Süddeutsche Zeitung

Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer:Um einige Dezibel leiser gedreht

Lesezeit: 3 min

Hat sich Matthias Sammer neu erfunden? Der Sportvorstand des FC Bayern wählt seine Worte im Trainingslager am Gardasee auffallend mit Bedacht, die Spitzen gegen Dortmund überlässt er Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. Trainer Pep Guardiola verschafft er somit etwas Zeit.

Von Philipp Schneider, Riva

Manchmal kann man es gar nicht fassen, dass auch dieses winzige Stadion von Arco noch untergraben ist von Katakomben, in der Nähe der Trainerbank führt eine kleine Stiege aus dem Erdreich hinauf, 15, vielleicht 20 schlanke Stufen geht es dort empor. Alle müssen dort hinauf, also auch Matthias Sammer. Wenn Sammer kommt, pünktlich zum Trainingsbeginn, dann wird er unweigerlich sichtbar auf den wenigen Metern, die er an der Oberfläche laufen muss, er winkt kurz ins Publikum, den Blick schon zur Bank gerichtet, auf der er verschwinden wird.

Manchmal blickt Sammer aber um die Ecke, und für einen Augenblick ist es dann so, als fange seine Kopfhaut die Sonne des ganzen Trentino ein, alles glänzt, strahlt und glitzert, weswegen ein Sportfotograf neulich verriet, eigentlich müsse Sammer immer eine Mütze tragen, sonst gebe es zu viele Spiegelungen in der Linse, dies nur am Rande. Aber heute soll es ja anders sein.

Heute ist der Sportdirektor des FC Bayern erschienen, um eine Art Bilanz der ersten Tage unter Pep Guardiola zu ziehen, es gibt schrecklich viele Themen. Nur spricht Sammer jetzt so leise. Und sanft.

Die neuen Laufwege beim neuen Trainer aus Spanien etwa, Ribéry hatte sich ganz sachte beschwert, sie seien "komisch, zum Teil komplett anders", und dann das neue System, das er testen lässt, eines mit nur einem defensiven Mittelfeldspieler - Guardiola reißt die feinste Doppelsechs der Welt entzwei? Ach was, sagt Sammer, er sehe "Detailveränderungen, aber mehr isses dann auch nicht." Die erste Zeit mit dem Trainer sei folgendermaßen zu bewerten: "Mannschaft und Tradition der Bayern treffen auf Peps Ideen." Der Umgang mit Guardiola sei ganz wunderbar, von "ganz viel Respekt geprägt". Nun denn.

Es ist ein gewandelter Sammer, der sich hier am Mittwoch in Riva präsentiert, ein bedächtiger, ein selbstkritischer, und man fragt sich allein: Wann genau hat er sich eigentlich neu erfunden? Zum Beispiel die Nachwuchsarbeit. Sie fällt in seinen Zuständigkeitsbereich, und Sammer sagt: "Der Nachwuchsbereich, da hatte ich vielleicht nicht die Zeit, das muss ich schon kritisch anmerken." Neuerdings, und das ist dann schon eine kleine Sammerrevolution, überlässt er auch jenen Teil von Bayerns Außenpolitik, der unter dem Decknamen "Abteilung Attacke" operiert, dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge. Der war für Knackiges in Richtung Dortmund nicht gerade berühmt.

Es war Rummenigge, der am Gardasee den schrägen Vergleich von Dortmunds Trainer Jürgen Klopp (Borussia sei Robin Hood, die Bayern hätten eine Bazooka, also recht wummernde Geschütze) parierte. "Die haben doch einen Vertrag mit Opel, da fährt einer im Ferrari vor", sagte er in Anspielung auf Dortmunds Profi Pierre-Emerick Aubameyang, über den nun bekannt wurde, dass er sich ein schnelles Auto leistet: "Das sieht dann doch so aus, als ob sie Pfeil und den Bogen schon langsam aus der Hand gelegt hätten." Der Konter war nicht unvorstellbar brillant, aber Rummenigge sagte immerhin: etwas.

Von den neuen Spielern der Borussia, auch dies sagte Rummenigge, und das war ja lustig, könne er "nicht einmal die Namen aussprechen". Aber Sammer? Er kenne Henrich Mchitarjan und Ferrarista Aubameyang "gut genug, um zu sagen: Es sind für die Bundesliga sehr interessante Spieler. Vor ihnen haben wir Respekt", sagt Sammer. Und was den Robin-Hood-Vergleich angeht, ja gut: "Den BVB sehe ich mit Respekt, mit Achtung. Das sage ich in aller Deutlichkeit." Deshalb werde das nicht kommentiert.

Augenscheinlich, respektive ohrenscheinlich, ist es so, dass irgendjemand Matthias Sammer um einige Dezibel leiser gedreht haben muss. Das kann sehr angenehm sein. Vielleicht hat es Sammer sich auch selbst auferlegt, in einer sensiblen Phase mit neuem Trainer, beachtlichen Systemänderungen und dem sich jetzt schon anbahnendem Gerangel um die Stammplätze ein wenig Zeit zu gewähren.

Er wolle nicht "Prioritäten setzen mit falschen Aussagen", das sagt Sammer selbst. Überhaupt, es sei noch "die Zeit des Kennenlernens". Und für "Zielstellungen und Aussagen, die irgendwann getroffen werden müssen" (bei den Bayern also Pokale, Pokale, Pokale, d. Red.) käme demnach noch der passende Augenblick.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Sammer die Aufgaben von Christian Nerlinger übernommen. Und noch immer fragt man sich: Wer ist Sammer, und wo genau ist er eigentlich zu finden? Wie viel Prozent Javi Martínez hat er zu verantworten und wie groß ist sein Verdienst um das Triple? Nach 51 Minuten sind alle Fragen gestellt, manche Antworten gegeben. Sammer schaut in die Runde. "Bin ich schon durch?", fragt er. Und als sich keiner mehr rührt, läuft er los. "Sie sind so ruhig, ich habe Sie erschlagen", sagt er noch. Das schon. Nur auf andere Weise, als Sammer vielleicht denkt.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2013
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