Süddeutsche Zeitung

DFB-Frauen in der Nations League:Die Olympia-Chance gewahrt

Lesezeit: 3 min

Das deutsche Nationalteam hält dem Druck stand: Nach dem 3:0 gegen Dänemark fehlt noch ein Erfolg gegen Wales, um am Finalturnier der Nations League um eines der europäischen Tickets für die Sommerspiele kämpfen zu können.

Von Anna Dreher

Im ersten Moment mutete die Szene an wie der Anfang einer weiteren vergebenen Torchance, von denen das deutsche Nationalteam am Freitagabend schon manch eine geliefert hatte. Sjoeke Nüsken hatte den Ball in der dritten Minute der Nachspielzeit in die linke Strafraumseite geschickt, Alexandra Popp und Klara Bühl waren beide dorthin gerannt - und irritierten sich erst gegenseitig, frei nach dem Klassiker "Nimm du ihn, ich hab' ihn sicher!"

Bühl zögerte, bevor sie schließlich doch diejenige war, die den Ball entschlossen weiterverarbeitete. Und vielleicht war es genau dieses kurze Innehalten, das ihr den Überraschungseffekt gegenüber Dänemarks Torhüterin Lene Christensen brachte. Aus einem vermeintlichen Missverständnis jedenfalls wurde ein entscheidender Schuss.

Der Ball flog über Christensen zum 3:0 ins Tor - und wahrte den Deutschen die Chance auf die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024. Das Team von Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch hatte nach dem 0:2 im Hinspiel mit mindestens zwei Toren Differenz dieses vorletzte Gruppenspiel der Nations League gewinnen müssen, um überhaupt im Rennen zu bleiben. Nun muss am Dienstag zwar noch Wales besiegt werden, die Aufgabe aber ist als Gruppenerster einfacher geworden. Denn nur wer die Tabelle anführt, qualifiziert sich für das Finalturnier der Nations League Ende Februar, bei dem die beiden europäischen Olympiaplätze vergeben werden. "Ich glaube, das war von der ersten bis zur letzten Minute ein überzeugender Auftritt", sagte Svenja Huth im ZDF. "Wir hätten das ein oder andere Tor schon früher nachlegen können, aber wir sind erst mal glücklich."

Hrubeschs Spielerinnen setzen um, was sie im September noch hatten vermissen lassen

Sie und ihre Mitspielerinnen hatten sich vor der Partie in einem Spagat versucht, trotz dieser sportlich ernsten Lage die mit Hrubesch gefundene Lockerheit in Spielfreude zu wandeln, was wiederum dabei helfen sollte, den Fokus zu wahren. Und falls ihnen dabei die anvisierten Ergebniskonstellationen nicht ohnehin als Dauerbegleiter im Kopf herumschwirrten, wurden sie in den Fragerunden daran erinnert. Druck war das allgegenwärtige Wort, was Hrubesch wiederum zu einer philosophischen Rückfrage animierte: "Ich meine, was ist Druck?" Im Kader seien genug Spielerinnen, sagte der 72-Jährige, "die diese Drucksituationen bestens kennen".

Seine Spielerinnen bestätigten das in der ersten Halbzeit, auch wenn Hrubesch seine Startelf im Vergleich zum vergangenen Länderspiel in Island auf sechs Positionen verändert hatte - unter anderem kehrte die in Reykjavik verletzt fehlenden Merle Frohms zurück, Bayern Münchens Lina Magull rutschte hingegen aus dem Kader. Im September schleppten die Deutschen spürbar noch den Ballast der vermasselten Weltmeisterschaft mit sich herum. Nun konnten sie vor 19 180 Zuschauern im Rostocker Ostseestadion umsetzen, was sie sich vorgenommen hatten: schnell umschalten, konsequent in die Zweikämpfe und möglichst früh in Führung gehen.

Dabei half es, auf einen bewährten Schachzug zurückzugreifen. Sarai Linder flankte den Ball in der 14. Minute von der linken Seite in den Strafraum, wo - wer sonst? - Alexandra Popp so frei zum Kopfball kam, als sei den Däninnen nicht bewusst, was für ein Ungeheuer da lauerte. Es war ein erster Befreiungsschlag. Der zweite folgte bald nach ähnlichem Muster: Klara Bühl schlug einen Eckball, am Fünfmeterraum erwischte Marina Hegering - ebenfalls allein gelassen - das optimale Timing, nächster Kopfball, nächster Treffer.

"Ich leide ja auch mit. Ich weiß ja auch was die Mädels investieren", sagt Hrubesch

In der 26. Minute hatten die Deutschen also schon jenen Zwischenstand erreicht, der zumindest für den Moment beruhigte. 2:0, das bedeutete Punktgleichstand mit Dänemark, bei diesem Resultat würde es auf die abschließenden Gruppenspiele und das Torverhältnis ankommen. Wäre Sanne Troelsgaard in der 18. und der 29. Minute präziser gewesen beziehungsweise nicht DFB-Torhüterin Merle Frohms im Weg gestanden, hätte die Stimmung noch kippen können. Insgesamt traten die Däninnen aber harmlos auf. Auch so wurde Hrubesch von den TV-Kameras bisweilen hadernd eingefangen. Das Polster an Toren zur Pause hätte im Verhältnis zu den gelungenen Kombinationen eben noch komfortabler ausfallen können. Die Effizienz war schon in den Nations-League-Partien im Oktober Thema gewesen. "Ich leide ja auch mit. Ich weiß ja auch was die Mädels investieren", sagte Hrubesch später. "Sie hätten sich weiter belohnen müssen, es hätte auch 5:0 oder 6:0 stehen können."

Zur zweiten Halbzeit gab es noch eine Überraschung, die Hrubeschs Vertrauen in dieses Team Ausdruck verlieh: Elisa Senß von Bayer Leverkusen gab ihr Länderspieldebüt und fühlte sich so wohl, dass sie sich gleich zweimal am 3:0 versuchte. Hrubesch hatte zuvor schon ihr Tempo und ihre Griffigkeit gelobt, nach der Partie fand er: "Wenn du die kleine Senß gesehen hast, was die gespielt hat, das war schon genial, was die abgerissen hat."

An ihr lag es nicht, dass im zweiten Durchgang die Ballverluste zunächst mehrten, bis doch wieder ein Angriff nach dem anderen initiiert und die Däninnen überwiegend auf ihre Seite gedrängt wurden. Dieses verflixte nächste Tor, das musste doch wohl möglich sein!? Die überhaupt mit viel Übersicht aus dem zentralen Mittelfeld heraus agierende Sjoeke Nüsken hätte es beinahe schon etwa Mitte der zweiten Hälfte eingeleitet. Popp stand bereit, aber der Pfosten und Keeperin Lene Christensen waren im Weg. Sydney Lohmann brachte ihre Kapitänin dann noch in Rage, weil sie sich beim Abschluss wiederholt nicht für ihre eigene starke Vorarbeit belohnte. Wenige Minuten später lagen sich dann aber doch alle in den Armen.

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