Süddeutsche Zeitung

DFB-Erfolg gegen Russland:Lässige Pässchen und Törchen

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Von Christof Kneer, Leipzig

Die Rahmenbedingungen dieses Fußball-Länderspiels: ein sehr kaltes Stadion in Leipzig, ein nicht sehr gut gefüllter Oberrang auf der Gegengerade, und dann diese erschütternden Zahlen: 0,82 Tore hatte die deutsche Nationalmannschaft im Jahr 2018 pro Spiel im Schnitt erzielt (es gab Tage unter Joachim Löw, da waren es eher 8,02). Außerdem: sechs Niederlagen im Kalenderjahr 2018, das gab's in der DFB-Geschichte noch nicht mal bei den Rumpelfüßlern. Und dann natürlich dieser Gegner: Russland - die Mannschaft aus jenem Land, in dem der deutschen Fußball vor nicht mal einem halben Jahr ähnlich untergegangen war wie die finsterste Ausgabe der Rumpelfüßler. Das warf dann schon die Frage auf: Konnte das alles gut gehen?

Tatsächlich hatte Joachim Löw, der für diese Zahlen verantwortliche Bundestrainer, einen einigermaßen genialen Einfall, um diese Rahmenbedingungen zu ignorieren. Es war ein Einfall, der nicht komplett neu war, aber es war Löw nicht vorzuwerfen, dass er eine bereits bestehende Idee kopierte. Er beklaute sich im Grunde selbst, er radikalisierte eine Idee, die er vor vier Wochen bereits in Paris der Weltöffentlichkeit vorgestellt hatte: Er ließ einfach eine andere Elf spielen als die, die diese gemeinen Zahlen verursacht hatte.

Aber in Paris standen immerhin noch Jérôme Boateng, Mats Hummels und Toni Kroos in der Startelf, im sehr kalten Leipzig verzichtete Löw auf Boateng und schonte Kroos und Hummels. Er ließ eine Mannschaft los, in der auf den ersten Blick nicht mehr viel Watutinki steckte, obwohl einige der Startspieler durchaus in jenem kuriosen Hotelkomplex im Süden Moskaus eingebucht waren, der als Chiffre für alles Schlechte und Böse im deutschen Fußball gilt.

Löw scheint willens, die WM in Brasilien hinter sich zu lassen

Am Ende siegte Löws Elf mit 3:0 (3:0) gegen den WM-Gastgeber, es sah leicht und locker aus, was freilich auch am WM-Gastgeber lag, dessen Spieler offenbar ihre Körper in der Heimat vergessen hatten, möglicherweise sogar in einem Birkenwäldchen in Watutinki. Aber trotz dieses nur mäßig wehrhaften Gegners erreichte Löw, was er erreichen wollte: Er vermittelte den Eindruck, den die Leute draußen im Land und auch drinnen im Verband vermittelt bekommen wollten. Den Eindruck, dass dieser Bundestrainer willens und auch imstande ist, die WM in Brasilien hinter sich zu lassen.

Nur ein einziger Stammspieler von 2014 stand in Leipzig in der Startelf (Manuel Neuer), ansonsten liefen Spieler auf, die die WM 2014 mit ihren pubertierenden Kumpels auf Großleinwänden verfolgt haben: Kai Havertz etwa, damals 15, heute 19, Spielmacher in Leverkusen und vielleicht bald dauerhaft beim DFB - immer wieder schob der junge Mann so hübsche Pässchen aus seiner Zentrale durch in die Spitze, dass man sich manchmal bei dem Gedanken ertappte: Warum hat so hübsche Pässchen eigentlich bei der WM keiner gespielt? Natürlich hat sie bei der WM auch deshalb keiner gespielt, weil es keinen Gegner gab, der nur so'n bisschen mitkickte - dennoch wurde der Test in Leipzig, wie schon der in Paris, zu einer Art Warum-eigentlich-erst-jetzt-Spiel.

Warum nicht bei der WM schon eine Dreier-Abwehrkette? Warum nicht bei der WM schon Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld? Und warum nicht schon bei der WM ein paar frische Impulse, verkörpert etwa durch den kurz vor dem Turnier aus dem Kader redigierten Leroy Sané, der nach einem ausgesprochen frischen Spielzug die frühe Führung erzielte (8.)? Ein Pässchen von Rechtsverteidiger Thilo Kehrer durchschnitt die russische Kette, Serge Gnabry und Leroy Sané starteten gleichzeitig in die Tiefe, worauf der eine - Gnabry - den anderen - Sané - lässig freispielte.

Am Ende kam doch noch Thomas Müller ins Spiel

Es waren jene Bilder, die der Bundestrainer gerade dringend braucht, um weiter Bundestrainer sein zu dürfen. Im Verband haben sie ihren im Sommer gefassten Plan inzwischen offenbar wieder kassiert, ursprünglich galt die Beschlusslage, dass Löw im Falle eines Abstiegs aus der Nations League nicht mehr zu halten sei. Nun droht dieser Abstieg vor dem letzten Nations-League-Spiel gegen die Niederlande am Montag tatsächlich, aber mit Aufstellungen wie in Paris und Leipzig - etwa mit dem jungen Dreier-Angriff Sané/Gnabry/ Werner - hat Löw seine Vorgesetzten erst mal von seinem Reformwillen überzeugt. Auch das 2:0 (25.) erzielte ein Tordebütant, Niklas Süle traf nach Ecke von Kimmich; und auch das 3:0 (40.) - Pässchen Havertz, Törchen Gnabry - entsprang einem Geist, der nicht in Watutinki spukte.

In der zweiten Hälfte spielten die Russen etwas griffiger und die Deutschen etwas weniger, was am Statement-Charakter des Spiels (Watutinki, nein danke!) aber wenig änderte. Es wirkte tatsächlich fast überraschend, als plötzlich noch ein Spieler namens Thomas Müller ins Spiel kam.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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