Süddeutsche Zeitung

Gewinner des Afrika-Cups:Die Elfenbeinküste fällt Sébastien Haller um den Hals

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Der Dortmunder Stürmer rührt mit seiner Geschichte das Heimatland seiner Mutter und schießt die Ivorer im Finale zum Sieg beim Afrika-Cup - so endet eine unheimliche Serie des Gastgeberlands.

Von Ulrich Hartmann

Auf dem Siegerfoto der jubelnden ivorischen Nationalmannschaft, mit Goldglitter in der Luft und dem Pokal in den Händen des Kapitäns Max Gradel, stand Sébastien Haller ganz hinten links, fast versteckt. Der 29 Jahre alte Mittelstürmer von Borussia Dortmund hatte die Elfenbeinküste mit dem Siegtor zum 1:0 im Halbfinale gegen Kongo sowie dem Siegtor zum 2:1 im Endspiel gegen Nigeria fast im Alleingang zum dritten Titel in der Geschichte des Afrika-Cups geschossen. Im Rampenlicht aber standen andere: etwa Staatspräsident Alassane Ouattara, 82, nebst Gattin. Sie konnten vom Pokal kaum lassen und posierten damit für die Fotografen.

Haller hatte die ihm gebührende Aufmerksamkeit kurz nach dem Schlusspfiff anderweitig erfahren. Da stürmte der ivorische Rekordtorschütze Didier Drogba, 45, von der Tribüne in den Innenraum und drückte ihn innig. Drogba hat mit der Elfenbeinküste 2006 und 2012 selbst zweimal im Endspiel gestanden - und im Elfmeterschießen verloren. Nach Drogbas Liebkosung trat Haller vor eine Werbewand zum TV-Interview und sagte: "Das Land hat diese Szenen der Freude verdient." Bei der zweiten Frage fiel ihm der ivorische Reporter bereits weinend um den Hals.

Der in Frankreich geborene Haller erlebte Sonntagnacht in der Heimat seiner Mutter seinen bislang größten Triumph als Fußballer. Er war DFB-Pokalsieger mit Eintracht Frankfurt (2018), zweimal Meister mit Ajax Amsterdam (2021, 2022) - jetzt ist er ein Nationalheld in Côte d'Ivoire. Haller war während des Turniers das Gesicht eines afrikanischen Mineralwasserproduzenten. "Soif de vivre" lautete der Slogan auf den Werbeplakaten: Durst nach Leben. Und eineinhalb Jahre nach Diagnose und Heilung einer Hodenkrebserkrankung erfüllte Haller die Doppelrolle als Optimist und Torjäger fabelhaft. "Ich genieße jeden Moment", hatte er vor dem Endspiel gesagt.

Dass die Gastgeber dieses Finale überhaupt erreicht hatten, grenzte an ein Wunder. Mit zwei Niederlagen und einem Sieg nach der Gruppenphase fast ausgeschieden, erreichten sie als Gruppendritter gerade eben das Achtelfinale und wendeten in den folgenden vier K.-o.-Spielen dreimal einen 0:1-Rückstand mit späten Treffern zu Siegen: im Achtelfinale gegen Senegal, im Viertelfinale gegen Mali, im Endspiel gegen Nigeria.

Die Ivorer wiederholen ein Kunststück - und drehen auch im Finale das Spiel

Trotz ivorischer Dominanz waren die Nigerianer in der 38. Minute in Führung gegangen. Das war ein Schreck für die Innenverteidiger Odilon Kossounou von Bayer Leverkusen und Evan Ndicka von AS Rom, der zuvor fünf Jahre für die Frankfurter Eintracht gespielt hatte. Bei 30 Grad Hitze holten die unermüdlichen Ivorer, angetrieben von 60 000 Zuschauern, den Rückstand durch Tore von Franck Kessié (62.) und Haller (81.) auf und drehten auch diese Partie zu ihren Gunsten.

Nigerias italienisches Sturmtrio, Samu Chukwueze (AC Mailand), Ademola Lookman (Atalanta Bergamo) und Victor Osimhen (SSC Neapel), hatte nichts zu melden. Lookman, einst mit 24 Pflichtspielen für RB Leipzig, kam in sieben Turnierspielen immerhin auf drei Treffer, Osimhen traf nur einmal. Nigerias Prunkstück waren Mittelfeld und Verteidigung mit allerhand Premier-League-Spielern. Nur zwei Gegentreffer hatten sie in den ersten sechs Spielen zugelassen, doch die zwei Tore im Finale machten ihren Traum zunichte. Im achten Finale bedeutet das die fünfte Niederlage: Afrikameister war Nigeria 1980, 1994 und 2013.

Auf drei Titel kommt jetzt auch die Elfenbeinküste (1992, 2015, 2024). Trainer Emerse Faé, in der Gruppenphase noch Assistent vom Nationalcoach Jean-Louis Gasset und nach dessen Entlassung seit dem Achtelfinale selbst Chef, hatte als Vision ausgegeben, den leuchtend orangefarbenen Nationaltrikots einen dritten Stern zu verpassen. Die prangen nun bald über jenem Wappen, auf dem ein Elefant einen Fußball jongliert. "Les Éléphants", nennen sie stolz das Fußballteam in jenem Land, das weltgrößter Kakaoproduzent ist.

Es war 18 Jahre her, dass den Afrika-Cup zuletzt die Gastgebernation gewonnen hatte: Ägypten 2006 im Endspiel gegen Drogbas Elfenbeinküste. Dass die Ivorer nun ihren Heimvorteil nutzten, könnte auch damit zu tun haben, dass sich vor dem Finale Tausende Kilometer entfernt auf einem Trainingsplatz in Dortmund-Brackel eine Gruppe junger Männer mit der ivorischen Nationalflagge fotografieren ließ und unter einen Post mit dem Foto im Internet schrieb: "Allez Seb!" Es war die Bundesligamannschaft von Borussia Dortmund, die ihrem Kollegen Haller alles Gute wünschte.

Mit dem 2:1-Sieg durchbrach die Elfenbeinküste auch eine seltsame Endspielserie: Denn in den vier zuvor absolvierten Afrika-Cup-Finals - den gewonnenen 1992 und 2015 ebenso wie den verlorenen 2006 und 2012 - war es nach 120 Minuten torlos ins Elfmeterschießen gegangen. Diesen Gipfel der Dramatik ersparten die Spieler ihren Fans diesmal.

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