Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Der BVB trotzt dem Schiri-Ärger

Lesezeit: 3 min

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Michael Zorc war später vor allem erleichtert, dass er sich nicht öffentlich über das Schiedsrichterwesen echauffieren musste: "Gott sei Dank", sagte Dortmunds Sportdirektor, "war die Szene letztlich nicht spielentscheidend." So ist das im Fußball. Wenn nach Abpfiff das Ergebnis stimmt, ist man versöhnlich gestimmt, und das enge 1:0 gegen Borussia Mönchengladbach, den Spitzenreiter der Liga, sorgte dafür, dass sich die Kontroverse um die Ferse von BVB-Kapitän Marco Reus nicht zum Aufreger des Spieltags auswuchs. Mittendrin, mal wieder, die Videoassistenten.

Das tiefe Aufatmen der Dortmunder stellte Reus Sekunden nach Spielende mit der Pose eines Stoßgebets dar. Der Kapitän hatte sich trotz einer Grippe durchs Spiel gequält, sogar das Siegtor geschossen und damit erheblich dazu beigetragen, dass in Dortmund die heraufziehende Krisenstimmung erst einmal erstickt ist. Ganz nebenbei hatte Reus auch noch für die eigentliche Szene des Spiels gesorgt.

Es lief die 33. Minute: Thorgan Hazard, in der Vorsaison noch beim Gegner unter Vertrag, hatte abgezogen, Gladbachs Torwart Yann Sommer bekam die Hände an den Ball, aber der Schuss war zu scharf, er klatschte ins Tor. Der Jubel im Stadion, das Ausrufen des Schützen, das alles lief ab wie immer, kein Gladbacher hatte etwas zu reklamieren - bis sich Schiedsrichter Stegemann an das Ohr und den kleinen Kopfhörer griff. In Köln wollte Video-Assistent Harm Osmers, selbst Bundesliga-Schiedsrichter, auf den Fernsehbildern entdeckt haben, dass die Ferse von Marco Reus zwei, drei Zentimeter im Abseits war.

Auf den Rängen ist der Unmut deutlich vernehmbar

Die Ferse also. Zu sehen auf einem Fernsehbild, dessen technische Bildauflösung ein solches Verdikt im Grunde unmöglich macht - zumindest wenn der Vorfall nur auf einem in diesem Fall sehr weitwinkeligen Kamerabild für alle Beteiligten zu sehen war. Und wenn man bedachte, dass laut Regelwerk gar nicht der Moment entscheidend ist, in dem der Ball den Fuß des Passgebers verlässt, sondern der Impuls des Abspiels, war die Verwirrung endgültig nachvollziehbar.

Die Interventionen aus Köln hatten damit aber kein Ende. In der 85. Minute, es stand inzwischen durch das Tor von Reus 1:0, meldete sich Köln erneut auf Stegemanns Ohr. Ein Treffer von Julian Brandt wurde ebenfalls annulliert, diesmal, weil Reus vor Torwart Sommer im Abseits durch dessen Sichtlinie gelaufen war. Zorc mochte das ebenso entspannt kommentieren: "Man kann so was abpfeifen, aber Sommer hätte den Schuss von Brandt nie und nimmer halten können, egal, ob Marco sich da in die Schusslinie bewegt."

Der Unmut über die strittigen Entscheidungen, die aus dem Videokeller den Schiedsrichtern auf dem Feld zugerufen werden, war von den Rängen, und zwar nicht nur von der meist überaufgeregten Südtribüne, deutlich zu hören. "Die Abseitsregel", so Zorc, "enthält ja nicht umsonst den Begriff der gleichen Höhe von zwei Spielern. Die Video-Assistenten sollen nur eingreifen, wenn es klare Fehlentscheidungen des Schiedsrichters auf Platz gibt. Das war hier nicht der Fall."

Dass Osmers und Stegemann in den Kabinen-Rezensionen trotzdem glimpflich davonkamen, lag auf Dortmunder Seite am Ergebnis. Beide Schiedsrichter hatten allerdings auf der anderen Seite auch zwei mögliche Elfmeter für Gladbach übersehen, vor allem kurz vor Spielende, als Dortmunds Mats Hummels von hinten Florian Neuhaus in die Beine grätschte, und damit dessen Torschuss vereitelte.

Das Spiel selbst hatte eine hohe Intensität, aber von größerer Klasse war selten etwas zu sehen. Dortmund überstand diesmal, nach zuletzt drei Unentschieden mit späten Gegentoren, die Schlussphase. Bezeichnend war, dass am Ende sechs gelernte Verteidiger (Hummels, Akanji, Piszczek, Schulz, Zagadou, Hakimi) und drei defensive Mittelfeldspieler (Weigl, Witsel, Delaney) auf dem Platz standen. Nur Reus und der für den verletzten Roman Bürki ins Tor gekommene Marwin Hitz fielen da aus der Rolle. "Es war wichtig zu gewinnen", meinte BVB-Trainer Lucien Favre. Das ist es zwar im Fußball immer, aber Favre wirkte am Samstag für seine Verhältnisse ungewohnt aufgeregt am Spielfeldrand. Die aufkeimenden Diskussionen über seine Arbeit hatten offenbar doch mehr Spuren hinterlassen, als der Coach später eingestand.

Seine Mannschaft hätte sich jedenfalls, vor allem dank des Pressing-Fußballs der Gladbacher und ihrem Trainer Marco Rose, über Gegentore nicht beklagen können. Aber vor allem Bürki, der später mit einer Kapselzerrung im Knie den Platz verließ, verhinderte dies mit mehreren Paraden. Ein Unentschieden hätte die tatsächlichen Verhältnisse seriös abgebildet. Vor dem möglicherweise vorentscheidenden Champions-League-Spiel am Mittwochabend bei Inter Mailand und dem folgenden, stets ganz speziellen Ruhrpott-Derby bei Schalke 04 am kommenden Samstag hat Dortmund nun zumindest mal wieder gewonnen.

Die Verunsicherung schien gegen Spielende aber wieder hochzukommen. Favre hatte seinen Dribbler Jadon Sancho zuvor noch aus disziplinarischen Gründen aus dem Aufgebot gestrichen. Sancho war unentschuldigt verspätet von der englischen Nationalelf zurückgekehrt. "Ab und zu testet er seine Grenzen aus", erläuterte Zorc nach der Partie, "dann sind wir dazu da, sie ihm aufzuzeigen. Er ist halt noch sehr jung." Am Mittwoch in Mailand sei Sancho aber definitiv wieder im Kader, hieß es.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4648089
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.