Kurz mal wegträumen

Boho-Style, Teppichkunst oderLebensgeschichten: SZ-Autorinnen und -Autorenstellen ihre Lieblingsbücheraus der Welt des Gestaltens vor.

7. März 2024 - 9 Min. Lesezeit

Spaziergang mit Freunden

Dieses Buch ist eigentlich kein Buch. Und ganz sicher ist es auch kein klassisches Werkverzeichnis über eines der spannendsten Architekturbüros, die dieses Land zu bieten hat. Denn das ist Raumlabor auf jeden Fall. Aber so wie das Berliner Kollektiv aus inzwischen zwei Architektinnen und sieben Architekten sich seit nun 25 Jahren mit ihrem Werk dagegen wehrt, in eine bestimmte Schublade, geschweige denn Stilrichtung einsortiert zu werden, ist „Polylemma. Raumlabor“ eben auch kein klassisches Werkverzeichnis, in dem die einzelnen Projekte chronologisch oder geografisch abgehandelt werden. Vielmehr gleicht dieses Buch eher einem ausgedehnten Spaziergang, den man mit Freunden unternimmt. Zufällig trifft man dann auf dem Weg Bekannte, unterhält sich, schließt neue Bekanntschaften und ändert spontan die Route. Dann macht man noch einen kleinen Umweg, vulgo Schlenker, und am Ende ist man erstaunlicherweise zwar nicht am Ziel, dafür aber bester Dinge.

Weswegen man auch sagen kann: „Polylemma“ reflektiert die Arbeit dieses Architektenkollektivs ziemlich genau. Denn wenn man selbst beschreiben müsste, was genau Raumlabor macht, würde man sicherlich ins Stottern geraten. Aktivierung von Raum durch temporäre Infrastruktur klingt jedenfalls viel zu nüchtern für diese Raumkünstler, die es schaffen, inmitten eines Autobahndreiecks an einer U-Bahnstation eine Opernaufführung stattfinden zu lassen. Aus einem Unort, von denen es in diesem Land frustrierend viele gibt, wurde so ein generationsübergreifender, aber auch grandioser Treffpunkt für die Gesellschaft. Ähnliches lässt sich über fast alle ihre Projekte sagen.

Für „Spacebuster“ in den USA wurde gemeinsam mit „Storefront for Art and Architecture“ ein gebrauchter Lastwagen zur Luftschleuse umgebaut und eine transparente Blase daran befestigt.
Für „Spacebuster“ in den USA wurde gemeinsam mit „Storefront for Art and Architecture“ ein gebrauchter Lastwagen zur Luftschleuse umgebaut und eine transparente Blase daran befestigt.

Egal, ob es sich um eine transparente Blase handelt, die von New York über Südkorea bis nach Mühlheim einen öffentlichen Raum für Veranstaltung bot, oder um die „Floating University“ im Regenwasserrückhaltebecken des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof, wo auf Holzstegen und Baustellengerüsten optimistisch an der Zukunft gewerkelt wurde. Raumlabor entwickelt immer wieder Orte, wo Menschen sich vorbehaltlos begegnen können. Das ist in Zeiten der gesellschaftlichen Spaltung und Entfremdung ganzer Bevölkerungsgruppen wichtiger denn je.

Gleichzeitig bietet dieses Buch aber auch die Gelegenheit, auf Entdeckungs-, manchmal muss man leider sagen: Erinnerungsreise zu gehen, und zwar weil die Arbeit von Raumlabor so tief in Berlin verwurzelt ist. Sie selbst schreiben: „Berlin, die Stadt vor unserer Tür, ist nicht nur unsere Basis, sie ist unser Kompost, unser Experimentierfeld und unser Präzedenzfall.“ Dementsprechend deutlich manifestiert sich in den Arbeiten die Entwicklung der Hauptstadt seit Ende der Neunzigerjahre. Das Kollektiv war es, das im ehemaligen Palast der Republik zur Bootsfahrt einlud. Aber auch die Markthalle IX in Kreuzberg hätte es ohne sein Konzept nie so gegeben. Ehrenwert von Raumlabor, dass im Buch der Verdrängungsprozess angesprochen wird, den die Neuausrichtung der Markthalle als Hipster-Gourmettempel initiiert hat.

„Es geht darum, die Welt zu retten, aber am Ende hat man halt einfach nur Gummistiefel an“, zitiert „Polylemma“ den Dramaturgen und Autoren Florian Malzacher, der mit dem Kollektiv beim Steirischen Herbst zusammengearbeitet hat. Besser kann man das Balancieren zwischen Utopie, Gegenwart und dem Zauber des Augenblicks von Raumlabor wohl nicht beschreiben. Laura Weißmüller

Raumlabor (Herausgeber): Polylemma, Jovis Verlag, Berlin 2023, 480 Seiten, 46 Euro.

Spaziergang mit Freunden

Dieses Buch ist eigentlich kein Buch. Und ganz sicher ist es auch kein klassisches Werkverzeichnis über eines der spannendsten Architekturbüros, die dieses Land zu bieten hat. Denn das ist Raumlabor auf jeden Fall. Aber so wie das Berliner Kollektiv aus inzwischen zwei Architektinnen und sieben Architekten sich seit nun 25 Jahren mit ihrem Werk dagegen wehrt, in eine bestimmte Schublade, geschweige denn Stilrichtung einsortiert zu werden, ist „Polylemma. Raumlabor“ eben auch kein klassisches Werkverzeichnis, in dem die einzelnen Projekte chronologisch oder geografisch abgehandelt werden. Vielmehr gleicht dieses Buch eher einem ausgedehnten Spaziergang, den man mit Freunden unternimmt. Zufällig trifft man dann auf dem Weg Bekannte, unterhält sich, schließt neue Bekanntschaften und ändert spontan die Route. Dann macht man noch einen kleinen Umweg, vulgo Schlenker, und am Ende ist man erstaunlicherweise zwar nicht am Ziel, dafür aber bester Dinge.

Weswegen man auch sagen kann: „Polylemma“ reflektiert die Arbeit dieses Architektenkollektivs ziemlich genau. Denn wenn man selbst beschreiben müsste, was genau Raumlabor macht, würde man sicherlich ins Stottern geraten. Aktivierung von Raum durch temporäre Infrastruktur klingt jedenfalls viel zu nüchtern für diese Raumkünstler, die es schaffen, inmitten eines Autobahndreiecks an einer U-Bahnstation eine Opernaufführung stattfinden zu lassen. Aus einem Unort, von denen es in diesem Land frustrierend viele gibt, wurde so ein generationsübergreifender, aber auch grandioser Treffpunkt für die Gesellschaft. Ähnliches lässt sich über fast alle ihre Projekte sagen.

Für „Spacebuster“ in den USA wurde gemeinsam mit „Storefront for Art and Architecture“ ein gebrauchter Lastwagen zur Luftschleuse umgebaut und eine transparente Blase daran befestigt.
Für „Spacebuster“ in den USA wurde gemeinsam mit „Storefront for Art and Architecture“ ein gebrauchter Lastwagen zur Luftschleuse umgebaut und eine transparente Blase daran befestigt.

Egal, ob es sich um eine transparente Blase handelt, die von New York über Südkorea bis nach Mühlheim einen öffentlichen Raum für Veranstaltung bot, oder um die „Floating University“ im Regenwasserrückhaltebecken des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof, wo auf Holzstegen und Baustellengerüsten optimistisch an der Zukunft gewerkelt wurde. Raumlabor entwickelt immer wieder Orte, wo Menschen sich vorbehaltlos begegnen können. Das ist in Zeiten der gesellschaftlichen Spaltung und Entfremdung ganzer Bevölkerungsgruppen wichtiger denn je.

Gleichzeitig bietet dieses Buch aber auch die Gelegenheit, auf Entdeckungs-, manchmal muss man leider sagen: Erinnerungsreise zu gehen, und zwar weil die Arbeit von Raumlabor so tief in Berlin verwurzelt ist. Sie selbst schreiben: „Berlin, die Stadt vor unserer Tür, ist nicht nur unsere Basis, sie ist unser Kompost, unser Experimentierfeld und unser Präzedenzfall.“ Dementsprechend deutlich manifestiert sich in den Arbeiten die Entwicklung der Hauptstadt seit Ende der Neunzigerjahre. Das Kollektiv war es, das im ehemaligen Palast der Republik zur Bootsfahrt einlud. Aber auch die Markthalle IX in Kreuzberg hätte es ohne sein Konzept nie so gegeben. Ehrenwert von Raumlabor, dass im Buch der Verdrängungsprozess angesprochen wird, den die Neuausrichtung der Markthalle als Hipster-Gourmettempel initiiert hat.

„Es geht darum, die Welt zu retten, aber am Ende hat man halt einfach nur Gummistiefel an“, zitiert „Polylemma“ den Dramaturgen und Autoren Florian Malzacher, der mit dem Kollektiv beim Steirischen Herbst zusammengearbeitet hat. Besser kann man das Balancieren zwischen Utopie, Gegenwart und dem Zauber des Augenblicks von Raumlabor wohl nicht beschreiben. Laura Weißmüller

Raumlabor (Herausgeber): Polylemma, Jovis Verlag, Berlin 2023, 480 Seiten, 46 Euro.