Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Bayern rettet sich durch den Wirbelsturm

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Aus dem Stadion von Johannes Kirchmeier

Kurz bevor sich dieser Wirbelsturm von einem Fußballspiel des FC Bayern gegen 1. FC Heidenheim entscheiden sollte, hatte Jérôme Boateng einen Krampf. Es passte zu diesem Abend, an dem sein Team mehr als 80 und auch er selbst 60 Minuten auf gut Bairisch "einen Krampf" zusammengespielt hatten. Weil Boateng von Beruf Innenverteidiger ist, schickt es sich normalerweise eher nicht, in entscheidenden Szenen zu fehlen. Diesmal jedoch war Boateng unbeteiligt. Sein Mitspieler Robert Lewandowski machte sich bereit für seinen Elfmeter in der Arena im Münchner Norden - er traf zum 5:4 (1:2), dem Endstand nach 94 völlig irren Minuten. Nicht nach Elfmeterschießen oder nach zwei Spielen, wohlgemerkt.

Den allerletzten Nackenschlag wenige Minuten vor dem Ende konnte der Zweitligist nicht mehr kontern. Es blieb der Stolz über eine kolossale, wogende, nie für möglich gehaltene Partie. Wobei, und das toppte eigentlich noch alles, die Heidenheimer selbst hatten es offenbar genau so geplant: "Wir haben es uns so vorgestellt, dass wir so ein wildes Spiel bekommen", sagte Trainer Frank Schmidt, der bei diversen Torjubeln tatsächlich so gewirkt hatte, als habe er es kommen sehen. Er wusste: Selten hat sich der FC Bayern in den vergangenen Jahren so leicht aus dem Konzept bringen lassen, wie das in diesen Wochen unter Coach Niko Kovac passiert.

Die Münchner sind verwundbar - und falls es noch Beweise für diese schon länger grassierende These vermochte, dann lieferte dieser Pokalabend reihenweise davon. Nur mit allergrößter Mühe vermieden sie eine Schmach, für das Topduell gegen den BVB am Samstag (18.30 Uhr im Liveticker bei SZ.de) sind nun durchaus Zweifel angebracht. Denn bis auf den Kampf bis zum Schluss klappte recht wenig. So war Thomas Müller bemüht, das wenige Positive zu sehen: "Dieses moralische Plus müssen wir für die nächsten Tage nutzen, den Arsch zusammenkneifen und gegen die Dortmunder gewinnen." Ein Pokal-Desaster vor dem Dortmund-Spiel? Puh, das wäre happig geworden. Erleichterung also, aber gleichzeitig auch arge Bedenken, schließlich ließ man den Außenseiter zwischendurch von 4:2 wieder auf 4:4 herankommen.

"Die ganz große Erkenntnis ist, dass wir vier Tore gekriegt haben gegen einen Zweitligisten. Das darf nicht passieren", bemängelte Leon Goretzka. "Wir dachten, dass wir locker weiterspielen können", sagte derweil Lewandowski mit belegter Stimme. Zum Glück sagte Franz Beckenbauer nichts, er hätte sonst bestimmt von "Schulbuben" auf dem Feld erzählt, die sich da von Zweitliga-Fußballern austanzen ließen. Lewandowski dagegen wirkte gezeichnet, auch von seinem deftigen Husten. "Kränklich", wie der Verein mitteilte, war er zuvor eine Halbzeit lang auf der Bank gesessen. Im Nachhinein muss man sich fragen, ob das die richtige Entscheidung von Kovac war?

Denn Lewandowski sah von außen, wie Goretzka nach einer Ecke per Kopf die Münchner Führung erzielte. Er sah auch nur von außen, wie erst Thiago einen Fehlpass spielte und damit Niklas Süle so in Bedrängnis brachte, dass der nach einer Notbremse die rote Karte sah (15.) und dann James Rodríguez sich den Ball vom Fuß klauen ließ und damit das 1:1 von Robert Glatzel einleitete (27.). "Wir haben zu viele Fehlpässe gespielt", analysierte Lewandowski später von außen im Untergeschoss des Stadions - und sah auch noch das 1:2 von Marc Schnatterer (39.).

Es gab so viele Schwierigkeiten in der Abwehr, dass Heidenheim durchaus mehr Tore hätte schießen können. Auch ein 7:7 war möglich. "Samstag gegen Dortmund ist es ein komplett anderes Spiel. Die ganze Mannschaft muss defensiv besser werden", fand Lewandowski, es war seine kleine Schulbuben-Kritik.

Wie einst unter Pep Guardiola, als er fünfmal in neun Minuten gegen Wolfsburg traf, musste der Pole wieder mal eine Partie in der Arena als Einwechselspieler zur Halbzeit drehen. Es ist schon ein eigenartiges Phänomen: Aber wenn er nur eine Hälfte spielt, wird er trotzdem zum Mann des Tages: Erst legte Lewandowski Müller per Kopf das 2:2 auf (53.), dann schoss er das 3:2 (55.), nach Serge Gnabrys 4:2 und zwei weiteren Glatzel-Treffern dann das entscheidende 5:4. "Zum Schluss haben wir das Quäntchen Glück, was man im Pokal braucht. So ein Spiel habe ich noch nie erlebt", sagte Kovac. Sein Glück war, dass Lewandowski auf dem Platz dann nicht so kränklich wirkte wie daneben.

"Wenn vor dem Spiel einer gesagt hätte, dass neun Tore fallen, wäre wohl niemand auf ein 5:4 gekommen", fand dagegen der Heidenheimer Coach Schmidt. Er meinte das als Anerkennung für die Leistung seiner Mannschaft, die tatsächlich ein Wahnsinnsspiel abgeliefert hatte. Es haben ja auch schon Teams 2:9 und 0:8 gegen Bayern verloren - zum Beispiel der HSV. Trainer Niko Kovac darf die Aussage zu denken geben: Viermal ausgekontert werden gegen ein Team, das in der zweiten Liga nicht unbedingt als Konterteam bekannt ist - das spricht vor dem Spitzenspiel nicht für seine Defensive. In der darf gegen den BVB immerhin Süle mitspielen, dessen Sperre nur für den Pokal gilt.

Sollten die Münchner am Samstag in ähnlicher Verfassung auftreten, werden sich die flinken Dortmunder Angreifer Marco Reus, Jadon Sancho und Paco Alcácer bedanken: Denn gegen so eine Bayern-Elf würde der BVB der Meisterschaft ein gehöriges Stück näher kommen.

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