Süddeutsche Zeitung

Nadiem Amiri in Leverkusen:Im Namen des Teppichs

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer

Es ist nicht unbedingt die Regel, dass der Fußballer Nadiem Amiri ausgesprochen ernsthafte Dinge sagt, zumindest in der Öffentlichkeit. Wenn man ihn etwa während der U21-Europameisterschaft in Italien in diesem Sommer im Mannschaftshotel sah, dann fast immer an der Seite seines Kumpels Mo Dahoud, die beiden waren so etwas wie eine moderne Version von Poldi und Schweini, die Spaßvögel im Kader, kein Interview ohne alberne Antwort. Als sich alle um die Hitze sorgten, sagte Dahoud, Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund: "Ist wie beim Diesel: Am Anfang braucht er, dann läuft er."

In einem Gespräch vor dem Halbfinale gegen Rumänien allerdings bemühte sich Amiri um Seriosität, es ging um die Zeit nach der EM. Er sagte: "Wir denken nicht an danach, wir genießen den Moment." Einen Monat später lässt sich mit Sicherheit sagen, dass Amiri, 22, den Moment für sein persönliches Danach genutzt hat.

Seit Dienstag steht der Transfer des Offensivspielers, der die U21 mit zwei Toren beim 4:2 gegen Rumänien ins Finale schoss, von der TSG Hoffenheim zum Champions-League-Teilnehmer Bayer 04 Leverkusen fest. Sport-Geschäftsführer Rudi Völler sagte, Amiris Leistungen bei der U21-EM hätten die Leverkusener in der Überzeugung bestätigt, dass er dem Verein weiterhelfen werde.

Hoffenheim entwickelt sich zum Ausbildungsverein

Die Lieblingsfloskel der Branche für Spieler wie Amiri ist die, dass sie es schaffen müssen, "den nächsten Schritt zu gehen". Bei der U21 hatten sie mit diesem Motto sogar einen Teppich bedruckt, der in der Hotellobby lag. Amiris Transfer ist für alle Beteiligten ein Zeichen für jene Art von Metamorphose, die damit gemeint ist.

Hoffenheim entwickelt sich zum Ausbildungsverein schlechthin. Fast alle Protagonisten der vergangenen Saison haben den Verein verlassen, für insgesamt mehr als 100 Millionen Euro: Stürmer Joelinton wechselte zu Newcastle United, Mittelfeldspieler Kerem Demirbay ebenfalls nach Leverkusen, Außenverteidiger Nico Schulz nach Dortmund. Der prominenteste TSG-Zugang ist bislang Stürmer Robert Skov, 23, der bei der U21-EM für Dänemark gegen Deutschland traf und 30 Saisontore für den FC Kopenhagen schoss.

Leverkusen dagegen will sich wieder nachhaltig zur Bundesliga-Spitzenmannschaft entwickeln. Zwar läuft die Vorbereitung - den Testspielergebnissen nach zu urteilen - durchwachsen, Bayer 04 gelang sechsmal in Serie kein Sieg bei 14 Gegentoren, und der offensive Fußball von Trainer Peter Bosz wird immer noch oft mit Leichtsinn in Verbindung gebracht. Noch öfter wird die Mannschaft jedoch unter Verweis auf die vergangene Rückrunde zum oberen Viertel der Liga gezählt. Torwart Lukas Hradecky sagte, die Mannschaft könnte nach einer gesamten Vorbereitung unter Bosz, der im vergangenen Winter übernahm, "Großes" schaffen. Und das dürfte auch die Motivation von Amiri gewesen sein, zu Bayer 04 zu wechseln.

Amiri wuchs in Ludwigshafen auf, spielte in der Jugend unter anderem für Waldhof Mannheim und wechselte von dort in der B-Jugend ins Nachwuchsleistungszentrum nach Hoffenheim. Bei der TSG war er seit 2015 Bundesligaspieler, seit 2016 öfters in der Stammelf. Doch als Hoffenheim 2018 erstmals in der Champions League spielte, war Amiri verletzt; die vergangene Hinrunde verpasste er größtenteils. "Jetzt will ich gescheit Champions League spielen", sagte er nun in einem Interview mit Bayer 04-TV, das sein neuer Arbeitgeber am Dienstag veröffentlichte.

"Lass mich drin, ich will den schießen"

Mit der U21-Nationalelf wurde er schon 2017 Europameister, er schoss im Halbfinale gegen England den entscheidenden Elfmeter. Das vergangene Turnier war allerdings sein erstes als Spieler mit großer Verantwortung. Und nach dem Halbfinale konnte man sagen, dass er dieser gerecht geworden war: Das erste deutsche Tor beim 4:2 schoss er nach einem Dribbling. Tempoläufe mit Ball sind seine Stärke, wobei er manchmal dazu neigt, ein wenig zu lange mit dem Ball zu laufen. Sein zweites Tor erzielte er mit einem Freistoß in der Nachspielzeit, als Trainer Stefan Kuntz ihn eigentlich schon ausgewechselt haben wollte. "Lass mich drin, ich will den schießen", habe er gerufen, erzählte Amiri.

Er ist nicht der einzige Spieler aus der Mannschaft, die das Finale gegen Spanien 1:2 verlor, der in diesem Sommer auf dem Transfermarkt begehrt ist. Innenverteidiger Timo Baumgartl, gar nicht mal mit besonders souveränen EM-Leistungen aufgefallen, wechselte für angeblich zwölf Millionen Euro vom VfB Stuttgart zu PSV Eindhoven. Die Zukunft von Schalkes Torwart Alexander Nübel ist weiterhin ungeklärt; auch an Luca Waldschmidt vom SC Freiburg, ist das Interesse groß; Stürmer Lukas Nmecha wird von Manchester City wieder verliehen, die Verhandlungen mit potenziellen Arbeitgebern, auch aus der Bundesliga, laufen. Und der Transfer von Außenverteidiger Benjamin Henrichs von AS Monaco zu Werder Bremen steht angeblich bevor, es gibt aber noch weitere Vereine, die ihn gerne hätten.

Zwischen Henrichs und Amiri ist übrigens auch ein ernsthafter Dialog in Italien bekannt. Zu zweit saßen sie als letzte deutsche Spieler noch auf dem Rasen in Udine, während die Spanier den EM-Titel feierten. Henrichs weinte. Und er erzählte später, dass Amiri, der auf dem Platz als Antreiber und Motivator gilt, zu ihm gesagt habe: "Wir lernen daraus."

Was sie gelernt haben, wird demnächst wohl in der Bundesliga zu sehen sein.

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SZ vom 01.08.2019
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