodelle.

Von Christof Kneer

Schon bevor das traditionell turbulente Spiel beim SC Freiburg begann, hatte der VfB Stuttgart eine turbulente Woche hinter sich. In dieser Woche mischten sich gute und schlechte Nachrichten auf eine Art, die ein emotionales Fazit schwierig machte.

Überwog die Freude über die Vertragsverlängerung des Nationalspielers Chris Führich und die Anwerbung des Nationalspielers Mo Dahoud? Oder dominierte der Schmerz über die Kreuzbandverletzung von Dan-Axel Zagadou, der nicht nur als unüberwindbarer Abwehrspieler, sondern auch als Lieblingskollege aller Mitspieler gilt? Jedes ihrer herausgespielten Tore in Freiburg (3) haben die Mitspieler ihrem Lieblingskollegen gewidmet, mit dessen Rückennummer (23) sie schon ihr Aufwärmprogramm bestritten hatten.

Tatsächlich ist nicht mehr zu übersehen, dass ein guter Geist in dieser Stuttgarter Mannschaft steckt, der sich in Form von meist sehr gutem Spiel zu erkennen gibt. Auf diese Weise hat es der VfB zur Überraschungself der Saison gebracht - hinter der Elf von Bayer Leverkusen, deren guter Geist ähnlich wie in Stuttgart (Sebastian Hoeneß) von einem souveränen Trainer (Xabi Alonso) beeinflusst wird. Und so dürfte beim DFB-Pokalduell der beiden Teams am Dienstagabend auch eine Erkenntnis zur Schau gestellt werden, die schon jetzt als saisonprägend gelten darf: Erfolg stellt sich am ehesten dort ein, wo ein souveräner Trainer auf eine planvolle Personalpolitik trifft.

Die akute Frage beim VfB: Wie wird ein Hallodri seriös?

An diesem Punkt zeigt sich nun aber, wie viel diese beiden Teams doch voneinander trennt - nicht nur, weil Leverkusen in Spitze und Breite natürlich über die hochkarätigeren Spieler verfügt. Und über die deutlich teureren, wie man anfügen sollte, was zu einem grundsätzlichen Unterschied führt, der sich kurioser anhört, als er ist: Den Leverkusenern gehört ihre Mannschaft. Dem VfB Stuttgart gehört seine Mannschaft nicht.

In Stuttgart kann die Liga gerade in Echtzeit bei einem Experiment zuschauen, das auch an anderen Standorten interessieren dürfte: Wie schafft man es, ein chaotisches Jahrzehnt hinter sich zu lassen und die Vorteile eines Traditionsklubs (Fans, Image, Wucht) über die Nachteile eines Traditionsklubs (viel zu hohe Ausgaben, viel zu große Unruhe) triumphieren zu lassen? Wie wird ein Hallodri seriös?

Der VfB tanzt gerade mit gefesselten Füßen - und das ist nichts, was man gegen die Verantwortlichen verwenden sollte. Im Gegenteil: Beim Versuch, trotz hoher Schuldenlast einen konkurrenzfähigen Kader zu unterhalten, muss der Sportchef Fabian Wohlgemuth Kompromisse eingehen, die er in einer idealen Welt nicht eingehen würde. Ein simpler Abzählreim erbringt ein auf den ersten Blick bedenkliches Ergebnis: Über - je nach Aufstellung - sieben bis acht Elftel seiner Startformation hat der VfB keine oder nur wenig Kontrolle. Der Torwart Nübel ist ebenso geliehen wie die Angreifer Undav und Leweling, der Abwehrspieler Rouault oder der Mittelfeldspieler Dahoud. Und Leistungsträger wie Guirassy, Führich, Anton, Millot, Ito oder Zagadou haben sich ins Kleingedruckte ihrer langfristigen Verträge offenbar Ausstiegsklauseln schreiben lassen, die den Verein in gewissen Zeitfenstern zum ohnmächtigen Beobachter machen.

Der VfB hat im Moment keine Wahl. Was sie in Stuttgart praktizieren, ist der legitime Versuch, über grundsätzlich unerwünschte Modelle die nächste sportliche Ebene zu erreichen. Eine Ebene, die neue Reputation und vor allem neue Einnahmen verspräche - mit deren Hilfe man zum Beispiel einige der tollen Spieler kaufen könnte, die eh schon für einen spielen.

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