SZ-Serie „Urlaubsbekanntschaften“

„Sie haben Schildkröten geklaut“

Früher haben sich deutsche Touristen im Nationalpark Maremma oft danebenbenommen, erzählt Ranger Giuseppe Anselmi. Mittlerweile verhalten sie sich diszipliniert – nur in einer Situation herrscht Anarchie.

Protokoll von Stefan Ulrich
11. April 2022 - 3 Min. Lesezeit

Wer reist, schließt Bekanntschaften. Da gibt es natürlich die Urlaubsfreundschaften, aber lebt eine Reise nicht eigentlich vor allem von den vielen flüchtigen Begegnungen? Mit dem Postkartenverkäufer am Souvenirstand, der Kitschmalerin im Touristenviertel oder der Animateurin am Hotelpool, mit denen man viel zu selten ins Gespräch kommt. Welcher Weg hat sie in ihren Beruf geführt? Und wie erleben sie die Touristen? In Folge 1 erzählt Giuseppe Anselmi, 66, Nationalpark-Ranger in der Maremma in der Toskana, von geplünderten Falkennestern und deutscher Korrektheit.

„Ich arbeite seit 1986 als Ranger im Parco Regionale della Maremma, einem Naturschutzgebiet im Süden der Toskana. Hier kümmere ich mich mit meinen elf Kolleginnen und Kollegen um eine fast 10 000 Hektar große Fläche am Ufer des Tyrrhenischen Meers. Es ist eine abwechslungsreiche Landschaft mit einer Flussmündung, Dünen, Sümpfen, kleinen Seen, Pinien- und Steineichenwäldern, Macchia und den felsigen Hängen der Monti dell’Uccellina. Wir Ranger achten darauf, dass die Agriturismi, die Ferienbauernhöfe, und die Restaurants im Park, die unser Siegel mit dem Wildschwein tragen dürfen, nachhaltig arbeiten und gute Qualität liefern. Und wir sorgen dafür, dass die Touristen, die im Park wandern, radeln oder im Meer baden, die Regeln einhalten. Sie müssen auf den Wegen bleiben, Pflanzen und Tiere achten und ihren Abfall wieder mitnehmen.

Als Besucher aus Deutschland systematisch die Nester von Wanderfalken ausnahmen

Früher, als ich als Ranger angefangen habe, waren wir mehr, so 17 bis 18 Leute. Damals mussten wir noch Wilderer bekämpfen und gegen Umweltverschmutzer vorgehen. Diese Probleme sind heute viel geringer geworden. Daher können wir uns mehr um die Natur und Kultur im Park und um die Bedürfnisse der Urlauber kümmern. Die Besucher können hier mit ein wenig Glück Wildschweine, Stachelschweine, Hirsche, Dachse oder sogar Wildkatzen sehen und Vögel wie Grau- und Silberreiher oder Turm- und Wanderfalken beobachten. Außerdem versuchen wir, den Fischadler wieder anzusiedeln. Wir bieten auch Nachtwanderungen im Park und Kanutouren auf dem Fluss Ombrone an.

Alles in allem verhalten sich die Touristen vernünftig. Die, die hierherkommen, lieben ja die Natur. Besonders die Deutschen sind, wie man sich das vorstellt, sehr diszipliniert. Doch das war nicht immer so. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als Besucher aus Deutschland systematisch die Nester von Wanderfalken ausnahmen, um die Jungen zu Hause für die Falknerei zu nutzen. Auch Schildkröten haben sie geklaut. Das passiert jetzt nicht mehr. Heute haben wir Probleme mit Schwarzfischern und mit Leuten, die sich ohne Eintrittsticket in den Park schleichen, Orchideen pflücken oder ihre Hunde an die Strände mitnehmen, was verboten ist. Denn Hunde stören die Wildtiere.

In einem Punkt sind viele Besucher ziemlich dreist, auch etliche Deutsche, ihrem Klischee der Korrektheit zum Trotz. Was mich schon wundert. Sie parken ihre Autos, wo sie wollen. Bisher treiben wir die Strafen noch nicht im Ausland ein, was ich jetzt eigentlich gar nicht sagen sollte. Aber das kann natürlich noch kommen.

"Ich war davor in der Psychiatrie tätig. Das war hart"

Am meisten Angst haben wir Ranger vor Waldbränden. Die waren schon immer eine Gefahr. Doch bisher gab es im Parkgebiet zum Glück nur kleinere Feuer. Aber bei der Hitze und Trockenheit, die gerade auch in diesem Sommer herrschen, kann schon eine weggeworfene Zigarettenkippe oder sogar der Splitter einer Glasflasche einen verheerenden Brand auslösen. Die mediterrane Macchia heizt sich stark auf und brennt mit ihren vielen ölhaltigen Pflanzen leicht.

Abgesehen davon liebe ich meinen Beruf sehr. Ich war davor in der Psychiatrie tätig. Das war hart. Die Arbeit im Park, mitten in der Natur mit all den Pflanzen und Tieren, war da wie eine persönliche Therapie für mich.

In meiner Freizeit bastle ich Tierattrappen für Museen. Auch helfen wir hier im Park Wissenschaftlern der Universität Siena bei Forschungsprojekten. Und wir gehen in Schulen, um die Kinder über die Natur aufzuklären. Ranger im Maremma-Regionalpark – diese Arbeit ist jedenfalls wie für mich gemacht.“

Team
Redaktion Nadeschda Scharfenberg
Digitales Design Stefan Dimitrov
Digitales Storytelling Veronika Wulf
Schlussredaktion Cosima Kopfinger