Süddeutsche Zeitung

BVB-Trainer Edin Terzic:Die Winter-Inventur des Heimatpflegers

Lesezeit: 3 min

Fan, Kumpel, Entertainer, Westfale: Edin Terzic hat viele gewinnende Rollen bei Borussia Dortmund. Und er ist der passendste Trainer seit Jürgen Klopp. Vor dem Spitzenspiel hat er die Bayern überholt - weil in der WM-Pause eine Kehrtwende gelang.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Edin Terzic hat ein sehr begrenztes Interesse daran, die Bayern unbekleidet zu sehen. Um präzise zu sein: gar keines. "Diese Liedzeile habe ich nie verstanden", witzelte er Anfang der Woche beim Fantalk eines Biersponsors, als das schwarz-gelb gekleidete Publikum unvermittelt den Gassenhauer von den auszuziehenden Lederhosen anstimmte. "Wieso wollt ihr die nackt sehen?", fragte er gespielt grimmig ins bierselige Auditorium. Terzic erntete großes Gelächter.

Der 40 Jahre alte Westfale übernimmt bei Borussia Dortmund derzeit mehrere gewinnende Rollen: Heimatpfleger, Kumpeltyp und Entertainer - aber zuvorderst natürlich Cheftrainer. Als solcher ist er der erste seit Lucien Favre vor vier Jahren, der die Borussia an die Spitze der Bundesliga-Tabelle führen konnte. Am Samstagabend gastieren die Dortmunder nun mit einem kleinen Punktvorsprung beim FC Bayern. Genauso war die Konstellation des Gipfeltreffens auch Anfang April 2019, als Favres Borussen dann in München 0:5 untergingen. Im weiteren Verlauf jener Saison holten sie die Bayern nicht mehr ein - und auch danach nie mehr. Bis jetzt.

Mit Terzic, dem passendsten BVB-Trainer seit Jürgen Klopp, ist Dortmund an einem wegweisenden Punkt der jüngeren Klubgeschichte angelangt. Es geht darum, einer zehn Jahre währenden Bayern-Dominanz Risse zu verpassen. "Wir haben eine große Chance", sagt Terzic in staatstragendem Duktus. Dass man sich diese Gelegenheit mit einem Sauerländer, also einem gebürtigen Westfalen, als Chefcoach erarbeitet hat, macht die Sache für den BVB umso wertvoller.

Terzic ist seit Kindertagen BVB-Sympathisant, er war mit neun Jahren erstmals im Stadion und weiß heute manchmal selbst nicht, ob er eigentlich mehr Trainer oder mehr Fan ist. Die Heimat spielt jedenfalls eine große Rolle. Vor zehn Jahren hat er im nahegelegenen Nordkirchen geheiratet, in einem prächtigen Barockschloss, das als "westfälisches Versailles" berühmt wurde. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurden weiße Tauben in den Himmel entlassen - noch authentischer wären zwar Brieftauben gewesen, aber halt nicht so romantisch. Seine westfälischen Wurzeln hat Terzic sogar Klopp voraus, dem bislang beliebtesten Borussia-Trainer.

In die Pause ging der BVB mit Mentalitätsproblemen - zurück kamen Mentalitätsmonster

Im Ruhrgebiet, heißt es, sagt man sich die Wahrheit, und sei sie auch unangenehm. So will es auch Terzic: "Eine Mannschaft kommt nur dauerhaft ans Maximum, wenn jeder das Gefühl hat, wertgeschätzt und akzeptiert zu werden, und wenn jeder spürt, dass man ehrlich miteinander umgeht." Unter diesem Motto könnte auch die zweimonatige Winterpause gestanden haben, die im Nachhinein die Metaphorik einer Waschanlage annimmt. Eine verletzungsanfällige Mannschaft mit Mentalitätsproblemen ging vom sechsten Tabellenplatz aus hinein - und kam heraus mit einem komplettierten, fitten Kader voller Mentalitätsmonster, die sich plötzlich ins Zeug legten, wie man es von Dortmundern lange nicht gesehen hat. So eroberten sie die Tabellenspitze.

Der quälende sechste Platz, die konstruktive Auswertung mangelhafter Hinrunden-Statistiken und die persönliche Ansprache an den einen oder anderen Spieler, von dem man sich einen noch professionelleren Lebenswandel erbat, forcierten im Kader offenbar eine Art emotionale Reinigung. Terzic und Sportdirektor Sebastian Kehl, zu Saisonbeginn gemeinsam angetreten, gestalteten die WM-Pause als intensive Bestandsaufnahme und hätten gleichwohl kaum erwartet, dass die Mannschaft nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs von zehn Bundesligapartien keine einzige verliert und neun gewinnt. Terzics Winter-Inventur hat ihren Zweck erfüllt und nicht, wie es vielleicht auch hätte passieren können, beleidigte Spieler hinterlassen.

Terzic findet dem Vernehmen nach meist den richtigen Ton. Der Torwart Alexander Meyer, zuletzt Ersatz des Stammkeepers Gregor Kobel, sagte beim Bier-Talk über seinen Trainer: "Er ist nahbar und einfühlsam. Jeder Spieler kann immer zu ihm gehen und offen und ehrlich mit ihm reden." Meyer sieht in Terzic mehr als nur den Trainer des BVB, er erkennt in ihm auch den Fan: "Ich sehe in Edins Augen, was ihm dieser Verein bedeutet." Diese emotionale Verbundenheit lobt auch der BVB-Chef Hans-Joachim Watzke, wenn er sagt: "Unsere Fans wollen, dass sich einer mit Haut und Haaren dem Verein verschreibt. Wir hoffen, dass Edin bei uns eine Ära prägen kann."

Terzic, Sohn jugoslawischer Eltern und als Spieler nicht über die Regionalliga hinausgekommen, war schon mit 27 Jahren beim BVB Scout und Jugendtrainer. Der kroatische Trainer Slaven Bilic holte ihn dann vor zehn Jahren als Co-Trainer zu Besiktas Istanbul und nahm ihn später mit zu West Ham United nach London. In England machte Terzic 2018 sein Trainerdiplom. Anschließend kehrte er zu Borussia Dortmund zurück. Als die Mannschaft im April 2019 als Spitzenreiter nach München reiste, war Terzic Co-Trainer von Favre. "Die Niederlage damals tat weh", erinnert er sich, "ich weiß noch, dass Julian Weigl in der Pause Sachen durch die Kabine geschmissen hat."

Terzic sieht in der Ähnlichkeit der Ausgangslage zu damals allerdings kein böses Omen, denn die emotionale Konstellation sei jetzt eine komplett andere. Damals hatte der BVB die Saison von der Tabellenspitze weg gestaltet und Anfang Februar 2019 noch sieben Punkte Vorsprung vor den Bayern gehabt. Dann verloren sie in München, ließen sich final überholen und mussten sich zermürbt geschlagen geben. Diesmal jedoch sind die Dortmunder die Aufholjäger. Nach dem letzten Spiel vor der WM hatten sie neun Punkte Rückstand auf die Bayern, nun haben sie einen Punkt Vorsprung.

"Wir haben jetzt eine andere Konstellation in der Kabine", sagte Terzic und meint damit jene Kraft und Zuversicht, die die Spieler aus den jüngsten Siegen gewonnen haben. "Diese Energie macht uns Hoffnung", sagt er, "wir haben eine riesige Chance, wir können ein Zeichen setzen." Terzic will die Bayern besiegen. Ohne Lederhosen-Entkleidung.

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