Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: 1. FC Köln:Kapitän der Herzen

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Lukas Podolski ist nicht mehr Kapitän beim 1. FC Köln. Im Zeitalter flacher Hierarchien ist die Kapitänsschleife zwar Nebensache - sie wird dennoch auch im modernen Fußball als Prestigeobjekt verherrlicht. Den Titel, Kapitän der Fans und der Stadt zu sein, kann sich Podolski nicht um den Arm binden.

Philipp Selldorf

Lothar Matthäus hat einmal beschrieben, dass es eine ziemlich mühsame Sache sei, Kapitän einer Fußballmannschaft zu sein. Der Kapitän müsse in kritischen Zeiten vermitteln, das Team vor dem Trainer vertreten und nach dem Spiel die Interviews geben, er müsse sich um alles und jeden kümmern, und wenn ein Mitspieler oder der Zeugwart Geburtstag hätten, dann solle er am besten auch noch die Geschenke besorgen.

All diese Lasten haben Matthäus aber selbstverständlich nicht daran gehindert, das Kapitänsamt für die höchste und wichtigste Würde im Fußballerleben zu halten.

Die Epoche ist vorbei, in der "ein Lothar Matthäus" stellvertretend für die Spezies der Fußballer stand. Inzwischen hat die Aufklärung in der Bundesliga Einzug gehalten, und die Rationalisten verkünden: Im Zeitalter flacher Hierarchien und hoch entwickelten Teambewusstseins ist die Kapitänsschleife Nebensache und das Amt ein Anachronismus.

Das mag prinzipiell stimmen, aber Vernunft ist selten der Maßstab, nach dem sich die Menschen richten. Viele Leute fahren ja auch lieber mit vierradgetriebenen Autopanzern umher, anstatt im kostengünstigen Benzinsparmodell. Auch im modernen Fußball wird das Kapitänsamt weiterhin als Statussymbol betrachtet und als Prestigeobjekt verherrlicht. Beim VfB Stuttgart haben sie vor einem Jahr versucht, Sami Khedira zum Bleiben zu überreden, indem sie ihm das Kapitänsamt in Aussicht stellten.

Bei der Nationalelf setzte sich Philipp Lahm, bis dahin der Inbegriff des Anstands und der Sportlichkeit, dem Vorwurf des Verrats aus, als er während der WM verkündete, er werde die Armbinde nicht mehr hergeben, die ihm der verletzte Michael Ballack hatte vermachen müssen.

Auch dem Bundestrainer war die Wichtigkeit des Themas bewusst, als er die Mannschaftsführung für die WM in Südafrika formierte: Joachim Löw erklärte Lahm zum Kapitän und Bastian Schweinsteiger entschädigungshalber zum "emotionalen Leader".

So eine rhetorische Gewaltenteilung versucht nun auch Stale Solbakken in Köln. Er nimmt Lukas Podolski zwar die Kapitänsbinde ab, weil er glaubt, dass sie beim Kollegen Pedro Geromel sinnvoller eingesetzt ist, aber er hat den Beraubten mit schönen Worten zu becircen versucht: Poldi sei ja sowieso "der Kapitän der Fans und der Stadt", der Kapitän der Herzen also. Das Problem: Eine Schmeichelei kann sich Podolski nicht um den Arm binden.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2011
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