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Derby in der Bundesliga:Personalpuzzles überlagern das Revierderby

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Früher war es das wichtigste Spiel der Saison - und jetzt? Haben beide Revierklubs ganz andere, viel wichtigere Sorgen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Christian Heidel kommt aus Mainz. Was ein Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 bedeutet, versteht er bisher nur abstrakt und rational - zwei Formen der Annäherung, die für die besondere Emotionalität dieses Revierduells allerdings nichts taugen. "Es ist die Mutter aller Derbys", sagt Schalkes neuer Sportdirektor vor seiner eigenen Premiere - das klingt pflichtschuldig und fast ein bisschen wie abgelesen. Für einen Newcomer im Pott ist Heidels Ersteinschätzung zumindest passabel. Am Samstagabend wird er dann wissen, dass er im Land der Schienbeinschoner angekommen ist.

Beide Klubs und vor allem ihre Anhänger haben vor der 149. Auflage des Klassikers glücklicherweise andere Sorgen, als sich allzu sehr in den traditionell unsinnigen Bruderzwist zu verbeißen. Schalke ist unter dem ebenfalls neuen, Derby-unerfahrenen Trainer Markus Weinzierl katastrophal in die Saison gestartet, hat aber zuletzt in sechs Pflichtspielen fünfmal gewonnen. Dortmund ist dagegen stark gestartet, hat aber im Sog von Verletzungen und vielleicht etwas übertriebener Rotation im Oktober die Tuchfühlung zum FC Bayern verloren.

Dortmunds Fußball-Professor bastelt viel

Dortmunds Trainer Thomas Tuchel ist womöglich zu sehr Kopfmensch, um den emotionalen Aberwitz eines Spiels Dortmund gegen Schalke wirklich zuzulassen. Immerhin sagt Tuchel, dass Schalke eine "richtige Männermannschaft" habe. In den vergangenen Wochen hat Dortmunds Fußball-Professor viel gebastelt, für viele in Dortmund etwas zu viel, und hat mit stets neuen Variationen von Spielsystem und Personalpuzzle überrascht.

Richtig gut ist das selten gegangen, aber rechtzeitig fürs Derby melden sich Spieler wie Marc Bartra, Christian Pulisic und unter Vorbehalt Raphael Guerreiro und André Schürrle wieder gesund. Auch Torjäger Aubameyang, dem beim 3:3 in Ingolstadt zuletzt die Waden blau getreten wurden, konnte zwar nicht am Mannschaftstraining teilnehmen, aber er wird sich das Derby nicht nehmen lassen.

Bei Schalke ist der Umbruchprozess mindestens so heftig wie in Dortmund. Auf den zentralen Positionen im Team stehen Neue, die das Derby nur vom Hörensagen kennen: Konoplyanka, Bentaleb, Nastasic. Allzu viel Lokal-Kolorit lässt sich derzeit an beiden Teams nicht festmachen. Kein Wunder, dass es unüblich ruhig ist vor dem Spiel. Die Sicherheitsexperten, die in vergangenen Jahren oft von Schalker und Dortmunder Hardcore-Fans an der Nase herumgeführt wurden und deshalb Schlägereien und anderen Blödsinn nicht unterbinden konnten, sind gedämpft optimistisch.

"Sicher nicht mehr das wichtigste Spiel der Saison"

Es scheint ein bisschen Frieden ausgebrochen zu sei zwischen den Parteien. Schalke-Vorstand Peter Peters hört aus dem eigenen Lager, dass "die Anreise in geordneten Bahnen vor sich gehen soll". Beiden Anhängerschaften glaubt man fast eine gewisse Altersmilde anzumerken, obwohl viele Fans kaum 20 Jahre alt sind. In Dortmund hört man selbst von eisernen Fans, dass das Derby "sicher nicht mehr das wichtigste Spiel der Saison" sei.

Dortmunds Polizei wird seit Mittwochabend für ein offenbar überdimensioniertes, eher hinderliches Sicherheitskonzept beim Pokalspiel gegen Union Berlin kritisiert. Die BVB- und Union-Fans vertrugen sich relativ gut, der martialisch wirkende Aufmarsch der Polizei wirkte kontraproduktiv. Ganz so harmlos wird es beim Derby möglicherweise dann doch nicht zugehen. Aber beide Klubs und die Polizei hegen die Hoffnung, dass die schlimmsten Zeiten der Zuspitzung vorbei sind.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2016
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