Süddeutsche Zeitung

Champions-League-Finale:Warum Toni Kroos für Real so wichtig ist

Lesezeit: 4 min

Von Javier Cáceres, Cardiff

Toni Kroos, 27, ist durchaus mit dem trockenen Humor des Nordens gesegnet. Doch als er vor ein paar Tagen beim Medientag in Real Madrids Sportstadt in Valdebebas erschien, verfiel er in großen Ernst, als er gefragt wurde, ob er Kontakt zu seinem Nationalelfkollegen Sami Khedira gehabt, womöglich "Jokes" mit diesem ausgetauscht habe vor dem Champions-League-Finale in Cardiff (Samstag, 20.45 Uhr, live im ZDF und in Sky). Kroos will dort zum dritten Mal in seiner Karriere die wichtigste Trophäe des europäischen Klubwettbewerbs gewinnen; 2013 tat er es mit dem FC Bayern, 2016 mit Real Madrid.

"Dies ist nicht die Zeit für Scherze", sagte Kroos auf Englisch: "No jokes."

Nicht, dass er kein Spanisch könnte: In Madrid heißt es, dass die Mitspieler seine Ironie schätzen, was nur daran liegen kann, dass sie ihn verstehen. Nach drei Jahren in Madrid natürlich längst auf Spanisch. Nur eben nicht in der Öffentlichkeit. Es ist, als habe er für sich entschieden, sich in Spaniens Hauptstadt nur auf dem grünen Rasen auszudrücken, mit seinen Füßen. Vielleicht, weil er nur dort und nur so die Gewissheit hat, Dinge auf den Punkt bringen zu können. Die Zahlen sprechen für sich: In elf Champions-League-Spielen dieser Saison wurden für ihn 51 Fehlpässe verzeichnet. Insgesamt. Das entspricht einer Erfolgsquote von 93,5 Prozent.

Es sei beeindruckend, "mit welcher strategischen Klarheit er spielt und gleichzeitig mit welcher Kreativität, Fantasie und guten Technik", schwärmte Bundestrainer Joachim Löw in diesen Tagen in einem Interview. Auch in Madrid wird der Mann geschätzt, der einst gegen den Widerstand des damaligen Trainers Pep Guardiola vom FC Bayern freigegeben wurde.

Dass Guardiola Kroos unbedingt halten wollte, hält der 42-malige spanische Nationalspieler Ricardo Gallego, in den Achtzigerjahren eine der prägenden Gestalten Real Madrids und heute Kommentator bei Onda Cero, für mäßig überraschend. "Wir Fußball-Menschen erkennen schnell, welcher Spieler anders ist und dir besondere Lösungen anbietet", sagt er.

Kroos, der technische Zeichner

Kroos ging im Sommer 2014 nach Madrid, unmittelbar nach dem WM-Sommer von Brasilien, und er feierte sein Debüt in Cardiff. Nicht im Nationalstadion, in dem an diesem Samstag das Finale stattfindet, sondern im kleineren City-Stadium, wo er den ersten der bislang sechs Titel mit Real holte: den europäischen Supercup gegen den FC Sevilla. Es folgten die Champions League (2016), zwei Klub-Weltmeisterschaften (2014, 2016) und ein weiterer Supercup (2016), nun auch die erste spanische Meisterschaft. 2014 überschlug sich die spanische Presse mit Lobeshymnen; Gallego findet, dass sie berechtigt waren - und bleiben. "Tonis größte Tugend ist, dass er in mindestens 80 Prozent der Fälle aus den drei Passoptionen die richtige auswählt", urteilt Gallego: "Er verleiht der Mannschaft enorm viel Ruhe."

Vermutlich ist es genau das, was ein Team braucht, das dem vertikalen Spiel so sehr huldigt wie Real: das Gespür für den Moment, da dem Spiel Tempo genommen, eine Pause verliehen werden muss. Gern und oft auch mit horizontalen Pässen.

Auch wegen dieses Stilmittels nannte ihn die Zeitung As, freilich voller Bewunderung, den "technischen Zeichner". Kroos ist nicht Gaudí, sondern Bauhaus - keine Schnörkel, sondern klare Konturen. "Die Richtung seiner Pässe ist nicht entscheidend", sagt Gallego, "entscheidend ist, dass er den Pass wählt, aus dem etwas Neues erwächst, weil er ahnt, wie und durch wen sein Pass fortgeführt werden kann."

Ein Spieler der Vergangenheit, mit dem man Kroos vergleichen könnte, will Gallego nicht einfallen: "Er hat eine sehr definierte Charakteristik, ganz eigene Qualitäten, und das ist, was die großen Spieler auszeichnet: Persönlichkeit."

Kroos hat bei Real Madrid nach dem Weggang von Xabi Alonso zum FC Bayern als Sechser agiert, trotz der Warnungen des damaligen Real-Trainers Carlo Ancelotti, dass Kroos manche Eigenschaften dafür fehlen. Er hat nicht die Ellbogen und nicht das Dribbling von Fernando Redondo, ihm fehlt die Feldmarschall-Aura von Xabi Alonso, die Aggressivität von Casemiro sowieso.

Er ist nicht die Figur, an der sich die Mannschaft aufrichtet, wenn sie in Schwierigkeiten ist. Aber er ist derjenige, der den tiefsten Ruhepuls hat, auch in schwierigen Momenten. Es begibt sich aber, dass Kroos ausgerechnet in einem Spiel gegen Juventus Turin eine seiner schwärzesten Stunden im weißen Jersey erlebte, als Sechser. Im Mannschaftskreis wurde er, so hieß es damals in den Medien, dafür verantwortlich gemacht, dass Real Madrid im Halbfinale der Champions League 2014/15 gegen Juve ausschied. Kroos sollte bei einem Freistoß seinen heutigen Mannschaftskameraden Álvaro Morata bewachen - Morata traf.

Seit Casemiro bei Real Madrid im defensiven Mittelfeld abräumt, sei "eine Last von Toni genommen worden", sagt Gallego: "Aber das heißt nicht, dass Kroos nicht defensiv arbeiten würde. Er ist immer unter den Spielern mit den meisten Kilometern pro Spiel." Der Trainer Juanma Lillo, im vergangenen Jahr Assistent des neuen argentinischen Nationalcoaches Jorge Sampaoli beim FC Sevilla, wählt bewusst eine Überzeichnung, wenn er Kroos für eine großartige Saison rühmt - er sagt: "Er hat die ganze Saison als linker Innenverteidiger gespielt, und keiner hat es gemerkt, weil alle nur auf den Ball schauen."

"Ich würde wahrscheinlich genauso spielen, wenn ich Torwart wäre."

Kroos positioniere sich weiter hinten, wenn Marcelo nach vorne geht und halte auch seinem Mittelfeldpartner Luka Modric den Rücken frei, auf dass dieser vorn zaubere, wie er wolle. Kroos selbst ist die genaue Verortung auf dem Platz nicht so wichtig: "Ob ich nun zehn Meter weiter vorn oder weiter hinten spiele, ist insofern irrelevant, als mein Spiel immer dasselbe ist. Ich würde wahrscheinlich genauso spielen, wenn ich Torwart wäre."

Davon ist er freilich weit entfernt. Mit Modric zusammen ist Kroos dafür zuständig, das Spiel zu verlagern, die Außenbahnen zu bedienen, die von Marcelo (links) und Dani Carvajal (rechts) bearbeitet werden. Vor allem aber ist er ein Meister der Standards. Allein Sergio Ramos bediente Kroos in dieser Saison sechs Mal. "Er trifft den Ball schon perfekt, wenn er in Bewegung ist. Bei ruhenden Bällen tut er das erst recht. Und er hat große Komplizen im Strafraum, die gute Kopfballspieler sind: Sergio Ramos, Cristiano, Bale, Varane, Casemiro", sagt Gallego.

Gegen Juve kann das zu einer möglicherweise entscheidenden Waffe werden. Die Italiener haben in dieser Champions-League-Saison nur drei Gegentore hinnehmen müssen - alle nach ruhenden Bällen.

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SZ vom 03.06.2017
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