Süddeutsche Zeitung

DFB:Schenkelklopfer statt Großreinemachen

Lesezeit: 3 min

Fritz Keller geht - und es kommt mal wieder Rainer Koch. Es ist absurd, dass im Intrigantenstadl DFB nun ausgerechnet der ewige Vize die Interimsführung übernimmt.

Kommentar von Thomas Kistner

Gut sieben Millionen Fußball-Interessierte vertritt der Deutsche Fußball-Bund (DFB), das ist die größte Personenvereinigung des Sports weltweit. Dank der filmreifen Verwerfungen in den vergangenen Monaten ist das Spitzenpersonal dieses Verbandes so stark in die Öffentlichkeit gerückt, dass der Name manches Funktionärs gerade geläufiger ist als der mancher Profikicker. Insofern konnte jetzt der Sport-Informationsdienst eine repräsentative Fan-Studie unter knapp 2000 Teilnehmern veranstalten. Das Resultat ist eindeutig. Eindeutig desaströs.

78 Prozent der Befragten fordern den Rücktritt von DFB-Präsident Fritz Keller, der intern einen Nazi-Vergleich angestellt hatte. Damit bleibt Keller, Gratulation, weiterhin Funktionärskönig der Herzen. Mehr als Generalsekretär Friedrich Curtius (79,7 Prozent Ablehnung), aber auch der reicht nicht ans Schlusslicht heran: 81,2 Prozent mögen Rainer Koch, die ewige Nummer zwei im DFB, nicht länger ertragen. Wobei ertragen das richtige Wort ist, weil Amateurchef Koch ja selbst immerzu das Wohl dieser Fans, der Basis, als Antrieb für all sein Wirken anführt.

Koch trägt seit Monaten ein albernes Narrativ in die Krisensitzungen

Nun hat sich die Basis konkret geäußert. Und jetzt? Na gut, die Leute blicken einfach nicht durch. Sie glauben nämlich an eine Führungskrise, daran, dass unfähige Manager den DFB gerade in die Zerrüttung treiben! Sie wollen nicht erkennen, was wirklich dahintersteckt: Dunkle, böse Mächte sind am Werk! Kräfte von außerhalb, Mars oder Jupiter, weshalb man sie eben leider nur so vage benennen kann wie ein schlüssiges Motiv für ihr okkultes Treiben. Klar ist aber, dass sie Ziele verfolgen: den Amateurfußball zerstören! Und dabei vorbildlich agierende Funktionäre wie Koch in trübes Licht rücken.

Klingt albern? Klar. Es ist aber das Narrativ, das Koch seit Monaten in die Krisensitzungen trägt. Und es verfängt in einem Verband, in dem es noch immer viel zu viele treue Kameraden gibt. Vollblutfunktionäre wie Ronny Zimmermann, mit dem er bald einen kosmetischen Rollentausch als oberster Amateur-Vize vollziehen dürfte, oder wie Rheinlands Landeschef Walter Desch, 76, der vor drei Jahren mit einem IT-Nebenvertrag im DFB auffiel, der die Frage aufwarf, warum ein Verband mit 500 Mitarbeitern einen betagten Ex-Soldaten als Digitalexperten benötigt. War im überwiegend jungen DFB-Personal keiner im Stande, mit so modernen Themen umzugehen?

So vieles ist absurd. Koch steht ja im Kern der Affäre um das stille Wirken eines Medienberaters, sein alter Bekannter. Er hat jeden Kredit verspielt im Profilager und mag Deutschlands unbeliebtester Funktionär sein - aber das zählt alles nicht, solange nur genug alte Kameraden brav am Gängelband gehen. Deshalb war Dienstag kein Großreinemachen, sondern der nächste Schenkelklopfer.

Federn ließ auch Kochs Seite: Curtius und Schatzmeister Osnabrügge sind in Kürze DFB-Geschichte. Und Keller hat sich selbst abgeschafft, dank seines impulsiven Naturells in Stresslagen. Das ist bitter, für ihn und für den Intrigantenstadl DFB, weil der Präsident kurz davor war, diesen Stadl auszumisten. Er hatte sogar große Teile der Amateure hinter sich - dann die Entgleisung. Und nun soll der übernehmen, den Keller als größten Problemfall im Visier hatte: Rainer Koch.

Drei Streithansl gehen, der Vierte startet durch

Damit hebt der DFB einen Mann aufs Schild, gegen den (wie auch gegen Curtius/Osnabrügge) Strafermittlungen des Fiskus laufen. Aber das ist offenbar ebenso nebensächlich wie andere Schieflagen: Die Justiz schaut längst nicht mehr nur auf die Steuer-Causa; die Unruhen um den Beratervertrag werden zunehmen. Daher reicht eine Frage nun weit über den DFB hinaus: Welches Profil benötigtt eine Galionsfigur für Millionen deutsche Fußball-Mitglieder? Ist Koch das Gesicht dieses Fußballs, der in wenigen Wochen halb Europa zur Fußball-EM in München zu Gast haben wird?

Drei Streithansl gehen, der Vierte startet durch: Das war bei Koch immer so. Der sieht in Keller nicht den ersten, sondern schon den vierten Präsidenten scheitern - und übernimmt zum dritten Mal. Wohin das führen wird, ist ja bekannt. Als Boss kann er aber auch Einfluss auf laufende Untersuchungen ausüben, die vor allem ihm selbst schaden könnten. Und auch als Casting-Chef für neue Präsidenten hat niemand mehr Erfahrung. Wie naiv ist es, zu glauben, dass der größte Strippenzieher des DFB nicht bei der Kandidatensuche mitmischt? Koch wird alles tun, um über den Bundestag 2022 hinaus ein Spitzenamt zu behalten: Sonst verlöre er den mit einer Viertelmillion Euro jährlich dotierten Vorstandsjob in der Europa-Union Uefa. Dort, noch ein Witz, vertritt der Funktionär, den das deutsche Profilager ablehnt, deutsche Profi-Interessen.

Vielleicht sollte ein Mann mit solchem Ballast nicht sieben Millionen Fußballfreunde vertreten. Auch wenn er für den morschen DFB sicherlich der richtige ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5293137
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.