Süddeutsche Zeitung

Mesut Özil:Rücktritt in drei Akten

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Von Philipp Selldorf, München

Die Affäre, die den deutschen Fußball erschüttert wie selten eine zuvor, vollzog sich am Sonntag in drei Akten. Dramaturgisch zugespitzt wurde sie auf die Vollzugsmeldung um kurz nach 20 Uhr zur Verlesung in der ARD-Tagesschau: Mesut Özil tritt aus der deutschen Nationalmannschaft zurück! Nach 92 Länderspielen mit 23 Toren und dem Höhepunkt des WM-Gewinns 2014 in Brasilien.

Die Entwicklung bis zur finalen Botschaft war zuvor über die sozialen Kanäle aufgebaut worden, nach strengem Zeitplan gegen 13 Uhr, 15 Uhr und mit fünfstündiger Wartezeit auf Teil drei, der in diesem von Özil und seinen Beratern gesteuerten Rundumschlag die heftigste Attacke enthielt: gegen Reinhard Grindel, den DFB-Präsidenten. "Ich werde nicht länger der Sündenbock sein für seine Inkompetenz und Unfähigkeit, seinen Job zu machen", teilte Özil mit. Grindel habe ihn seit Beginn der Affäre um die Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr in der Nationalmannschaft haben wollen. Özil, 29, wirft Grindel, 56, ein völliges Desinteresse für seine Beweggründe für die Fotos mit Erdoğan vor.

Schon der Kern der plötzlichen 13-Uhr-Botschaft war nicht so leicht herauszufiltern, weil Özils Erklärung auf Englisch verbreitet wurde. Hieß es zunächst in der Nachrichten-Überschrift der Deutschen Presse-Agentur: "Özil: Würde Bild mit Erdoğan wieder machen"; so hieß es kurz darauf in einer dpa-Korrektur: "Er hätte das Foto in jedem Fall gemacht, unabhängig davon, wer zu diesem Zeitpunkt türkischer Präsident gewesen wäre, schrieb Özil am Sonntag via Twitter." Es kommt, war da klar, in dieser Affäre um den großen Schweiger also doch auf jedes Wort an.

Zwar hat Özil durch seine 13-Uhr-Mitteilung dem dringenden Wunsch von DFB-Chef Grindel entsprochen, eine Erklärung in der seit Mitte Mai diskutierten Sache abzugeben. Doch Özils ausdrückliches Bekenntnis zum Fototermin mit dem Politiker deutete schon auf den ersten Blick nicht auf eine Friedensbotschaft mit dem Ziel hin, die Karriere in der Nationalelf fortzusetzen. Aufgelöst wurde dieses Drei-Phasen-Rätsel dann aber erst punktgenau als Abendnachricht.

Teil 1 hatte zudem zum Inhalt, was Özil schon vor der WM hätte postulieren können, um der Causa ihre Schärfe zu nehmen. Er beschäftigt sich darin mit einer komplexen Biografie und dem Verhältnis eines Fußballers zu Autoritäten. Als Einzelstück hätte man es als den Versuch deuten können, wieder zusammenzufügen, was vor, während und nach der WM zerbrochen ist. Der Nationalspieler nimmt darin nichts zurück, er will sich bei niemandem entschuldigen. Aber es hat darin den Anschein, als wolle er sich und sein Handeln erklären - also genau das tun, was er vor und während der WM mit Billigung durch Bundestrainer Joachim Löw, DFB-Manager Oliver Bierhoff und die DFB-Führung um Grindel verweigert hatte. Isoliert von den weiteren Äußerungen mag der finale Halbsatz "ich hätte das Bild trotzdem gemacht" nach Trotz oder Provokation und dem möglichen Abschied von der Nationalelf klingen.

Teil 1 aber durfte als Angebot der Annäherung verstanden werden, als Signal der Bereitschaft zum Weitermachen. Nach Lektüre von Teil 2 war diese Interpretation schwieriger, er ist eher Aufrechnung als Angebot, kritisiert werden "Medien" und deren angebliche Interpretation des WM-Scheiterns ("Sie kritisieren nicht meine Leistung, sie kritisieren nicht die Leistung des Teams, sie kritisieren nur meine türkische Abstammung und meinen Respekt davor"). Verwiesen wird zudem auf die Rolle von Sponsoren, ein DFB-Partner habe ihn nach den Erdoğan-Fotos aus einer Kampagne "genommen und alle weiteren Werbe-Aktivitäten gestrichen".

Seinen Fotos mit Erdoğan habe keinerlei politische Absicht zu Grunde gelegen, erklärt Özil

Zurück an den Anfang der Affäre: Jenem Foto, das Erdoğans Partei AKP in Umlauf gebracht hatte und das in Deutschland als Wahlkampfhilfe für den Präsidenten gedeutet wurde, habe von seiner Seite keinerlei politische Absicht zugrundegelegen, erläutert Özil in Teil 1 seiner Botschaft. Sein Motiv sei es gewesen, dem höchsten Amt im türkischen Staat - dem Heimatland seiner Eltern - Respekt zu zollen. Seine Mutter habe ihn gelehrt, die familiäre Herkunft nie zu vergessen. Nicht um der Person Erdoğan willen sei er der Einladung gefolgt, sondern aus Achtung vor dem Präsidenten. Er sei sich sicher, dass sowohl die englische Königin als auch die Premierministerin Theresa May diese grundsätzliche Haltung teilten, schrieb Özil - schließlich hätten auch sie dem obersten türkischen Repräsentanten Erdoğan Gastfreundschaft gewährt.

Dass sich Özil anstatt auf Frank-Walter Steinmeier oder Angela Merkel auf die Queen und auf Theresa May beruft, um seine Position zu veranschaulichen, ist ein interessanter Aspekt, er passt zu der Tatsache, dass er seine Botschaft nicht auf Deutsch oder/und auf Türkisch, sondern auf Englisch in den sozialen Medien verbreitet hat. Özil wählte Englisch als neutrale Sprache für sein Kommuniqué. Dass er bei der Gestaltung der Stellungnahme allerlei Helfer hatte, dies darf vorausgesetzt werden. Zentrale Figur seines Beraterteams, das sich aus Familienmitgliedern und Fachleuten zusammensetzt, ist der Rechtsanwalt Erkut Söğüt, dessen Kanzlei in London residiert. Er ist auch in die Geschäfte der Nationalspieler İlkay Gündoğan und Shkodran Mustafi involviert.

Wenn Özil, geboren in Gelsenkirchen, in seinem Statement geltend macht, er habe in seiner Brust "zwei Herzen - ein deutsches und ein türkisches", dann trifft das auch auf seinen Berater zu, der in der Krisen-Kommunikation zwischen den DFB-Leuten und dem Spieler-Lager vor und während der WM die maßgebende Rolle spielte. Söğüt, 38, wurde in Hannover geboren, er hat in Deutschland Jura studiert und zwischenzeitlich für die Agentur gearbeitet, die der Berater des Bundestrainers, Harun Arslan, in Hannover betreibt. Bislang galt Söğüt in der Sache als eher unversöhnlich, zumal die öffentliche Debatte um die Erdoğan-Fotos von rassistischen Tönen unterwandert wurde; sein Einfluss auf Özil wird als stark beschrieben.

Dass Özil nicht aus politischer Überzeugung zum Fototermin erschienen ist - an der Seite von Gündoğan und dem in Wetzlar geborenen Premier-League-Profi Cenk Tosun -, das darf man ihm abnehmen. Politik ist generell nicht sein Thema. Doch Erdoğan kennt er, seit er ihn 2010 am Rande des Länderspiels Deutschland gegen Türkei getroffen hat. Es hat etliche Begegnungen zwischen den beiden gegeben, und Weggefährten berichten, dass Erdoğan mittlerweile eine ganze Kollektion von Özil-Trikots besitze. Beim Treffen in London hätten er und Erdoğan über dasselbe Thema wie immer gesprochen: über Fußball.

Dem Fußball, seiner eigentlichen Herzenssache, will sich Özil jetzt auch wieder widmen, nachdem er den Urlaub beendet hat. Mit dem FC Arsenal ist er am Sonntag aus London nach Singapur aufgebrochen. Die Premier League startet am 11. August, dann will Özil nicht fehlen. Beim nächsten Länderspiel aber, am 6. September in München gegen Frankreich, wird Özil der Nationalmannschaft nicht mehr zur Verfügung stehen.

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SZ vom 23.07.2018
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