Süddeutsche Zeitung

Rot gegen Ascacibar:"Solche Leute braucht man nicht in der Bundesliga"

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Hürner, Stuttgart

Die Spieler des VfB Stuttgart wissen ziemlich gut, dass ihre Fans auf Misserfolge schon mal empfindlich reagieren, meist in Form von lauten Pfiffen und unmissverständlichen Sprechchören. In dieser ziemlich desolaten Saison hat es bereits häufig derartige Unmutsbekundungen gegeben, trotzdem nahmen die VfB-Spieler all ihren Mut zusammen und machten sich nach dem Schlusspfiff auf den Weg in Richtung Cannstatter Kurve. Aber umso näher sie schritten, desto heftiger wurden die Proteste. Die Stuttgarter blieben also auf halber Strecke stehen, zögerlich klatschend und sichtlich eingeschüchtert vom Zorn des harten Kerns ihrer Anhängerschaft.

Diese 1:0-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen könnte Spuren hinterlassen, das wurde nicht nur an dieser Szene deutlich. Für beide Mannschaften war ein Sieg von besonderer Dringlichkeit, das hatten auch die beiden Trainer in ihren jeweiligen Pressekonferenzen vor der Partie hervorgehoben. Drei Spiele in Serie waren die Stuttgarter zuletzt ohne Erfolg geblieben, sie haben es damit verpasst, sich im Kampf um den Klassenverbleib eine gute Ausgangssituation zu verschaffen. Aber auch die Leverkusener benötigten dringend Punkte, waren doch die Europapokalplätze nach drei Niederlagen im selben Zeitraum zunehmend in die Ferne gerückt.

Dass es sich dennoch um sehr unterschiedliche Gemengelagen handelt, offenbarte sich bei einem Blick auf die beiden Trainer. Während dem einen, Peter Bosz, unter der Woche vom Bayer-Geschäftsführer Rudi Völler in aller Deutlichkeit der Rücken gestärkt wurde ("Das ist das System, das wir wollen und das zur Mannschaft passt"), hatte der andere, Markus Weinzierl, sowohl taktische als auch personelle Änderungen in Aussicht gestellt, um seiner Mannschaft alternative Lösungsansätze in dieser prekären Lage an die Hand zu geben.

Stuttgarter Sorgen im Offensivspiel

Die Sorgen des VfB betreffen ja vor allem die fehlenden Ideen im Offensivspiel. Dass sich daran auch diesmal nichts ändern würde, das ließ schon die Anfangself vermuten, die Weinzierl für diese Partie gewählt hatte. Stuttgart spielte wie gehabt mit einer Dreierkette, die bei gegnerischem Ballbesitz zur Fünferabwehr umfunktioniert wird, allerdings mit einem Stürmer weniger als zuletzt, weil Mario Gómez überraschend neben dem zuletzt formstarken Anastasios Donis auf der Bank Platz nehmen musste. Sie verstanden es in der ersten Halbzeit aber, die eigene Spielhälfte mit viel Engagement und Zweikampfhärte so sehr zu verdichten, dass der Leverkusener Kombinationsfußball allenfalls in Nuancen zu erkennen war. "Defensiv war das okay", lautete daher Weinzierls Fazit, "aber es ist klar, dass wir uns im Spiel nach vorne verbessern müssen."

Das Geschehen vor der Pause ist also schnell erzählt: Stuttgart richtete sich komfortabel in seiner kompakten Defensive ein und Bayer mühte sich vergebens. Wenn die Stuttgarter mal Offensivbemühungen anstellten, dann versuchten sie, über wenige Stationen zum Abschluss zu kommen. Bis auf eine Ausnahme - VfB-Angreifer Alexander Esswein war in der 16. Minute nach einem Pass von Daniel Didavi der Bayer-Abwehr entwischt, traf dann aus halbrechter Position aber nur Torwart Lukas Hradecky - scheiterten sie daran aber immer wieder aufgrund numerischer Unterlegenheit im Angriffsdrittel und mangelnder Präzision. Gefährlich wurde es deshalb nur nach Standardsituationen: Ein Freistoß von VfB-Spielmacher Didavi zischte knapp an zwei in den Strafraum gelaufenen Mitspielern vorbei (7.). Nach einem Eckball in der Nachspielzeit kam Bayer-Angreifer Kevin Volland frei zum Schuss, VfB-Torwart Ron-Robert Zieler lenkte den Ball aber mit einem starken Reflex über die Latte.

Wenn man Bayer-Trainer Peter Bosz folgt, dann war das harmlose Ballbesitzspiel seiner Mannschaft (phasenweise bis zu 75 Prozent) aber Teil eines ausgeklügelten Plans, der in der zweiten Hälfte seine Vollendung finden musste. "Ich hatte keinen Zweifel", sagte Bosz, "durch diese Art machen wir den Gegner müde und können zuschlagen." Tatsächlich zeigten sich die Leverkusener nun zielstrebiger, nach Vorlage von Mittelfeldspieler Kai Havertz vergab Julian Brandt eine gute Chance (50.).

"Er hat der Mannschaft einen Bärendienst erwiesen"

Und als der Stuttgarter Gonzalo Castro völlig unnötig und etwas unbeholfen Kevin Volland am Eck des Strafraums foulte, war der Moment bereitet für einen, den Bosz hinterher "außergewöhnlich talentiert, ruhig und abgeklärt" nannte: Der 19-jährige Kai Havertz versenkte den fälligen Elfmeter mit einer Abgebrühtheit, die man eigentlich eher von Spielern kennt, die seit 19 Jahren auf Profiniveau Fußball spielen. "Ich war 36, als ich als Spieler aufgehört habe", sagte Bosz, "aber so eine Coolness hatte ich nie." Verursacher Castro zeigte nach dem Spiel Reue für die Aktion. "Die Niederlage geht klar auf meine Kappe", sagte er.

Die Leverkusener verwalteten anschließend, die von Weinzierl eingewechselten Erik Thommy und Donis konnten den Stuttgartern keine offensiven Impulse mehr verleihen. Auffallend impulsiv zeigte sich eigentlich nur noch der VfB-Mittelfeldspieler Santiago Ascacibar, der erst Havertz anspuckte und nach der fälligen roten Karte auch Schiedsrichter Tobias Stieler anrempelte. "Das Schlimmste, was man im Fußball machen kann", befand Bosz. Bayer-Angreifer Volland erzählte hinterher, dass Ascacibar auch ihm in der ersten Hälfte vor die Füße gespuckt habe und verwies auf den Verhaltenskodex: "Solche Leute braucht man in der Bundesliga nicht." Auch Trainer Weinzierl äußerte sich frustriert. "Das geht natürlich gar nicht, er hat der Mannschaft einen Bärendienst erwiesen. Er muss seine Emotionen im Griff haben."

Ascacibar wird nun jedenfalls eine ganze Weile fehlen. Die Probleme der Stuttgarter haben aber womöglich gerade erst richtig angefangen.

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