Süddeutsche Zeitung

Deutscher Fußball-Bund:Die verschwundene Selbstanzeige

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Das Verhältnis zwischen DFB-Präsident Keller und Generalsekretär Curtius ist zerrüttet. Nun eskaliert der Machtkampf - weil Keller sich vor Monaten in eine Sitzung einwählte, zu der er nicht eingeladen war.

Von Johannes Aumüller, Thomas Kistner und Jörg Schmitt, Frankfurt/München

Es passt in die Chronik des Jahres, dass sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bis in die letzten, stilleren Tage hinein als krachender Intrigantenstadl präsentiert. Öffentlich flogen die Vorhaltungen zuletzt nur so umher, und nun wird auch hinter den Kulissen mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln um die Macht im Verband gerungen. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Präsidenten Fritz Keller, der dank seines aufbrausenden Naturells selten ein Fettnäpfchen auslässt, und dem unauffälligen Generalsekretär Friedrich Curtius, der wegen einer Armverletzung seit Wochen krankgeschrieben ist, ist inzwischen völlig zerrüttet.

Im Oktober hatte Keller, 63, vor einer Präsidiumssitzung gar den Versuch unternommen, Curtius, 44, loszuwerden. Damals wurde der Showdown vertagt. Aber nun ist die allseitige Erwartung, dass es im Januar oder Februar zur finalen Machtprobe kommt: Keller oder Curtius. Der Präsident unterstellt dem Generalsekretär Illoyalität. Der Generalsekretär unterstellt dem Präsidenten chaotische Amtsführung und Einmischung in sein Kerngeschäft.

Die massive Verwerfung zwischen zwei Topleuten, die in besseren Zeiten schon gemeinsam Wandern gingen, eskaliert nun wegen eines seltsamen Vorganges aus dem Frühjahr: Es geht um eine Selbstanzeige des Präsidenten, der da gerade ein halbes Jahr im Amt war - und um den weiteren Umgang damit.

Fritz Keller sandte die Selbstanzeige damals an den Chef der DFB-Ethikkommission, den inzwischen verstorbenen SPD-Politiker Thomas Oppermann. Thema der Selbstbezichtigung war Kellers Verhalten rund um eine interne Telefonkonferenz des DFB. Danach standen Vorwürfe von womöglich sogar strafrechtlicher Tragweite im Raum. Doch ziemlich schnell versandete der Vorgang intern. Weil Oppermann keinen Grund für eine Sanktion sah - und weil sich, so heißt es im heutigen Ethik-Komitee, Keller und Curtius damit einverstanden erklärt hätten, dass der Fall nicht weiterverfolgt werde. Aber war dem wirklich so?

Immerhin erscheint der Vorgang erheblich, und wer versucht, ihn zu rekonstruieren, dem offenbaren sich eine erstaunliche Fehlerkette und seltsame Verhaltensweisen von allen Beteiligten.

Keller und Curtius wollen sich nicht äußern. Der DFB schickt einen Presseanwalt vor.

Die Sache ist komplex. Keller und Curtius wollen dazu nichts sagen, der DFB schickt sogar einen Presseanwalt vor, der erklärt, seine Mandantschaft sei "schon aus datenschutz- wie persönlichkeitsrechtlichen Gründen gehindert, Ihre Fragen zu beantworten". Gleichwohl schweben über dem Vorgang drei zentrale Fragen: Wie schwer war Kellers Vergehen? Warum machte er die Selbstanzeige? Und wie konnte der Vorgang im Verband so still versanden - bis er nun, mitten im aktuellen Machtkampf, plötzlich wieder aufgetaucht ist?

Der Vorgang: Am 23. März fand eine DFB-interne Telefonkonferenz zwischen der hauptamtlichen Spitze um Curtius und der Mitarbeitervertretung des DFB statt; letzteres Gebilde ist nicht zu verwechseln mit dem Betriebsrat, den es erst seit Kurzem gibt. In dem Gespräch ging es um die wirtschaftliche Situation des Verbandes in Corona-Zeiten und auch um die mögliche Einführung von Kurzarbeit. Es war eine Schalte unter festangestellten Verbandsmitarbeitern, der formal ehrenamtlich tätige Präsident Keller war nicht eingeladen. Gemäß Satzung hat er mit solch operativen Fragen auch nichts zu tun.

Doch Keller besorgte sich über einen Mitarbeiter die Einwahldaten und schaltete sich in den Schlussminuten per Telefon aus seinem Auto zu. Als ihm ein Diskussionsbeitrag über seine angebliche Haltung zum Thema Kurzarbeit nicht passte, habe er sich erbost zu Wort gemeldet. Nicht er allein habe diese Position zur Kurzarbeit, soll er geschimpft haben, sondern der gesamte Präsidialausschuss - das wichtigste Gremium des Verbandes, dem sechs Mitglieder angehörten; auch General Curtius.

Teilnehmer in der Runde wunderten sich über die Stimme aus dem Off. Denn Keller war doch gar nicht eingeladen. Durfte er sich da einfach zuschalten? Auf diese Frage gibt es vom DFB keine Antwort.

An jenem 23. März war kurz nach Kellers Wortbeitrag die Telefonkonferenz vorbei. Wenig später kam es zu einem Gespräch zwischen Keller, Curtius und einer weiteren Teilnehmerin der Schalte. Sehr emotional sei es dabei zugegangen, heißt es - und dabei fiel ein brisanter Satz. Gemäß einem von Curtius gefertigten internen Protokoll, das die SZ einsehen konnte, sagte Keller den beiden, dass er die Konferenz mitgeschnitten habe.

Ein Mitschnitt einer internen Gesprächsrunde? Das wäre eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, im Zweifel könnte das sogar die Staatsanwaltschaft interessieren; selbst der Versuch ist strafbar. Es drohen maximal drei Jahre Haft oder Geldstrafe. Hat Keller das Gespräch also tatsächlich aufgenommen - oder hat er damit gedroht? Eine offizielle Antwort gibt es nicht, auch keine Beweislage. In einer von Kellers Seite gefertigten Verlaufsbeschreibung des Falles, die der SZ ebenfalls vorliegt, heißt es, er habe das Gespräch nicht mitgeschnitten, er habe so etwas noch nie getan. Dass die Worte über den Mitschnitt gefallen sind, bestreitet niemand. In Kellers Umfeld werden sie als Bluff beschrieben, um wahre Aussagen zu erzwingen.

Am Abend soll Keller jedenfalls den Präsidialausschuss informiert haben, dem neben ihm und Curtius noch die beiden Vize-Präsidenten Peter Peters und Rainer Koch, Schatzmeister Stephan Osnabrügge und damals auch noch Liga-Chef Christian Seifert angehörten. Anderntags soll es zu einem erneuten hitzigen Gespräch zwischen Keller und Curtius gekommen sein. Zudem hatte Keller, so heißt es in der Selbstanzeige, nun von Schatzmeister Osnabrügge den Hinweis erhalten, dass seine Handlung möglicherweise strafrechtlich relevant sei. Auch Curtius habe ihm erklärt, dass er gar nicht hätte teilnehmen dürfen. Osnabrügge sagt dazu auf Anfrage nichts.

Keller reichte am 27. März beim damaligen Ethik-Chef Oppermann eine Selbstanzeige ein, um den Sachverhalt prüfen zu lassen - "auf Anraten meines Rechtsbeistandes", wie es in dem Schreiben heißt. Keller sagt, er bezweifle "das Vorliegen eines strafrechtlich relevanten Vorgangs beim Einwählen in eine interne Telefonkonferenz des DFB". Das sei ein Irrtum gewesen; er habe gedacht, es handele sich um die virtuelle Mitarbeiterversammlung einen Tag später. Bei der trat er als Redner auf. Er habe sich auch, wie üblich, mit seinem Namen angemeldet, sechs Minuten vor terminiertem Ende der Konferenz, von einem Lauschangriff könne keine Rede sein. Der Weg der Selbstanzeige, so heißt es aus dem Keller-Lager, sei der Versuch gewesen, just das zu verhindern, was nun eingetreten ist: dass der Vorgang irgendwann einmal gegen ihn verwendet werden würde.

Allerdings ist in Kellers Selbstanzeige von einem Mitschnitt oder der Drohung damit nicht die Rede. Warum nicht? Es sei mit Oppermann ja dann auch über diese Sache geredet worden, heißt es, unter Einbeziehung der diversen Beteiligten.

Der weitere Weg ist schwer zu rekonstruieren. Oppermann sprach mit Keller und Curtius, angeblich auch mit zwei anderen Konferenzteilnehmern, und informierte die Geschäftsstelle der Ethik-Kommission, dass es da etwas gebe. Ein strittiger Punkt ist nun aber: Die vier übrigen Mitglieder der Ethik-Kommission erfuhren nach SZ-Recherchen damals im März nichts von dem Vorgang, sondern erst im Zuge von Medienrecherchen vor wenigen Wochen.

Hätte Oppermann die gesamte Ethikkommission informieren müssen? Einige sehen das so

Einige Kräfte im Verband sehen es so, dass in einem solchen Fall zwingend alle Mitglieder der Kommission zu involvieren sind. Jedoch gibt es aus Sicht der Ethiker der interne Verfahrensweg durchaus her, dass sich der Vorsitzende allein um einen eingereichten Fall kümmern könne - ohne alle Mitglieder zu informieren. Das ist generell ein Mangel in der Arbeitsweise der DFB-Ethiker, die sich, eine weitere Schwäche, ohnehin stark als beratendes Gremium verstehen und nicht als ermittelndes. Im konkreten Fall ist daher manches offen. In Kellers Umfeld heißt es, Oppermann habe die Anzeige nun einmal zurückgewiesen.

Der heutige, kommissarische Ethik-Chef Bernd Knobloch, ein Jurist aus Frankfurt, verweist auf schriftliche Eingaben von Präsident und Generalsekretär: Beide hätten einvernehmlich erklärt, dass kein Interesse an einer Weiterverfolgung bestünde. In Curtius' interner Notiz heißt es in der Tat, dass der Fall für ihn durch die Aussprache am Tag darauf abgeschlossen sei - für ihn persönlich, aber auch für die Gremien? In einem der SZ vorliegenden Protokoll einer Sitzung des Präsidialausschusses Tage nach der Selbstanzeige heißt es, dass sich Keller für das "Missverständnis" aus der Vorwoche entschuldigt habe - und auf sein "klärendes Gespräch" verwiesen habe. Eine Widerrede von Curtius vermerkt das Protokoll so wenig wie von anderen Mitgliedern des Gremiums. Angeblich, so wird von Curtius' Unterstützern gestreut, habe der Generalsekretär bei Oppermann die Bedingung formuliert, dass die ganze Ethikkommission informiert werde - was aber offenbar bis vor kurzem nicht geschah.

Aber warum erschien ihm der Vorgang nicht erheblich genug, um sich klar für eine Weiterverfolgung auszusprechen? Andererseits: Lässt sich eine einmal gestellte Selbstanzeige im Alleingang einfach so zurückweisen? Gilt nicht, dass sich die Ethiker insgesamt gründlich damit befassen müssten? Der heutige Ethik-Chef Bernd Knobloch gibt zu verstehen, dass der Fall erst einmal bei den Akten liegt, seit damals sei nichts mehr geschehen. Aber dass sich alles ändern könne, wenn neue Sachverhalte vorliegen.

Eines gibt die Geschichte von der verschwundenen Selbstanzeige in jedem Fall: einen Einblick in die komplexe Gefechtslage in einem außergewöhnlich aufgewühlten DFB.

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